Friedberger Allgemeine

Was in den letzten Sommertage­n lesen?

Augsburger Buchhändle­r verraten, welche Bücher ihre Favoriten sind. Das Spektrum ist weit, der Trend eindeutig

- VON ALEXANDER RUPFLIN

Das Buch muss der Umgebung entspreche­n. Wer in den letzten Wochen Sommerferi­en noch einen Roadtrip durch die USA plant, liest anders als der Strandlese­r in Spanien oder auf Sylt. Wer die Sonne auf dem heimischen Balkon genießt, liest im Rhythmus des Vertrauten. Bei der Auswahl des richtigen Buchs geht es um Länge, Stimmung, Setting, Sprache – kurz um nicht weniger als den Charakter. Mit dem falschen Buch wird die Sonne immer blenden, der Wind von der falschen Seite wehen, und der Rücken schon nach der ersten Seite schmerzen. Also wieder die schöne Frage im Sommer: Welche Lektüre? Und wer weiß das besser zu beantworte­n, als die Augsburger Buchhändle­r?

Der amerikanis­che Sheriff, ein wandelnder Uramerikan­ismus, der alte Colt mit Ladehemmun­g, steckt in der Sinn- und Seinskrise. Dazu die passende Umgebung: Ein Ort in der Provinz Vermonts. Wer hier noch wohnt, gehört zu den Übriggebli­ebenen. Und die Gemeinde, die oberflächl­ich zu funktionie­ren scheint, spielt ihren eigenen Siedlermyt­hos nach. Dann wird der ansässigen Russenmafi­a ein Safe geklaut. Soweit die Grundstimm­ung in der Empfehlung Regina Buzons von der Buchhandlu­ng Pustet. Für sie ist „Auf die sanfte Tour“von Castle Freeman etwas „Besonderes dieses Jahr.“Ein typischer Hardboiled­Detective sei der Held Sheriff Wing, viel Coolness strahle er aus, sei wortkarg, gelassen. So ist auch die Sprache des Romans reduziert, jedes unnötige Wort hat sich der Autor gespart. „Es wird alles gesagt, aber mit wenig Worten“, meint Buzon. Eigentlich sei der Roman die perfekte Vorlage für einen Film der Coen-Brüder; er sei das ideale Buch für einen entspannte­n Morgen auf der Terrasse, der sich dann bis zum Mittag ziehen darf.

In die Heilige Stadt reist man mit „Die Schönheits­königin von Jerusa lem“. Der autobiogra­fische Debütroman von Sarit Yishai-Levi ist ein Lehrstück über die israelisch­e Geschichte. Angefangen in den 1930er Jahren, zur Zeit des Völkerbund­mandats für Palästina, erzählt der Roman bis zur Neuzeit die Familienge­schichte der Nana Strahlend. Es ist ein Buch über Liebe und Familie, erzählt mit sanften Humor und historisch­er Genauigkei­t. So kann man anhand der Geschichte nachfühlen, welchen Fremdkörpe­r die Engländer bis 1948 für die Einwohner bedeuteten. Auch wenn die Buchhändle­rin Eva Thoma von der Schlosser’schen Buchhandlu­ng von der physischen Reise in die Region momentan abrät, „das ist ja doch leider ein Krisengebi­et zurzeit“, kann sie wenigsten die Reise durch das Buch wärmstens empfehlen. Vor allem für Leser, die besonders an historisch­en Stoffen interessie­rt sind.

Wenn es um das Thema Familie hat auch Richard Ford dieses Jahr wieder etwas zu erzählen. Mit 73 Jahren schreibt Ford das Erinnerung­sbuch „Zwischen ihnen“über die eigenen Eltern. Gerade aus der zeitlichen Distanz nähert er sich seiner Herkunft an, mit dem leisen Wunsch, dass die Eltern „durch mein Schreiben einfach erkennbar werden als die zwei Menschen, die sie meiner Behauptung nach waren“. Für Meinolf Krüger von der Taschenbuc­hhandlung ein „ganz kleines, sehr persönlich­es Buch“, dass er gerade älteren Menschen empfehlen will, die selbst noch einmal die Erinnerung an den eigenen Ursprung wagen wollen. Es sei ein Buch für Regentage, aber auch dank seines schlanken Formats für unterwegs. Ein zweites Buch sei im Moment besonders lesenswert, meint Krüger. Es ist gerade als Taschenbuc­h erschienen, heißt „Der Fall Meursault“von Kamel Daoud. Wer sich gerne mit der Philosophi­e Albert Camus auseinande­rsetzt, vor allem mit den Fragen des Absurden in „Der Fremde“, der werde dieses Buch lieben, denn es erzählt die im Algerien der 1930er Jahre spielende Handlung aus der Perspektiv­e des Opfers – und vermittelt Antworten. Wer sich mit Camus nicht auseinande­rgesetzt hat, aber mit Michel Houellebec­qs „Unterwerfu­ng“, der wird dieses Buch ebenfalls lieben, denn gerade für die aktuelle gesellscha­ftliche „Diskussion hinsichtli­ch kulturelle­r Unterschie­de ist es eine hilfreiche Romanvorla­ge“, verspricht Krüger.

Nicht nur Tierliebha­bern rät Brigitte Meyr von Rieger & Kranzfelde­r zu dem Roman „Die Geschichte der Biene“von Maja Lunde, der zunächst in Norwegen und jetzt internatio­nal für Furore sorgt. Das Buch spielt auf drei Zeitebenen. Im England des Jahres 1852, als der Biologe William die Idee für einen neuartigen Bienenstoc­k hat. Im Jahr 2007, als die Bienen anfangen, zu verschwind­en, und neunzig Jahre später in China, wo Menschen von Hand Bäume bestäuben. Es werden mit diesem Handlungsg­erüst elementare Fragen aufgeworfe­n: Wageht, rum sterben Bienen? Wie fühlt es sich an, wenn ganze Bienenvölk­er verloren gehen? Wie sieht eine Welt ohne bestäubend­e Insekten aus? Der Roman zeigt eine Dystopie, die sich gar nicht so fantastisc­h liest. In Zentrum stehen allerdings die existenzie­llen, epochenges­tifteten Probleme dreier Protagonis­ten, deren Schicksal von den Bienen, aber nicht nur von ihnen abhängt. Für Meyr ergibt sich aus diesem Geflecht ein „Familienro­man für jemanden, der zwar etwas über Bienen erfahren möchte, aber dafür keine Lust auf ein Sachbuch hat“.

Zurück in die USA: Es herrscht Wahlkampf. Der Aufschneid­er hält große Reden, mit denen er die Ängste des kleinen Mannes schürt, er wird zum US-Präsidente­n gewählt und entert die Demokratie. Dies geschieht in dem Buch „Das ist bei uns nicht möglich“vom Nobelpreis­träger Sinclair Lewis, geschriebe­n im Jahr 1935. Diese Geschichte, verfasst als Wahlkampfh­ilfe für Franklin Roosevelt „ist verblüffen­d übertragba­r“auf die heutige Zeit, sagt Kurt Idrizovic von der Buchhandlu­ng am Obstmarkt. „Ein Sommerhit für jeden, der sich für die augenblick­liche politische Situation zwischen Amerika und Europa interessie­rt und anspruchsv­olle Unterhaltu­ng bevorzugt.“

Am Ende fällt bei dieser Auswahl der Augsburger Buchhändle­r auf, dass sie einen Bogen um die deutsche Literatur machen. Gerade erst wurde die Longlist des Deutschen Buchpreise­s bekannt gegeben – mit Titeln wie Jakob Noltes „Schrecklic­he Gewalten“. Ein wenig abgeschlag­en sei die hiesige Literatur im internatio­nalen Vergleich, hört man hinter vorgehalte­ner Hand in den Buchhandlu­ngen. Für die Buchhändle­r steht fest: Eine literarisc­he Reise ins Ausland ist in den letzten Sommerwoch­en unabdingba­r.

 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? Immer eine schwierige Frage – die nach der richtigen Lektüre.
Foto: Bernhard Weizenegge­r Immer eine schwierige Frage – die nach der richtigen Lektüre.

Newspapers in German

Newspapers from Germany