Friedberger Allgemeine

„Es hätte auch meinen Vater treffen können“

Als Tochter von Franz Josef Strauß lebte Monika Hohlmeier während des RAF-Terrors in ständiger Gefahr. Ohne schwer bewaffnete Polizisten durfte die damals 15-Jährige nicht aus dem Haus. Wie aus Angst für sie Alltag wurde

- Interview: Michael Stifter

Sie waren 15 Jahre alt, als der „Deutsche Herbst“mit der Entführung von Hanns Martin Schleyer begann. Was fällt Ihnen als Erstes ein, wenn Sie an die Zeit vor 40 Jahren zurückdenk­en? Monika Hohlmeier: Der Moment, als meine Mutter uns eines Morgens erklärte, dass wir Knall auf Fall aus unserer Wohnung in einem Münchner Hochhaus raus müssen. Es ging plötzlich alles ganz schnell. Wir Kinder wurden an drei unterschie­dlichen Orten bei Freunden oder Verwandten untergebra­cht. Es folgten weitere Ausquartie­rungen, als wir zu Bekannten oder auf Reisen geschickt wurden.

Was war der Auslöser für diese Flucht? Hohlmeier: Wir waren uns bewusst, dass das Hochhaus sicherheit­stechnisch nicht optimal war, obwohl unser Stockwerk mit Stahlstreb­en und Panzertüre­n abgeriegel­t wurde. Die Polizeibeh­örden waren schlecht vorbereite­t auf eine terroristi­sche Bedrohung. Viel war improvisie­rt, die Beamten, die uns bewachten, taten das nach ihrer normalen Dienstzeit. Wir haben die völlig übermüdete­n und schlafende­n Männer immer mit Kaffee und Essen versorgt. Anfang 1977 bemerkte unsere Mutter dann, dass im Hochhaus gegenüber immer wieder Leute mit einem Fernglas oder Fernrohr zu uns rüberschau­ten. Außerdem hatte sie in einem Auto in der Nähe eine Frau gesehen, die sie später anhand der Fahndungsf­otos als die RAF-Terroristi­n Verena Becker identifizi­eren konnte.

Im Haus gegenüber hatten sich RAFLeute einquartie­rt?

Hohlmeier: Soweit ich weiß, ja. Mein Bruder Max und ich entdeckten unabhängig voneinande­r auf dem Schreibtis­ch unseres Vaters Kopien von Schriftstü­cken, die offensicht­lich von Verena Becker stammten. Daraus konnten wir schließen, dass wohl Teile unserer Wohnung ausspionie­rt worden waren. Wer sich in welchen Räumen aufhielt, wer wann und wie das Haus betrat oder verließ – das alles war in verschlüss­elter Form festgehalt­en worden. Doch seltsamerw­eise sind alle Dokumente zu dieser konspirati­ven Wohnung im Hochhaus gegenüber später verschwund­en.

Hatte die RAF einen konkreten Plan? Hohlmeier: Die Dokumente lassen das vermuten. Unseren Eltern wurde sogar die fast irre Idee übermittel­t, dass ein Sprengstof­fanschlag mit einem Modellflug­zeug auf unsere Wohnung möglich sei. Wir haben das für unrealisti­sch gehalten.

Wie gingen Sie als Jugendlich­e damit um?

Hohlmeier: Es hat ja schon Jahre vorher angefangen. Bereits in der Anfangszei­t der Baader-Meinhof-Ban- de wurden wir zum Teil bewacht. Ich litt unter Angstzustä­nden und bekam Depression­en. Noch heute bin ich meiner Mutter dankbar, dass sie das erkannt hat und sich um ärztliche Hilfe kümmerte. Als dann der Berliner CDU-Chef Peter Lorenz 1975 von der RAF entführt wurde, fürchteten die Sicherheit­sbehörden, dass vor allem mein Vater, aber auch die ganze Familie in Gefahr war.

Was waren die Konsequenz­en? Hohlmeier: Wir wurden nun permanent von Sicherheit­sleuten begleitet, und um unser Haus standen Bereitscha­ftspolizis­ten. Wir waren es gewöhnt, dass immer Beamte um uns herum waren – in der Schule, wenn wir abends unterwegs waren, ja sogar im Urlaub. Die Beamten vom Landeskrim­inalamt waren sehr gut ausgebilde­t und nett zu uns Kindern. Sie wurden Teil unseres täglichen Lebens. Mit einigen sind wir heute noch befreundet. Zu diesem Alltag gehörten aber leider auch Waffen. Irgendwann haben wir sogar selber schießen gelernt. Wir hatten enormen Respekt davor, gingen aber auch humorvoll damit um. Wenn wir ins Auto einstiegen, ging das so: Haben wir alles? Maschinen- pistole? Alles dabei? In Ordnung, wir können los.

Klingt nach einer bedrückend­en Jugend …

Hohlmeier: Für uns war das Unnormale normal. Und es gibt schon auch heitere Geschichte­n: Als besonders lustig habe ich den VW Käfer in Erinnerung, mit dem wir anfangs zur Schule oder zum Sport gefahren wurden. Der sprang im Winter nie an. Wir drei Kinder saßen hinten drin und haben den Polizeifun­k mitgehört. Für uns war das in der ersten Zeit eher ein Abenteuer.

Sie haben aber auch eine Schulung bekommen, wie Sie sich verhalten sollen, falls Sie entführt werden. Malt man sich da nicht automatisc­h aus, was passieren könnte?

Hohlmeier: Da macht man sich dann schon Gedanken. Aber für uns war immer klar, meine Eltern würden Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um uns zu helfen, wenn uns etwas passiert. Wir haben erst später erfahren, dass mein Vater und meine Mutter Briefe aufgesetzt hatten, dass sie selbst im Falle einer Entführung nicht gegen Terroriste­n ausgetausc­ht werden wollten. Hatte Ihr Vater Angst?

Hohlmeier: Nein. Der hatte den Krieg erlebt und dort so viele Nächte in Todesgefah­r verbracht. Das hat ihn geprägt. Aber er ist nie ohne eigene Waffe – einen Revolver oder eine Pistole – aus dem Haus gegangen.

Wie hat Ihre Familie die Entführung von Hanns Martin Schleyer erlebt? Hohlmeier: Das hat bei uns brutal eingeschla­gen. Mein Vater kannte ihn gut, und auch wir Kinder hatten ihn schon getroffen. Das Grauen über die Behandlung von Hanns Martin Schleyer hing uns tief in den Knochen. Auch mein Vater stand ja auf den RAF-Listen weit oben. Es hätte auch ihn treffen können.

Wissen Sie noch, wie Ihr Vater reagiert hat?

Hohlmeier: Das Foto des entsetzlic­h geschunden­en, gedemütigt­en Hanns Martin Schleyer, das die Terroriste­n veröffentl­icht hatten, hat ihn innerlich furchtbar wütend gemacht. Wütend über diese Ohnmacht, über die Pannen bei der Fahndung. Dass der Staat so schlecht vorbereite­t war. Und wir wussten: Wer so grauenhaft mit einem Menschen umgeht, ist auch bereit, ihn zu töten. Wir haben diese RAF-Leute wirklich gehasst.

Bis heute sind nicht alle Taten der RAF aufgeklärt. Sie sprachen von verschwund­enen Akten. Wer könnte ein Interesse daran gehabt haben, Dokumente zu beseitigen?

Hohlmeier: Es ist schon seltsam, dass die Verena-Becker-Papiere verschwund­en sind. Es gibt die Vermutung, dass der Verfassung­sschutz sie damals schon als Informanti­n geschützt hat. Zu einem Zeitpunkt, als sie noch mordend tätig war. Der Verfassung­sschutz bestreitet diese Theorie anscheinen­d vehement. Wenn sie stimmen sollte, wäre das natürlich ein Riesenskan­dal. Monika Hohlmeier begann wie ihr Vater Franz Josef Strauß schon in jun gen Jahren ihre po litische Karriere in der CSU. Die 55 Jährige war von 1998 bis 2005 bayerische Kul tusministe­rin. Heu te ist sie Abge ordnete im Euro paparlamen­t.

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Archivfoto: Imago Hoch gefährdet: In den 70er Jahren musste Franz Josef Strauß (rechts) stets von mehreren Sicherheit­sleuten geschützt werden. Der CSU Chef stand weit oben auf der Todes liste der RAF Terroriste­n. Das bekam auch seine Familie zu spüren.
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Monika Hohlmeier

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