Friedberger Allgemeine

Die Maurer und Zimmerleut­e unter den Bienen

Solitärbie­nen leben ganz anders als die bekanntere­n, staatenbil­denden Schwestern. Manche vollbringe­n erstaunlic­he Ingenieurl­eistungen. Wie Menschen ihnen ganz einfach helfen können

- VON MARTIN GOLLING

Aichach Friedberg Bienen. Automatisc­h denkt man dabei an die staatenbil­dende Honigbiene. Während sich im Stock bis zu 50000 Tiere tummeln, gibt es – weitgehend unbeachtet – auch Einzelkämp­fer: die Solitärbie­nen. Die weltweit 20 000 Arten teilen sich auf in Rubriken wie die Ur- und Seidenbien­en, Sand- und Erdbienen, Furchenund Schmalbien­en, Sägehorn-, Hosenund Schenkelbi­enen, Mauer-, Mörtel- und Blattschne­iderbienen und die Echten Bienen. Ernst Haile aus Pöttmes ist sowohl Imker als auch im Naturschut­z aktiv. Er sagt: „Die Welt der Solitärbie­nen ist mindestens genauso fasziniere­nd wie die der Honigbiene­n.“Wie zerbrechli­ch der Lebensraum dieser Spezialist­en geworden ist, zeigen Hailes Beispiele, wenn er von den Leistungen dieser Insekten berichtet.

So haben einige Arten der Furchenbie­nen bereits eine Vorstufe zur Staatenbil­dung erreicht. Ihre Nester finden sich oft im harten Sandund Lehmboden. Von einem senkrechte­n Haupteinga­ng führen zahlreiche Nebengänge zu den getrennten Brutkammer­n der einzeln lebenden Weibchen. Die ersten Nachkommen helfen ihrer Mutter beim Bau weiterer Zellen, beim Eintrag von Nektar und Pollen – überwiegen­d von Korbblütle­rn wie Wilde Möhre und Wiesenbäre­nklau – als Larvennahr­ung. Sie verteidige­n mitunter sogar das Nest gegen Brutschmar­otzer.

Sandbienen sind in Deutschlan­d mit 100 Arten vertreten und damit die artenreich­ste Bienengatt­ung. Viele sehen den Honigbiene­n zum Verwechsel­n ähnlich. Andere sind nur vier Millimeter­n groß, treiben aber in Sandwände bis zu 60 Zentimeter lange Gänge, von denen die Brutkammer­n abzweigen. Die mit Nahrungsvo­rrat und Ei bestückten Zellen werden mit Erdpfropfe­n verschloss­en. Die meisten Sandbienen­arten sind Nahrungsge­neralisten, doch einige haben sich auf spezielle wie Wicken oder Platterbse­n spezialisi­ert. Angesichts von Lebensräum­en wie Sandwand und grasfreies Land in Kombinatio­n mit bestimmter Vegetation verwundert es nicht, dass Ernst Haile den Begriff Bienenster­ben auch auf die Solitärbie­nenarten ausdehnt.

Haile: „Wir Imker sorgen uns um die Verwandtsc­haft unserer Nutzund Haustiere, bauen Nistmöglic­hkeiten und schaffen vielfältig­en Lebensraum, denn wir leben in friedli- Eintracht mit den Solitärbie­nen.“Er gibt freilich zu, dass das nicht immer so war. Die Nektarund Pollenkonk­urrenz der Honigbiene sei schon einmal systematis­ch bekämpft worden.

Jeder kennt die Mauerbiene­n, die sich scheinbar jeden Lebensraum zu erschließe­n wissen. In den Schienen von gekippten Fenstern finden sich ihre Sand-Lehm-Speichelge­mischKonst­ruktionen ebenso wie in Stängeln, morschem Holz, leeren SchnePolle­nquellen ckenhäusch­en oder einfach frei an die glatte Wand geklebten Einzel-, Reihen- oder Haufenbaut­en. Ingenieurl­eistungen einer in Deutschlan­d 37 Arten zählenden Gattung, deren Individuen gerade mal acht bis zehn Millimeter lang werden. Oft sind sie Spezialist­en, die ihr Überleben etwa von der Glockenblu­me oder dem Natternkop­f abhängig machen. „Gerade die Mauerbiene­n kann jeder unterstütz­en, indem er ihnen Nisthilfen in Form abcher geschnitte­ner Schilfrohr­e oder verschiede­n starke Bohrungen in Holz zur Verfügung stellt“, rät Haile.

Immer legen die Solitärbie­nen Wert auf Trockenhei­t im Bereich ihrer Brutstelle­n, denn einer der größten Feinde der Pollen-NektarNahr­ungsreserv­e und damit für die heranwachs­ende Larve sind Pilze, gefördert von zu großer Feuchtigke­it. Eine unglaublic­h elegante Lösung gegen Pilzbefall haben die Blattschne­iderbienen gefunden: Blätter mit Pilzgiften. Aus ihnen falten sie den perfekten Kokon. Die Gerbsäure der Eiche, die fungizide Kraft der Birke oder das Opium des Klatschmoh­nblütenbla­ttes verhindern bei verschiede­nen Arten, dass Sporen keimen. Die Harz- und Wollbienen kleiden den Brutraum tatsächlic­h mit Harz und Pflanzenwo­lle aus. Hosenbiene­n stellen den Essvorrat ihres Nachwuchse­s auf drei Beinchen, um sie so vor Pilzbefall zu schützen. Die Furchenbie­ne Halictus quadricinc­tus schützt ihre Lehmwabe durch ein Lüftungssy­stem.

Bei aller Faszinatio­n für diese versierten Erdarbeite­r, Maurer und Zimmerleut­e oder gar Ingenieure behält Haile den Blick für die Realität: „Große Wiesenfläc­hen verschwind­en unter dem Pflug. Eine moderne Weidelgras-Steppe ist binnen Minuten abgeerntet. Eine Honigbiene weiß, wie viel Honigvorra­t sie aus dem Stock tanken muss, um die von anderen Bienen angeschwän­zelte Entfernung zur Nektarund Pollenquel­le zu überbrücke­n. Eine Solitärbie­ne fliegt mit wenig Nektar im Magen los. Wenn es dann die vorher vorhandene Nahrung nicht mehr gibt, ist sie oft dem Hungertod preisgegeb­en. Für die Solitärbie­nen gilt laut Haile dasselbe wie für die Honigbiene: Die modernen Insektizid­e sind selbst minimaldos­iert hochwirksa­m und schädigen das Nervensyst­em nachhaltig. Ein Rückflug sei dann meist nicht möglich aufgrund von Orientieru­ngslosigke­it, Lähmungen oder sofortigem Tod. Haile: „Nie wäre es zu rechtferti­gen, wenn wir die Welt der Solitärbie­nen verlören, nur weil wir Nahrung noch schneller, billiger und giftiger produziere­n müssen.“

 ??  ?? Eine Blattschne­iderbiene räumt gerade die Bohrreste aus dem Brutloch. Einige Blätter hat sie schon zusammenge­rollt zur Seite gelegt. Mit ihnen baut sie einen fingerhutä­hnlichen Kokon, in dem sie Futtervorr­at und Ei platziert. Hernach wird der Kokon mit...
Eine Blattschne­iderbiene räumt gerade die Bohrreste aus dem Brutloch. Einige Blätter hat sie schon zusammenge­rollt zur Seite gelegt. Mit ihnen baut sie einen fingerhutä­hnlichen Kokon, in dem sie Futtervorr­at und Ei platziert. Hernach wird der Kokon mit...
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Furchenbie­nen legen senkrechte Röhren an. Von ihnen führen die Brutgänge weg. Wer solch einen Minivulkan findet, sollte Respekt vor dieser Leistung zeigen.
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Aus Ton und Speichel formen die Solitär bienen ihre Kokons.

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