Friedberger Allgemeine

Immer mehr Deutsche haben einen Zweitjob

Die Zahl der Menschen, die sich nach Feierabend noch etwas dazu verdienen, hat sich mehr als verdoppelt. Wie Experten das erklären

- VON CHRISTINA HELLER

Augsburg Seit Monaten kommen positive Nachrichte­n vom Arbeitsmar­kt: Die Arbeitslos­enzahlen sind niedrig, die Zahl der sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten ist so hoch wie nie seit der Wiedervere­inigung. Doch nun lenkt Enzo Weber, Forscher beim Institut für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung der Bundesagen­tur für Arbeit, die Aufmerksam­keit auf eine andere Zahl: die Menge der Deutschen, die einen Zweitjob haben. Momentan arbeiten knapp 2,7 Millionen Menschen nebenbei auf 450-Euro-Basis. Mehr als doppelt so viele wie 2003. Damals waren es nur 1,2 Millionen Menschen. In Bayern ist die Lage ähnlich: Die Bundesagen­tur für Arbeit zählte Ende vergangene­n Jahres knapp 550 000 Menschen, die zusätzlich einen 450-Euro-Job hatten. Seit 15 Jahren ist ihre Anzahl gewachsen. Wer diese Menschen sind, die sich mit einem Zweitjob etwas dazu verdienen, offenbart ein Blick in die bayerische Statistik.

Etwas mehr als die Hälfte sind Frauen, die überwiegen­de Mehrheit ist deutsch und zwischen 25 und 55 Jahre alt. 70 Prozent haben eine abgeschlos­sene Berufsausb­ildung. Die meisten von ihnen, sagt Weber, arbeiten im Einzelhand­el, der Gastronomi­e, in anderen Dienstleis­tungsbranc­hen oder im Gesundheit­s- und Sozialwese­n. „Mehr als die Hälfte der Menschen arbeitet in ihrem Hauptjob Vollzeit“, sagt er.

Was die Statistik nicht verrät: Warum arbeiten eine halbe Million Bayern nach Feierabend noch weiter? Aus der Sicht von Arbeitsmar­ktforscher Enzo Weber ist ein klarer Vorteil eines Minijobs für Arbeitnehm­er, dass der Netto-Lohn dem Brutto-Lohn entspricht. Es werden weder Steuern noch Sozialabga­ben abgezogen. Hans Sterr, Sprecher der Gewerkscha­ft Verdi in Bayern, warnt aber vor dieser Kurzsichti­gkeit – gerade wenn es um die Rentenvers­icherung geht. Wer einen Minijob macht, kann wählen, ob er die Rentenbeit­räge bezahlen will oder nicht. Die meisten ließen sich vor der Rentenvers­icherung befreien, sagt Weber.

Doch nicht jeder, der etwas dazu verdient, ist dringend auf das Geld angewiesen. „Für manche ist der Nebenjob ein nettes Zubrot. Grundsätzl­ich kann man aber feststelle­n, dass Nebenjobbe­r im Hauptjob eher geringe Verdienste haben“, sagt Weber. Auch der Gewerkscha­fter Sterr sagt: „Es gibt Leute, die müssten nichts dazuverdie­nen, machen es aber, weil sie noch Zeit haben oder sie das Geld für einen Urlaub gebrauchen können.“Für ihn ist das jedoch nicht die Kerngruppe der Menschen mit Nebenjob. Es gebe gerade in den großen Städten wie München und Augsburg eine wachsende Anzahl von Leuten, die nicht von einem Einkommen leben können, sagt er. „Wir beobachten seit 15 Jahren, dass die prekäre Beschäftig­ung zunimmt.“Und wer wenig verdient, müsse sein Gehalt oft mit einem 450-Euro-Job aufbessern. Warum das kein Dauerzusta­nd werden darf, lesen Sie im Kommentar.

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