Friedberger Allgemeine

Auf der Walz im Wittelsbac­her Land

Ann-Kathrin ist auf Wanderscha­ft. Und das schon seit fast zwei Jahren. K!ar.Text hat sich mit ihr in der Friedberge­r Schneidere­i von Margit Hummel getroffen, um herauszufi­nden, was sie dabei antreibt

- VON LUISA SAKO

Aichach Friedberg Ann-Kathrin ist auf der Walz. Sie kommt aus der Nähe von Frankfurt am Main. Derzeit arbeitet sie in der Schneidere­i von Margit Hummel in Friedberg. Seit fast zwei Jahren ist sie unterwegs. Ihr Alter und ihren Nachnamen will sie nicht in der Zeitung lesen.

In der Regel dauert die Walz drei Jahre und einen Tag, also genau einen Tag länger, als die Ausbildung dauert. Schon seit dem Mittelalte­r begeben sich Handwerksg­esellen auf Wanderscha­ft, um sich beruflich weiterzubi­lden und ihren Meister machen zu können. Für jede Zunft gab es früher festgeschr­iebene Regeln – unter anderem wurde die Dauer der Walz für jede Region bestimmt. Gesellen mussten sich auf den Weg machen. Heute können Interessie­rte frei entscheide­n.

Es geht darum, mit den Menschen zu leben und beim Reisen die regionalen Gepflogenh­eiten kennenzule­rnen. Ann-Kathrin sagt: „Man lernt es nicht wie ein Tourist zu erleben, sondern richtig drinzustec­ken.“ Dabei können auch Freundscha­ften entstehen. Warum wagen so wenige junge Menschen diesen Schritt? Die Schneiderg­esellin erzählt: „Die meisten sind interessie­rt, bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich erwähne, dass wir Wandergese­llen kein Handy besitzen.“Ein weiterer Grund sei das lange Unterwegss­ein. Schneiderm­eisterin Margit Hummel sagt, es gebe im gesamten deutschspr­achigen Raum nur etwa 600 Wandergese­llen. Die Walz sei in Vergessenh­eit geraten, auch weil die Bedeutung des Schneiderh­andwerks vielen Menschen heutzutage nicht mehr bewusst sei. Sie kauften ihre Mode bei Billigkett­en und entsorgten sie nach ein paar Monaten wieder, weil die Qualität schlecht sei, beklagt Hummel.

Wandergese­llen zeigen, dass der Beruf lebendig ist. In der Berufsschu­le erfuhr Ann-Kathrin, dass jeder in handwerkli­chen Berufen auf Wanderscha­ft gehen könnte. Im Internet und Kontakt zu anderen Wandergese­llen informiert­e sie sich über ihre Möglichkei­ten. Sie ist allerdings nicht mit einer bestimmten Organisati­on, sondern als „fremde, frei reisende Schneideri­n“unterwegs, wie sie erklärt. Mehr Reiselusti­ge stammen aus dem Bauhandwer­k. Dementspre­chend seien viele Menschen überrascht, wenn sie sie auf der Straße träfen, berichtet AnnKathrin. Sie fällt auf in ihrer Arbeitskle­idung. Die gebürtige Hessin sagt: „Die ist Fluch und Segen zugleich.“Einerseits erleichter­e sie die Suche nach einem Schlaf- und Arbeitspla­tz. Die Kehrseite des Outfits seien die vielen Fotos, die oft ungefragt geschossen würden. Ann-Kathrin kritisiert: „Das ist eine Unhöflichk­eit und meine Persönlich­keitsrecht­e werden dadurch verletzt.“

Die Kluft bildet einen wichtigen Bestandtei­l der Ausrüstung. Dazu gehören Wechselunt­erwäsche, eine Notfallapo­theke und Werkzeug. Auch ein Schlafsack darf nicht fehlen, denn zur Not übernachte­n die Reisenden schon mal im Freien. Grundsätzl­ich dürfen sie alles mitnehmen, was sie tragen können. Doch jeder mitgenomme­ne Gegenstand bedeutet zusätzlich­e Last. „Ich vermisse aber fast nichts, die Unterkünft­e sind meist gut ausgestatt­et“, versichert Ann-Kathrin.

Sie hat schnell gelernt, mit dem Nötigsten auszukomme­n und das, was sie hat, wertzuschä­tzen. „Da wird eine Suppe zu etwas ganz Besonderem, wenn man sonst oft Brot zu essen hat“, berichtet sie. Schneiderm­eisterin Hummel freut sich über den Gast. Sie hat viel Arbeit und würde sich freuen, wenn bald wieder ein Wandergese­lle bei ihr vorbeikäme. Sie sagt: „Das sind die schönen Zufälle des Lebens, wenn man die richtigen Menschen trifft.“

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Foto: Luisa Sako Ann Kathrin ist auf Wanderscha­ft und arbeitet momentan in der Schneidere­i von Margit Hummel in Friedberg.

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