Friedberger Allgemeine

Wie eine echte Krachleder­ne entsteht

In der Gerberei Aigner werden seit mehr als 150 Jahren Lederwaren von Hand gefertigt. Die Mitarbeite­rinnen verraten, wer sich ein Unikat gönnt und welche Trends gefragt sind

- VON INA KRESSE

Neulich ist ein Kunde extra mit dem Flixbus aus dem westfälisc­hen Münster nach Augsburg angereist, um bei Leder Aigner Maß nehmen zu lassen. Er wollte eine Trachtenle­derhose. Die Gerberei in der Altstadt, die es bereits seit 1855 gibt, ist zwar etwas versteckt, bei Kennern aber bekannt. Hier werden immer noch Lederwaren von Hand gefertigt. Bei den Lederhosen ist derzeit ein bestimmtes Detail sehr gefragt.

Wer glaubt, vor Beginn des Plärrers sei in dem Traditions­geschäft in den vergangene­n Wochen die Nachfrage nach Trachtenle­derhosen stark gestiegen, der irrt. „Die Augsburger laufen auf dem Plärrer eher mit Hosen aus Bangladesc­h herum“, meint Mitarbeite­rin Heidi Münch unumwunden. Es seien mehr die Menschen aus dem Umland, die sich bei ihnen etwas maßschneid­ern lassen. Oder eben aus anderen deutschen Städten und Regionen.

Das Traditions­geschäft am Vorderen Lech hat sich schon lange wegen seines speziell bearbeitet­en Hirschlede­rs einen Namen gemacht. Aus dieser Tierhaut werden hier die Hosen genäht. Das Hirschlede­r wird in dem alten Gebäude immer noch selbst gegerbt, gefärbt und zu Kleidung und Taschen weitervera­rbeitet. Münch arbeitet schon seit über 20 Jahren in dem Geschäft, ihre Kollegin Brigitte Schoofs sogar seit über 30. Beide beobachten, wie sich der Geschmack der Kunden bei Trachtenle­derhosen immer wieder mal verändert. Und das hat nicht immer unbedingt etwas mit dem Schnitt der Hose zu tun. Der Geschmack beginnt schon beim Material.

Bis vor Kurzem noch sei das Leder von Hirschen aus Neuseeland besonders beliebt gewesen, erzählt Münch. Es gelte als makellos, weil es in dem Land keine Dasselflie­gen gebe wie in Europa. „Die legen nämlich ihre Eier in der Haut der Tiere ab. Das sorgt für Vernarbung­en“, sagt Münch und zeigt an einer Lederhose auf winzige Einkerbung­en. „Inzwischen geht der Kunde wieder mehr zur Natur zurück.“Da darf dann auch ein Kratzer im Leder sein, den sich der Hirsch zu Lebzeiten im Wald zugezogen hat. Oder kleine Narben durch die Fliegenlar­ven. Der glatte Neuseeland­Hirsch ist also gar nicht mehr so gefragt. „Wir können wieder vermehrt auf europäisch­e Tiere zurückgrei­fen, wie früher“, berichtet die Expertin. Bis die Rohhaut eines Hirsches als Leder zur Weitervera­rbeitung bereit ist, verstreich­en sechs bis acht Monate. Allein die Gerbung ist aufwendig.

Bei dem speziellen Sämisch-Verfahren wird die Tierhaut mehrere Male in Fett getränkt und zum Oxidieren in den Dachboden des Altstadtha­uses gehängt. „Chemie kommt an das Leder nicht ran.“Dann müsse das Material noch geschliffe­n, gewalkt und gefärbt werden. „Früher gab es nur drei Färbungen“, erzählt Schoofs. „Grau, Grün und Schwarz.“Längst ist hier die Vielfalt größer. Wie auch bei den Stickereie­n.

Heidi Münch zeigt eine helle kurze Lederhose mit auffällige­n, knallblaue­n Blumen darauf. Blaue Sti- ckereien seien derzeit sehr gefragt. Überhaupt wollen viele Kunden bei den Verzierung­en kräftigere Farben. Gestickt wird per Hand mit Nadel und Seide. An die tausend Mal wird durch das feste Leder gestochen, bis eine Stickerei fertig ist. Manchmal müsse man sogar mit eieben

ner Zange die Nadel wieder aus dem Leder ziehen. „Man piekst sich schon öfters in die Finger.“In einer Trachtenho­se stecken 20 bis 30 Stunden Handarbeit. Eine kurze Hose kostet laut Münch im Grundpreis 550 Euro. Die zusätzlich­en Stickereie­n beginnen bei 250 Euro. Nach oben sind dann keine Grenzen gesetzt. Zum Glück gebe es noch Kunden, die eine handgefert­igte Lederhose schätzen, sagt Münch. „Neulich hat ein Junge von seinen Eltern zum Abitur eine geschenkt bekommen.“

Es kämen auch junge Männer, um sich die alte Krachleder­ne des Großvaters umändern zu lassen. „So etwas finde ich schön.“Münch erzählt von einem Paar, das in seine Lederhosen gegenseiti­g die Kosenamen „Eichhörnch­en“und „Krebs“gestickt haben wollte. Oder von einem Augsburger, der jetzt in Dubai lebt und zu dem dortigen Oktoberfes­t eine echte, handgenäht­e Lederhose haben wollte. Über solche Aufträge freut man sich bei dem Hirschlede­rer. Die Lederhosen wird es auch noch geben, wenn das Geschäft in der Altstadt nicht mehr besteht. „Wir sind die letzte Generation“, sagt Münch. „Wir machen noch so lange, wie es geht. Dann ist Schluss. Dann war’s das.“

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Fotos: Silvio Wyszengrad Die langjährig­en Mitarbeite­rinnen Heidi Münch (links) und Brigitte Schoof lassen sich in der Werkstatt der Gerberei Aigner bei der Arbeit an einer Lederhose über die Schulter schauen.

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