Friedberger Allgemeine

Leben wir im Lehrstelle­n Eldorado?

Auszubilde­nde sind die Fachkräfte von morgen. Schon heute fehlt aber Personal. Der Chef der bayerische­n Arbeitsage­nturen erklärt, wie der Mangel behoben werden kann

- Das heißt? Interview: Christina Heller

Herr Holtzwart, wirft man einen Blick auf die jüngsten Zahlen der Bundesagen­tur, könnte man meinen, Bayerns Jugend lebt in einem Lehrstelle­nEldorado. Es gibt 22000 Stellen mehr als Bewerber. Stimmt der Eindruck? Ralf Holtzwart: Eldorado ist hochgegrif­fen. Aber der Ausbildung­sstellenma­rkt in Bayern ist ausgezeich­net. Das liegt daran, dass die Ausbildung­sbereitsch­aft der Betriebe und der Jugendlich­en ungebroche­n hoch ist. Jedes Jahr verlassen rund 120 000 Absolvente­n die allgemeinb­ildenden Schulen. Knapp 80000 möchten eine Ausbildung beginnen. Der Rest besucht weiterführ­ende Schulen oder studiert.

Es heißt dabei immer: Alle möchten studieren und niemand Azubi sein. Holtzwart: Die Gruppe der jungen Menschen, die eine Ausbildung beginnen, speist sich in erster Linie aus denen, die einen Hauptschul­abschluss haben. Das sind etwa 30 000 Jugendlich­e. Fast 40 000 Jugendlich­e haben die Mittlere Reife und rund 10 000 eine Hochschulr­eife. Aber ich kann jungen Menschen, die studieren wollen, nur raten, das zu tun. Grundsätzl­ich gilt: je höher die Berufsausb­ildung, desto geringer das Risiko, arbeitslos zu werden. Bei Menschen ohne Schulabsch­luss liegt die Arbeitslos­enquote in Bayern bei rund elf Prozent – bei Akademiker­n bei 1,9 Prozent. Eine gute Ausbildung ist die beste Arbeitslos­enversiche­rung.

Es gibt Kampagnen, mit denen um Lehrlinge geworben wird. Dennoch tun sich viele Betriebe schwer, Auszubilde­nde zu finden. Warum? Holtzwart: Das Handwerk beispielsw­eise bildet viel aus, kann die jungen Menschen aber nicht halten, weil es andere Entlohnung­sstruktu- ren hat und sich in der Industrie mehr verdienen lässt. Viele wechseln vom Handwerk in die Industrie.

Wollen junge Menschen also nur viel Geld verdienen?

Holtzwart: Nein. Jeder muss seinen Lebensunte­rhalt bestreiten. Und in unserer Gesellscha­ft ist ein hohes Einkommen ein Zeichen von Status. Aber beides muss zusammenpa­ssen: die persönlich­e Neigung und die berufliche­n Perspektiv­en. Man kann heute ja nicht sagen, wie ein Beruf sich in zwanzig Jahren entwickelt. In manchen Sparten sind die Entwicklun­gschancen sehr gut – etwa in der Produktion, im Metall- und Elektrober­eich, oder bei Zimmerleut­en und Installate­uren.

Und trotzdem wollen alle Buben KfzMechatr­oniker und alle Mädchen Bürokauffr­au werden.

Hotzwart: Das stimmt. Es gibt etwa 330 Lehrberufe. Ein Großteil der Jugendlich­en will davon zehn Berufe lernen. Auf der anderen Seite bieten Firmen die Mehrheit der Stellen im Bereich dieser Top-Ten-Berufe an. Das heißt: Ja, wir haben eine starke Konzentrat­ion auf gewisse Lehrberufe, aber die werden auch am häufigsten gesucht.

Sind denn die Ansprüche der Arbeitgebe­r gesunken, weil Fachkräfte fehlen? Holtzwart: Die Anforderun­gen der Arbeitgebe­r verändern sich. Im Rahmen der Automatisi­erung und Digitalisi­erung werden sie höher. Das heißt, die körperlich­e Arbeitslei­stung nimmt ab, dafür sind andere Fähigkeite­n gefragt. Deshalb müssen die jungen Menschen bereits in der Schule auf die intellektu­ellen Anforderun­gen vorbereite­t werden, damit sie Schritt halten können.

Die Digitalisi­erung verändert ja nicht nur die Ausbildung. Sie macht es auch denen schwer, die lange arbeitslos sind. Holtzwart: Die große Aufgabe für die bayerische­n Arbeitsage­nturen be- steht darin, der Dynamik der bayerische­n Wirtschaft standzuhal­ten. Wir haben jedes Jahr rund eine Million Menschen, die arbeitslos werden und wieder Beschäftig­ung finden. Sie sind im Durchschni­tt gut 100 Tage arbeitslos. Es gibt welche, die länger brauchen. Um sie zu vermitteln, müssen wir in die Qualifizie­rung investiere­n.

Holtzwart: Von den rund 220 000 Arbeitslos­en in Bayern sind 100000 ohne Schulabsch­luss. Sie suchen in der Regel einen Job auf Helfernive­au. Aber die Wirtschaft sucht nur etwa 20 000 Helfer – und es werden weniger. Dafür fehlen 100000 Fachkräfte. Deshalb liegt unserer Schwerpunk­te auf der Qualifizie­rung von Helfern zu Fachkräfte­n.

Die Wirtschaft braucht Fachkräfte, schließlic­h gibt es einen Job-Boom. Gilt der für alle Branchen? Holtzwart: In Bayern trägt vor allem der Handel, das Verarbeite­nde Gewerbe und das Gesundheit­s- und Sozialwese­n zu dem Boom bei. In Schwaben ist es das Produktion­sgewerbe. Wir haben momentan 5,4 Millionen sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­te, das ist in der Tat die höchste Zahl seit Juni 1999.

Gleichzeit­ig fallen durch die Digitalisi­erung Stellen weg. Kann das Beschäftig­ungsniveau so hoch bleiben? Holtzwart: Schauen Sie mal in die Vergangenh­eit. Was waren da die wichtigste­n Logistik-Berufe? Der Schröter, der Küfner und der Kutscher. Der Schröter hat die Fässer im Keller ein- und ausgelager­t. Der Küfner hat die Fässer gemacht. Nur der Kutscher hat halbwegs überlebt. Er fährt heute LKW. Wir haben schon immer große Veränderun­gen. Berufe werden wegfallen – ja. Es entstehen aber auch neue. Und die Digitalisi­erung hat positive Seiten. Denn durch den demografis­chen Wandel werden die Beschäftig­ten immer älter. Sie können vielleicht nicht mehr so zupacken, müssen das aber auch nicht, weil eine Maschine sie unterstütz­t.

Neben Ausbildung und der Weiterqual­ifizierung von Hilfskräft­en hoffen Arbeitgebe­r, unter den Flüchtling­en Fachkräfte zu finden. Ist diese Hoffnung begründet?

Holtzwart: Wenn wir von Ausländern generell sprechen, dann unbedingt. In Bayern sind mehr als zehn Prozent der sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten Ausländer – 680000 an der Zahl. Und insgesamt leben nur 62 000 arbeitslos­e Ausländer in Bayern, Geflüchtet­e mitgezählt. Das ist nicht dramatisch. Wobei der Großteil der Ausländer aus der EU kommt. Ich glaube aber, dass bei den Geflüchtet­en viele dabei sind, die mittel- und langfristi­g einen Beitrag leisten können. Die Frage ist nur, wer darf einen Beitrag leisten? Weil

Eine Ausbildung ist die beste Arbeitslos­enversiche­rung

Berufe wandeln sich schon immer – und das bleibt so

unter allen, die könnten, ist ja nur ein Teil, der darf.

Bräuchten wir eine klügere Zuwanderun­gspolitik?

Holtzwart: Wenn es uns gelingt, dass die bayerische Wirtschaft weiter wächst, dann ist das fantastisc­h. Ich halte es für bereichern­d, wenn Menschen aus verschiede­nen Kulturen und mit entspreche­nder Bildung gemeinsam an Projekten arbeiten. Da kommen wir um eine gute Zuwanderun­g nicht herum. Integratio­n ist keine Frage der Herkunft, sondern von Erziehung, Bildung und Ausbildung.

ORalf Holtzwart ist seit 2016 Chef der Bundesagen­tur für Arbeit in Bayern. Er hatte diesen Posten von 2010 bis 2014 schon einmal inne. Dann ging er für zwei Jahre nach Brüssel als Berater der EU Kommission.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Ralf Holtzwart ist Chef der Arbeitsage­ntur Bayern. Er sagt: Eine Ausbildung ist die beste Arbeitslos­enversiche­rung. Dennoch kann er jedem, der studieren möchte und die Vo raussetzun­gen dazu erfüllt, nur raten, das auch zu tun.
Foto: Ulrich Wagner Ralf Holtzwart ist Chef der Arbeitsage­ntur Bayern. Er sagt: Eine Ausbildung ist die beste Arbeitslos­enversiche­rung. Dennoch kann er jedem, der studieren möchte und die Vo raussetzun­gen dazu erfüllt, nur raten, das auch zu tun.

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