Bordell König unter Verdacht
Hermann Müller, 65, hat sich ein Rotlicht-Imperium aufgebaut. Seit März steht er in Augsburg vor Gericht. Es geht um Steuerhinterziehung. Doch die Verhandlung liefert auch ungewohnte Einblicke in ein Millionengeschäft
Es sind ungewohnte Einblicke in eine Welt, in der mit käuflichem Sex Millionengeschäfte gemacht werden. Die Einblicke liefert ein Prozess, der seit Monaten vor dem Augsburger Landgericht läuft. Angeklagt ist Deutschlands selbst ernannter Bordellkönig Hermann Müller, im Rotlichtmilieu nur als Hermann Pascha bekannt. Unter dem geschützten Namen „Pascha“hat der heute 65-Jährige, der mit einem seiner Betriebsleiter angeklagt ist, in Köln und weiteren deutschen Städten sowie in Österreich ein Rotlicht-Imperium aufgebaut.
Nicht immer zur Freude der Konkurrenten. Im Kölner und Salzburger „Pascha“gab es seit 2013 immer wieder Anschläge mit Buttersäure. Der Gestank nach faulen Eiern und Erbrochenem ließ Freier und Prostituierte ins Freie flüchten. Die Täter hatten sich als sexhungrige Touristen getarnt. Unbeobachtet verschütteten sie in den Fluren die Buttersäure. Gegen drei Tatverdächtige, darunter einen ehemaligen Beamten eines Spezialeinsatzkommandos der Polizei, ist in Köln seit Längerem ein Strafverfahren anhängig. Dabei geht es auch um den Vorwurf der Erpressung.
Weit über hundert Prostituierte sind in den vergangenen Monaten der Ladung des Gerichts nach Augsburg gefolgt, um über ihre Zeit im Münchner Bordell „Pascha“zu reden. Auch über intime Details. Ein Beispiel: In Bayern gilt seit dem Jahr 2006 Kondompflicht, seit diesem Juli ist das auch ein Bundesgesetz. Die Praxis lässt sich schwer überwachen. 70 Prozent oder mehr aller Männer, die zu Prostituierten gehen, verlangten Sex ohne Kondom, heißt es. Einen „Papiertiger“nennt man das Gesetz im Milieu. Sollte eine Prostituierte ungeschützten Sex verweigern, werde ein Freier ziemlich sicher eine andere Frau finden, die ihm seinen Wunsch erfüllt.
Im Augsburger Prozess geht es allerdings um Steuerhinterziehung. Staatsanwältin Simone Bader wirft Müller vor, „sehr raffiniert“den Fiskus in Millionenhöhe betrogen zu haben. Die 10. Strafkammer hat zwischenzeitlich anerkannt, dass die Frauen im Münchner „Pascha“freiberuflich arbeiteten, sie waren nicht angestellt. Somit entfällt der millionenschwere Vorwurf, Lohnsteuer und Sozialabgaben hinterzogen zu haben. Was bleibt, ist die Frage, ob Dienstleistungen einer Prostituierten in einem Bordell auch umsatzsteuerpflichtig sind. Wie etwa in einer Bäckerei, wo Verkäuferinnen dem Kunden Brot verkaufen – und der Ladeninhaber die fälligen 19 Prozent Mehrwertsteuer abführt. Juristen sehen in dem verhandelten Fall ein Pilotverfahren. Das Verfahren findet in Augsburg statt, weil der mitangeklagte Betriebsleiter des Münchner Bordells „Pascha“, Leo E., 58, mit seiner Familie im Kreis Augsburg wohnt.
Die Strafkammer unter Vorsitz von Richter Wolfgang Natale ist, Einnahmen und Umsatz des Bordells betrifft, auf Schätzungen angewiesen. Das elektronische Kassensystem des Klubs ließ Manipulationen zu, fand die Kripo heraus. Der Manager notierte die Tageseinnahmen handschriftlich, ausgedruckte Kassenbons wiesen andere, niedrigere Beträge aus, die später ein Steuerberater zu sehen bekam.
Um herauszufinden, wie hoch der Umsatz war, hat das Gericht die große Zahl Prostituierter als Zeuginnen geladen. Ihre Freier zahlten tagsüber für die halbe Stunde Sex 90 Euro, am Abend wurde es mit 120 Euro teurer. Extras kosteten mehr. In einem bordelleigenen Laden konnten die Frauen sich mit Handschellen, Peitschen (Stückpreis zehn Euro) und anderem Sexspielzeug eindecken, sofern sie ihr „Handwerkszeug“nicht schon bei Mietbeginn des Zimmers mitbrachten. Vom Verdienst mussten sie ein Drittel bis die Hälfte abliefern.
Gabrielle, 48, erzählt, sie habe 2006 im Münchner „Pascha“, das es inzwischen nicht mehr gibt, als „Hausdame“angefangen. Zu ihren Aufgaben gehörte es, dafür zu sorgen, dass an 365 Tagen im Jahr zu jeder Tages- und Nachtzeit rund ein Dutzend Frauen den Männern zur Verfügung standen. Prostituierte, die neu ins Haus kamen, wurden von ihr eingewiesen, mit den Tarifen sowie der Hausordnung vertraut gemacht. „Kaugummi kauen war streng verboten.“Regelmäßig fand eine Betriebsversammlung statt, Teilnahme war Pflicht. Müller war dann in Videofilmen zu sehen, er gab Anweisungen.
Im Jahr 2006, ausgerechnet am Tag der Eröffnung, platzten Polizisten und Steuerfahnder in die Runde erwartungsfroher Gäste. Eine Razzia, die sich zehn Jahre später im Mai 2016 wiederholen sollte. Dieses Mal im Salzburger „Pascha“, wo Münchner Steuerfahnder Hermann Müller von der österreichischen Polizei festnehmen ließen. Der „Pascha“-Boss hatte die Fahnder mit einem frechen Beitrag in der Münchner Boulevardzeitung herausgefordert. „Gratis-Sex im Ösi-Bordell“titelte das Blatt im Juni 2015. „Bevor ich Millionen dem Finanzwas amt zahle, verschenke ich das Geld lieber“, begründete Müller vor Reportern, weshalb sein Salzburger Klub ein „Summer-Special“anbot: freier Eintritt, freie Getränke, freier Sex. Tagelang sah man Männer vor dem Haus Schlange stehen. Elf Jahre zuvor war der Bordell-Boss vor dem deutschen Fiskus nach Österreich geflohen, hatte in Salzburg, Linz und Graz neue Klubs eröffnet.
Hermann Müller schweigt im Prozess zu den Vorwürfen. Worüber er bereit ist zu reden, ist sein Leben. Er spricht über eine Welt, in der der gelernte Oberkellner sich vom schmuddeligen Image der Rotlichtbranche abheben möchte. In seinen Erzählungen ist nicht die Rede von brutalen Zuhältern oder misshandelten Frauen. „Der Kunde muss zufrieden das Haus verlassen“, lautet sein Credo. Daher, so Müller, gab es auch seine „Geld-zurück-Garantie“, falls ein Mann sich berechtigt beschwerte. Wobei auch klar sein muss: 90 Prozent der Prostituierten sind Ausländerinnen, in vielen Fällen bieten sie ihren Körper aus wirtschaftlicher Not feil.
Hermann Müller kam 1952 in Fürth als Sohn eines Metzgers zur Welt. Schon als Bub habe er Kette geraucht, erzählt er. Mit 20 hatte der Franke in Sterne-Hotels als Oberkellner gearbeitet, er war Vater eines dreijährigen Sohnes. Mit 21 eröffnete er im Fränkischen seine erste Diskothek. In rascher Folge kam Lokal um Lokal hinzu. Diese waren konzipiert als Erlebnisgastronomie, trugen Namen wie „Lord Nelson“und „Marko Polo“. Bei Nummer 13 war Schluss. Die Pacht des Münchner Platzl 1a, gegenüber dem Hofbräuhaus, wurde Müller zum Verhängnis. Nach wenigen Monaten meldete er 1991 Insolvenz an, leistete den Offenbarungseid.
Die Pleite hatte sich schon ein Jahr zuvor in Augsburg abgezeichnet, nach einer Großrazzia der Polizei. Hermann Müller war zu jener Zeit im Nachtgeschäft der Fuggerstadt eine Größe. Im Untergeschoss der Ludwigpassagen führte er die Park-Erlebnis-Gastronomie. An Wochenenden vergnügten sich hier bis zu 1200 Gäste. Gerüchte kursierten, wonach in der Disco mit Kokain gedealt werde und illegale Glücksspiele liefen. Am 9. Februar 1991 mischten sich unter die Gäste rund 100 Polizisten in Zivil. Als um 2.45 Uhr die Musik schlagartig verstummte, stürmten uniformierte Bereitschaftspolizisten in die Disco,
Den Fiskus um Millionen betrogen?
Es gab eine Geld zurück Garantie
die als Gäste getarnten Beamten zogen grüne Polizeibinden über. Doch die für Augsburg größte Polizeirazzia der Nachkriegszeit erwies sich als Fehlschlag. Möglicherweise, weil Müller vorher aus Polizeikreisen einen Tipp bekam. Die magere Bilanz: wenige Gramm Rauschgift und ein geladener Revolver. Wochen später schliddert das „Park“aber in die Insolvenz.
1996 war Müller wieder oben auf, er eröffnete in Köln sein erstes Bordell. Es gilt als Europas größter Puff – mit mehr als 100 Frauen, die auf elf Etagen den Männern Sex verkaufen. Der Jahresumsatz liegt bei acht Millionen Euro. Und Müller hat dazu gelernt. Offiziell bleibt er im Hintergrund, er fungiert als Berater einer Betreibergesellschaft. Es ist ein Muster, das sich fortan wiederholt. Müller hat sich sein „Pascha“-Konzept markenrechtlich schützen lassen. Die Rechte für Werbung und Einrichtung lässt sich eine Firma bezahlen, die Sohn Wolfgang im schweizerischen Zug gehört. Wovon er lebe? Vom Glücksspiel, so der Angeklagte. Er trat in Spielcasinos als Teilnehmer an Pokerrunden an, die das Spartenfernsehen überträgt. Dazu kommen die 15 000 Euro, die ihm jedes „Pascha“-Bordell monatlich als Beraterhonorar zahle. Spesen, Chauffeur und Bodyguards zusätzlich, so der Angeklagte. Auf sein Pokerspiel wird der 65-Jährige wohl noch verzichten müssen. Die Staatsanwaltschaft hat für ihn eine Haftstrafe von über vier Jahren gefordert, für den Mitangeklagten Leo E. ein halbes Jahr weniger. Heute plädieren die Verteidiger – und es könnte bereits das Urteil verkündet werden.