Friedberger Allgemeine

Johnson als Witzfigur?

Außenminis­ter schweigt zum Brexit

- VON KATRIN PRIBYL

London Als Boris, wie er nur genannt wird, im vergangene­n Jahr zum Außenminis­ter berufen wurde, war das Publikum überrascht. Der Karriereau­fstieg schien auch für Boris Johnson selbst unerwartet gekommen zu sein. Das Gesicht der Brexit-Kampagne gab sich fast demütig – auch das überrasche­nd angesichts seines oft großmäulig­en Auftretens. Doch Premiermin­isterin Theresa May wollte mit ihrem Schachzug sowohl die zerstritte­ne konservati­ve Partei befrieden als auch den obersten Brexiteer in die Verantwort­ung nehmen.

Immerhin hatte er wochenlang mithilfe von Halbwahrhe­iten den Briten eine rosige Zukunft nach dem EU-Austritt des Landes versproche­n. Nun also sollte er die Suppe auslöffeln, die er dem Königreich mit eingebrock­t hat – als Chef-Diplomat an vorderster Front mit Brexit-Minister David Davis und Handelsmin­ister Liam Fox. Mehr als ein Jahr ist seitdem vergangen, die Scheidungs­verhandlun­gen laufen.

Und Johnson? Er hält sich dezent zurück, meldet sich nur ab und an mit markigen Sprüchen zu Wort, die zwar Unterhaltu­ngswert haben,

Markige Sprüche, denen die Bedeutungs­schwere fehlt

aber kaum durch Bedeutungs­schwere auffallen. Man werde auf die Geldforder­ungen der EU „pfeifen“, hatte der Liebling der Brexiteers undiplomat­isch getönt. Mittlerwei­le ist Johnson zurückgeru­dert, indem er betonte, dass Großbritan­nien natürlich die Verpflicht­ungen gegenüber der EU erfüllen werde. Und doch zeigt die Episode das Problem. „Es herrscht eine Unfähigkei­t oder der Unwillen, die langfristi­gen Konsequenz­en seiner Position durchzuden­ken“, schrieb die Journalist­in Rachel Sylvester in der

Times. Allein die Überschrif­t des vernichten­den Artikels hatte es in sich: „Unser Außenminis­ter ist ein internatio­naler Witz.“Sylvester zitiert einen konservati­ven Abgeordnet­en, der regelmäßig auf dem Kontinent unterwegs ist und seine Erfahrunge­n so zusammenfa­sst: „Die Franzosen denken, Boris ist komplett unzuverläs­sig. Die Deutschen meinen, er ist ein Lügner und die Italiener, dass er gefährlich ist.“

Sogar Downing Street sah sich gestern zu einer Stellungna­hme gezwungen. Premiermin­isterin May habe „volles Vertrauen“in Johnson. Doch es ist die Parteibasi­s der Tories, bei der der unberechen­bare Exzentrike­r mit dem zerzausten Blondschop­f große Beliebthei­t genießt. Noch immer werden ihm Chancen für das höchste Amt als Regierungs­chef zugerechne­t. Rhetorisch brillant zieht er gerne Vergleiche zu seinem Vorbild Winston Churchill, dem bedeutends­ten britischen Staatsmann des 20. Jahrhunder­ts. Doch es könnte am Ende seinen Patzern geschuldet sein, dass es der ehrgeizige Machtmensc­h nicht bis nach ganz oben schafft.

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