Friedberger Allgemeine

Transferfe­nster

- VON MICHAEL SCHREINER

Ab sofort wird es in den Kabinen stickig. Transpirie­ren geht noch, Transferie­ren nicht mehr.

Das Fenster ist nicht einmal mehr gekippt, sondern fest geschlosse­n. Dicht. Niemand kommt mehr rein, keiner darf mehr raus. Berater müssen draußen bleiben, Emissäre mit Geldkoffer­n ebenso. Wenn noch etwas hinauswabe­rt, dann sind es höchstens Gerüchte, die den Weg durch die Kabinentür­ritzen schaffen. Die Profifußba­ller sind nun gefangen in ihren Verträgen und Trikotfarb­en. Doch niemand wird ersticken oder verarmen.

In der Winterpaus­e nämlich öffnet sich das Transferfe­nster wieder, es wird aufgerisse­n wie ein Stadttor vor dem Marktplatz. Und dann geht das Wechselspi­el für ein paar Wochen des Stoßlüften­s wieder weiter, bevor es heißt: Transferfe­nster ist noch 12, dann nur noch 4, 3, 2, 1 Stunden offen … Transferfe­nster nur noch ein Guckloch – und dann rasseln die Rollos runter. Dicht, geschlosse­n, closed. Wer jetzt noch anklopft in der Dämmerung und Fensterred­en mit vielen Nullen hält, wird bis Sommer vertröstet. Bis dahin gehen die Preise der Gefangenen durch die Decke, weshalb das Transferfe­nster eigentlich eine Dachluke ist.

Man würde sich das Transferfe­nster im Fußballges­chäft gerne vorstellen wie früher die Schiebefen­ster, als es noch Gassenschä­nken gab, wo man sein Bier to go abholte und in Vorfreude nach Hause transferie­rte. Oder als kleine Verkaufsth­eke wie einst an den Kiosken. Wenn dort das Fenster geschlosse­n war, gab’s keine Gummiteufe­lchen oder Paninibild­er mehr zu kaufen – nicht einmal zur Ausleihe. Man musste aufs Zeitfenste­r schauen, das meist die Form eines handgeschr­iebenen Zettels mit den Öffnungsze­iten hatte.

Das Wort „Transfer“kleidet das Gefeilsche und Geschacher­e, das Pokern und Hochschauk­eln wie einen Sonntagsan­zug. Im Grunde ist Europas Profifußba­ll zu einer Menschenwa­renbörse geworden, an der mit Aktien gehandelt wird, die kurze Hosen tragen. Kein Mensch begreift, warum ein Großinvest­or wie Warren Buffett noch Apple und Coca-Cola kauft statt Start ups wie Dembélé oder Weltmarktf­ührer wie Neymar. Der Mann steckt in einer Sackgasse. Kennt er denn Joseph Joubert nicht? Das ist kein 19-jähriger Flügelstür­mer von Olympique Lyon, sondern ein französisc­her Schriftste­ller, der 1754 bis 1824 lebte, also noch vor Franz Beckenbaue­r. Joubert hat geschriebe­n: „Klopft man vergebens an die Tür mancher Wahrheiten, so muß man versuchen, durchs Fenster einzudring­en.“

 ?? Foto: Imago ?? Keine so schlechte Welt, die wir unseren Kindern übergeben? Ausblick aus dem „Sphären Gebäude“auf der aktuellen Weltausste­llung im kasachisch­en Astana.
Foto: Imago Keine so schlechte Welt, die wir unseren Kindern übergeben? Ausblick aus dem „Sphären Gebäude“auf der aktuellen Weltausste­llung im kasachisch­en Astana.

Newspapers in German

Newspapers from Germany