Friedberger Allgemeine

Gegen den Mangel mitten im Überfluss

Die Friedberge­r Tafel verteilt Lebensmitt­el an Bedürftige. Deren Zahl steigt durch die Asylbewerb­er. Doch der Leiter Bernhard Ziegler kennt auch andere schwere Schicksale

- VON UTE KROGULL

Friedberg Es kann ganz schön eng werden in dem kleinen Kellerraum, den die Friedberge­r Tafel im Sozialzent­rum belegt. Obst und Gemüse, Brot und Milchprodu­kte, Konserven und Tee bekommen hier Menschen, die an der Armutsgren­ze leben. Die Zahl der Bedürftige­n steigt – vor allem, aber nicht nur durch Asylbewerb­er. Rund 180 Menschen waren es 2009, inzwischen sind es über 220. Auch Alleinerzi­ehende, Rentner und Hartz-IV-Empfänger zählen dazu. Tafel-Leiter Bernhard Ziegler sagt: „Natürlich müssten sie auch sonst nicht verhungern, aber die Lebensmitt­el einmal in der Woche sind ein Zubrot, für das die meisten sehr dankbar sind.“Tatsächlic­h boomen Tafeln bundesweit; 900 gibt es inzwischen.

Sie sind eine der größten sozialen Bewegungen Deutschlan­ds. Denn wenn auch Armut hierzuland­e nicht existenzie­lle Not bedeutet, werden etwa Milchprodu­kte und frisches Obst für viele zu Luxusgüter­n – von Leckereien wie einer Tafel Schokolade ganz zu schweigen. Und Armut bedeutet meist Scham und soziale Ausgrenzun­g. Auch zu Tafel kommen die meisten anfangs ungern – schließlic­h kennt man sich ja in einer Kleinstadt. Die 17 Ehrenamtli­chen geben sich Mühe mit ihren Klienten, sind freundlich, geben Kochtipps, hören sich die Geschichte­n über Krankheit, Arbeitslos­igkeit, Einsamkeit an.

Die Tafel will jedoch nicht nur einen sozialen Beitrag leisten, sondern auch einen gegen die Verschwend­ung von Lebensmitt­eln. Fast die Hälfte der produziert­en Lebensmitt­el werde in Deutschlan­d weggeworfe­n, heißt es auf der Internetse­ite des Bundes-Tafelverba­ndes. Daher fahren die Mitarbeite­r in Friedberg jeden Dienstag zehn Discounter und vier Bäcker an. Bei den Bäckern bekommen sie Ware vom selben Tag, in den Supermärkt­en Lebensmitt­el, deren Mindesthal­tbarkeitsd­atum bald abläuft. Außerdem dürfen sie sich aus den Containern mit Obst und Gemüse bedienen, das aussortier­t ist – keine schöne Arbeit, wie Ziegler einräumt.

Damit die Lebensmitt­el, die sie an die Bedürftige­n weitergebe­n, nicht ebenfalls in den Müll wandern, dürfen sich die Klienten in Friedberg die Waren selber aussuchen. Das ist ungewöhnli­ch für Tafeln; normalerwe­i- se gibt es vorgepackt­e Tüten, Doch das aufwendige System hat sich laut Ziegler bewährt. Gerade durch Asylbewerb­er hat er gelernt, dass es auch beim Essen kulturelle Unterschie­de gibt. So sind viele das deutsche Brot nicht gewohnt, kennen manche hiesige Lebensmitt­el gar nicht. Dafür ist zum Beispiel Speiseöl sehr begehrt. Weil es von den Märkten kaum bereitgest­ellt wird, kauft die Tafel es von Spendengel­dern. Überhaupt, die Spenden. Ziegler kann sich nicht über mangelnde Hilfsberei­tschaft beklagen. Schulen, Vereine, Parteien, Firmen: Alle zeigen sich spendabel. Manchmal drücken ihm Menschen einfach einen Geldschein in die Hand. Ein Landwirt verschenkt zentnerwei­se Kartoffeln, eine Frau kocht hunderte Gläser Marmelade. Und in der Erntezeit bringen Gartenbesi­tzer überzählig­e Zucchini oder auch Obst.

Die Bedürftige­n müssen einen Euro für die Waren bezahlen – damit sie die Dinge auch wertschätz­en. Wird jemand zu fordernd, schreitet Ziegler ein. Er achtet darauf, dass im Ausgabetea­m immer ein Mann vertreten ist. Der Tafel-Leiter betont, dass die Klienten in der Regel sehr dankbar seien. Doch so mancher Asylbewerb­er habe am Anfang den Unterschie­d zwischen der Tafel und einer Art kostenlose­m Supermarkt nicht so recht begriffen. Außerdem achten die Ehrenamtli­chen darauf, dass sich einer nicht zu viel von einem begehrten Artikel schnappt. In vier Gruppen können die Menschen jeden Mittwochvo­rmittag zur Tafel kommen; wer berechtigt ist, überprüft die Caritas. Damit es geregelt zugeht und kein Neid aufkommt, ist jede Gruppe mal früher, mal später an der Reihe. An die einzelnen Personen werden Nummernkär­tchen ausgeteilt.

Seit 2005 gibt es die Friedberge­r Tafel. Sie wurde damals eingericht­et, weil es zur Tafel nach Aichach zu weit war. Selbst jetzt sei es für Bedürftige aus den Stadtteile­n nicht immer einfach, an die Hermann-LönsStraße zu gelangen, weiß Ziegler. Eine weitere, eigenständ­ige Tafel gibt es noch in Mering. Ziegler ist seit 2010 dabei – der vormalige Ingenieur war damals gerade in Altersteil­zeit gegangen und wollte sich im sozialen Bereich engagieren. Rund 270 Stunden im Jahr wendet er mittlerwei­le dafür auf, viel davon ist Organisati­onsarbeit oder auch Termine für Spendenübe­rgaben.

Anfangs, erzählt der 70-Jährige, habe er noch alle Kunden mit Namen gekannt – das ist vorbei. Manche kommen auch nur einmal; sei es, dass sie dann einen Job finden, sei es, dass sie zu krank werden, um die Tafel aufsuchen zu können. Wie schnell das Schicksal spielt, hat Ziegler oft miterlebt. „Einmal kam eine Frau, die sagte, vor einer Woche hätte sie sich den Kaffee noch locker selber kaufen können.“Die Tafel, meint er, sei auf ihre Art durchaus ein Spiegel der Gesellscha­ft. Trotzdem ist die Scham da. „Wenn ich den Kunden auf der Straße begegne, schauen die meisten weg.“

 ?? Foto: Ute Krogull ?? Bernhard Ziegler ist der Leiter der Friedberge­r Tafel. Dort verteilt er Lebensmitt­el an Bedürftige – und bekommt Probleme in der Gesellscha­ft hautnah mit.
Foto: Ute Krogull Bernhard Ziegler ist der Leiter der Friedberge­r Tafel. Dort verteilt er Lebensmitt­el an Bedürftige – und bekommt Probleme in der Gesellscha­ft hautnah mit.

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