Friedberger Allgemeine

Falscher Konzernche­f betrügt Firmen um Millionen

Gilbert Chikli hat unzählige Unternehme­n ausgenomme­n, indem sich der Trickbetrü­ger als deren Boss ausgab

- VON GIDEON ÖTINGER AP,

Augsburg Die Farbe Weiß scheint es Gilbert Chikli angetan zu haben. Weiß sind die Wände seines Wohnzimmer­s, weiß ist sein Klavier, seine Möbel sind weiß und das Oberteil seiner 20 Jahre jüngeren Frau Shirly ist – natürlich – weiß. So inszeniert­e der damals 51-Jährige im vergangene­n Jahr ein Foto der Nachrichte­nagentur die ihn im israelisch­en Aschdod besucht hatte. Dort hat er sich zu diesem Zeitpunkt ein schönes Leben gemacht. Seine Botschaft ist klar: Wer hat, der hat. In Zukunft wird er es allerdings nicht so schön haben. Gilbert Chikli droht das Gefängnis.

Der Franzose gilt als geistiger Vater einer Betrugsmas­che, die Unternehme­n treffen soll, viele Namen hat und die er in einem TV-Interview einmal seine „Gabe“nannte. „Fake President Fraud“heißt sie manchmal, das Bundeskrim­inalamt (BKA) spricht vor allem vom „CEO-Fraud“, und die „Chef-Masche“klingt nicht so internatio­nal, beschreibt das Phänomen aber treffend. Dabei geht es darum, dass einem Mitarbeite­r des Ziel-Unternehme­ns per Mail oder telefonisc­h vom vermeintli­chen Chef mitgeteilt wird, der Angestellt­e möge bitte eine spezielle Summe auf ein gewisses Konto überweisen. Was banal klingt, bedarf einer ausgiebige­n Planung. Zunächst rufen die Betrüger nicht irgendwelc­he Mitarbeite­r an. Es geht ihnen immer um diejenigen, die über das Geld der Firma verfügen können, beispielsw­eise Buchhalter. Dazu geben sie sich als Chef des Konzerns aus und fälschen ihre E-Mail-Adressen oder rufen mit manipulier­ten Nummern an, die auf den Displays der Unternehme­nstelefone als interne Nummern angezeigt werden. „Spoofing“heißt es im Fachjargon.

Mitarbeite­r, die ihren Chefs möglicherw­eise kaum begegnet sind, könnten dadurch überzeugt werden. „Die Betrüger versuchen die Mitarbeite­r an ihren menschlich­en Eigenschaf­ten zu packen“, erklärt ein Sprecher des Bundesamts für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI) unserer Zeitung. Sie würden ihnen schmeichel­n und sie zudem unter Druck setzen, beispielsw­eise durch ein enges Zeitfenste­r. Außerdem wird oft um absolutes Stillschwe­igen gebeten. So wurde im vergangene­n Jahr der Nürnberger Autozulief­erer Leoni um 40 Millionen Euro betrogen. Die Kriminelle­n hatten es gezielt auf einen Mitarbeite­r abgesehen, dem sie über einen längeren Zeitraum E-Mails schickten, um sein Vertrauen zu erlangen. Letztlich überwies er das Geld – im Glauben, es sei für seinen Chef.

Zu diesem Zeitpunkt war die Masche in Deutschlan­d erst seit wenigen Jahren bekannt, Gilbert Chikli nutzte sie aber schon zehn Jahre früher. Zwischen den Jahren 2005 und 2006 soll er insgesamt 60,5 Millionen Euro ergaunert haben, unter anderem von Schwergewi­chten wie der britischen Bank HSBC. Er wurde geschnappt und saß einige Monate in Frankreich im Gefängnis, ehe er im Jahr 2009 nach Israel flüchtete und dort sein Playboy-Leben im weißen Wohnzimmer begann samt Interviews und Fototermin. 2015 wurde er jedoch in Abwesenhei­t von einem Pariser Gericht zu sieben Jahren Haft verurteilt und vor einigen Tagen dann in der Ukraine festgenomm­en.

Doch wie kommen Betrüger wie Chikli überhaupt an die Informatio­nen für solche Aktionen? Durch gezieltes Ausspähen, erklärt BKASpreche­rin Sandra Clemens unserer Redaktion. Erst würden sie sich die Frage stellen, welche Infos öffentlich sind. Das sind in der Zeit des Internets einige. Im Netz präsentier­en sich Unternehme­n auf ihren Seiten oder in sozialen Netzwerken oft ausführlic­h. Auch im Handelsreg­ister können sich Betrüger vorab informiere­n. „Das kann es Tätern erleichter­n, Opfer auszuspähe­n“, erklärt Clemens. Mitarbeite­r, die auf Karriere-Netzwerken wie Xing oder Linkedin ihre Tätigkeit präsentier­en, machen es Betrügern leicht, die richtigen Menschen zu erreichen. „Es ist aber nicht nur die Sorglosigk­eit der Mitarbeite­r“, betont Clemens. Viele Täter stammten aus dem Ausland und arbeiteten „sehr, sehr ausgeklüge­lt“.

Dafür sprechen die Zahlen, die das BKA zum CEO-Fraud erhoben hat. Seit 2013 beobachtet es das Phänomen genau und führt Statistike­n. Von 2013 bis Ende Juni dieses Jahres hat es demnach insgesamt 695 Betrugsfäl­le gegeben. 105 waren erfolgreic­h, 590 blieben Versuche. Den Schaden beziffert das BKA mit etwa 180 Millionen Euro. Die Dunkelziff­er dürfte allerdings höher liegen, denn nicht jedes Unternehme­n meldet einen Betrugsfal­l. Viele rechneten mit einem Reputation­sverlust, wenn die Sache publik würde, sagt Sandra Clemens.

Unternehme­n sollten ihre Mitarbeite­r deshalb genau auf die Gefahren aufmerksam machen und überdenken, welche Informatio­nen sie öffentlich bereitstel­len, rät die Sprecherin. Außerdem sollten spezielle Regeln für Transaktio­nen gelten. Betroffene sollten sich umgehend bei der Polizei melden.

 ?? Foto: Oded Balilty, AP/dpa ?? Ein riesiger Fernseher, schicke Möbel und eine junge Ehefrau – so präsentier­te sich der Betrüger Gilbert Chikli im vergangene­n Jahr.
Foto: Oded Balilty, AP/dpa Ein riesiger Fernseher, schicke Möbel und eine junge Ehefrau – so präsentier­te sich der Betrüger Gilbert Chikli im vergangene­n Jahr.

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