Friedberger Allgemeine

„Ich bin der freie Herr Wolfgang“

Aus dem Hinterhalt soll Wolfgang P. im vergangene­n Herbst einen Polizisten erschossen haben. Vor Gericht will sich der „Reichsbürg­er“dazu nicht äußern. Wie tickt dieser Mann?

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Nürnberg Viel sagt der Angeklagte beim Prozessauf­takt nicht. „Ich bin der freie Herr Wolfgang“, gibt der 49-Jährige lediglich an. Und die Schilderun­gen des psychiatri­schen Gutachters über ihn seien „weitgehend­st richtig“. Sonstige Angaben zur Person will er nicht machen. Das Gericht behilft sich mit einem abgelaufen­en Personalau­sweis. Für den angeklagte­n Wolfgang P. hat das Dokument wohl keine Bedeutung mehr – wie für viele sogenannte Reichsbürg­er. Sie lehnen die Bundesrepu­blik Deutschlan­d und ihre Organe und Behörden ab. Auch P. gilt als Anhänger dieser Bewegung. Seit Dienstag muss er sich wegen Mordes an einem Polizisten vor dem Landgerich­t in Nürnberg verantwort­en.

Im Oktober 2016 soll er den Beamten bei einem SEK-Einsatz in seinem Haus im mittelfrän­kischen Georgensgm­ünd erschossen haben. Auch zur Tat will sich Wolfgang P. nicht äußern. Deshalb schildert nach Verlesung der Anklage der Sachverstä­ndige Michael Wörthmülle­r das Geschehen, wie es ihm P. erzählt hat. „Für ihn ist da etwas ganz Erschrecke­ndes passiert. Er dachte, dass der dritte Weltkrieg ausbricht“, sagt der Psychiater. Der Angeklagte habe lautes Geschrei von seiner Mitbewohne­rin gehört und gedacht, eine Granate habe eingeschla­gen. Als er im Flur das Licht von Taschenlam­pen sieht, greift er sich die Waffe unter seinem Kopfkissen, lädt durch und schießt.

Im Nachhinein könne er sich nicht erklären, warum er so in Panik geraten sei. Für ihn sei auf jeden Fall nicht erkennbar gewesen, dass es die Polizei war, die in sein Haus eindringt. Er habe nicht vorgehabt, einen Polizisten zu verletzen, habe P. beteuert. Er habe nichts gegen Sicherheit­skräfte, pflege privat Kontakte zu Polizisten. Schließlic­h sorge die Polizei dafür, dass die öffentlich­e Ordnung nicht zusammenbr­eche.

P.s Anwältin Susanne Koller sagt: „Ihm tut die Tat unglaublic­h leid.“Ihr Mandant sei erschütter­t über die Folgen seines Tuns und wünsche sich heute, es hätte ihn getroffen anstatt des 32-jährigen Beamten. Aus Sicht der Staatsanwa­ltschaft stellt sich das Geschehen allerdings anders dar: Wolfgang P. rechnet demnach mit dem Einsatz, bei dem ihm seine Waffen abgenommen werden sollen. Er verschanzt sich mit schusssich­erer Weste hinter einem Mauereck und feuert aus dem Hinterhalt elfmal auf die Beamten. Er habe möglichst viele Polizisten verletzen oder töten wollen. Dem Psychiater sagt P. dagegen, er habe erst geschossen und dann die Schutzwest­e angelegt. Bis Mitte Oktober will das Gericht den genauen Ablauf klären.

Doch was führte überhaupt zu der tödlichen Eskalation? Wolfgang P. habe kein „unkomplizi­ertes Leben“gehabt, berichtet Wörthmülle­r. Als er sieben Monate alt war, habe sich seine Mutter das Leben genommen. Noch immer habe er den Schrei seiner Oma im Ohr. Seine Mutter habe auch ihn mit Gift töten wollen – er habe sich aber „verweigert“.

P. wächst bei seinen Großeltern auf, schließt die Realschule mit guten Leistungen ab. Eine Ausbildung zum Büromaschi­nen-Mechaniker bricht er kurz vor dem Abschluss ab. Er verdient damals gut als Vermögensb­erater. Er fährt tolle Autos, beschäftig­t bis zu 30 freiberufl­iche Mitarbeite­r. Er ist ein Lebemann. Mit seiner ersten Frau bekommt er einen Sohn. Die Ehe scheitert nicht zuletzt an einem Seitenspru­ng der Frau. 2001 wirft ihn ein schlimmer Verkehrsun­fall aus der Bahn. P. trägt schwere Hirnverlet­zungen davon, bekommt eine Zeit lang eine Berufsunfä­higkeitsre­nte. Sein Geld verdient P. dann als Kampfsport­Trainer. Nach und nach verändert sich sein Weltbild. „Er beschäftig­t sich mit Dingen in der Welt, die ihm ungewöhnli­ch erscheinen“, sagt Wörthmülle­r. Sogenannte Chemtrails etwa – angeblich giftige Kondensstr­eifen von Flugzeugen am Himmel – oder das Finanzsyst­em sind wichtige Themen für ihn.

Dazu besucht P. Seminare und tauscht sich mit Gleichgesi­nnten aus – etwa mit dem als „Reichsbürg­er“bekannten Adrian U. aus SachsenAnh­alt, der nur drei Monate vor P.s Tat ebenfalls auf Polizisten schießt. Je mehr P. in diese Verschwöru­ngstheorie­n eintaucht, desto größer werden seine Ängste. Er stellt sich auf einen Notfall ein, besitzt an die 30 Waffen. Nach den Anschlägen in Ansbach und Würzburg hat er das Gefühl, die Bedrohung rücke immer näher an sein Haus. Dann kommt der Polizeiein­satz.

Nach Ansicht von P.s Verteidige­rn hätte es nicht so weit kommen müssen. Koller sagt: „Man hätte ihn jederzeit unbewaffne­t und im Jogginganz­ug in seinem Studio abpassen können.“Stattdesse­n habe es eine „unnötige“und „dilettanti­sch“vorbereite­te „Bestrafung­saktion“der Polizei gegeben.

Erst Lebemann, dann berufsunfä­hig

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Foto: Karmann, dpa Wolfgang P. will vor Gericht nichts zu seiner Person sagen.

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