Die Strategie der gezielten Provokationen
Der nationalkonservative Intellektuelle Alexander Gauland und die Ökonomin Alice Weidel wollen die AfD in den Bundestag bringen. Sie wissen, wie sie mit Tabubrüchen auf sich aufmerksam machen können
Der Wehrbeauftragte der Bundeswehr, Hans Peter Bartels, auf die Frage, wie gut die Truppe für Auslandseinsätze ausgestattet ist Berlin/Magdeburg Der Kampf um die Vorherrschaft auf dem altehrwürdigen Magdeburger Domplatz wird mit Lautsprechern ausgetragen. Die AfD schickt eine Mezzosopranistin ins Rennen, die mit ihrer Stimmgewalt Volkslieder wie „Kein schöner Land in dieser Zeit“oder „Die Gedanken sind frei“vorträgt. Trotz der gewaltigen Anlage auf der Bühne dringt sie nur schwer durch. Denn die Gegendemonstranten, die mit „Nazis raus“-Rufen aufmarschieren, stellen einen Kleintransporter auf, dessen Ladefläche mit großen Boxen gefüllt ist, und kontern mit lautstarkem Hardrock oder Punk.
„Dieser Wahlkampf ist schwierig für uns“, stöhnt AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland, der sich trotz seiner 76 Jahre ein strammes Programm zumutet und seit Mitte Juli durch Deutschland tourt. Die Stimmung sei aggressiv bis feindlich, die „Systemmedien“hätten sich gegen seine Partei verschworen und die „Konsensparteien“würden alles tun, um die unliebsame Konkurrenz zu verhindern. Doch das stachelt Gauland erst recht an: „Haltet zusammen und lasst euch von denen, die um ihre Sitze und ihre Pfründe fürchten, nicht weismachen, wir seien die Schlechten. Wir sind die Guten!“, ruft er seinen Anhängern zu, die sich trotz eines Regengusses vor der Kulisse des gotischen Doms versammelt haben.
Gerne inszeniert sich Alexander Gauland, der seit seiner Zeit als Presseattaché am Generalkonsulat in Edinburgh in den 70er Jahren gerne wie ein gepflegter englischer Landlord auftritt, als nationalkonservativer Intellektueller. Dabei gehörte er einst dem liberalen Flügel der CDU an. An der Seite von Walter Wallmann, dem Gauland als persönlicher Referent und Chef der Staatskanzlei diente, modernisierte er in den späten 70er und 80er Jahren die Union und öffnete sie ein Stück dem Zeitgeist. Wallmann war einst Frankfurter OB, Bundesumweltminister und hessischer Ministerpräsident. „Das waren andere Zeiten“, sagt Gauland dazu. Heute gehe es darum, Deutschland zu retten. „Wir wollen nicht die Fußabtreter der Welt sein. Wir verteidigen dieses Land gegen millionenfache Einwanderung.“Der Islam gehöre nicht zu Deutschland, man wolle keine offenen Grenzen und man lasse sich nicht wegnehmen, „was unsere Väter und Vorväter geschaffen haben“.
Das ist es, was viele hören wollen. Nicht nur in Magdeburg, wo die AfD bei den Landtagswahlen aus dem Stand auf fast 25 Prozent kam, sondern überall in Deutschland gibt es Angst vor der Zukunft und heftige Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin. Und Gauland, der mit allen Wassern gewaschene Politik-Profi, weiß genau, wie man diese Stimmungen für sich nutzen kann. In der AfD, zu deren Grün- dungsmitgliedern er gehört, ist der seit der Wende in Brandenburg lebende frühere Herausgeber der
längst der eigentlich starke Mann. Zusammen mit Björn Höcke aus Thüringen und André Poggenburg vom rechten Flügel bildet er das eigentliche Kraftzentrum. So gilt als sicher, dass Gauland nach der Wahl Fraktionschef der AfD im Bundestag wird, womit er seine Macht noch ausbaut.
Dagegen ist offen, was aus der Co-Spitzenkandidatin Alice Weidel nach der Wahl wird. Eigentlich war die 38-jährige Ökonomin mit dem stets streng nach hinten gebundenen blonden Pferdeschwanz, die in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft mit einer aus Sri Lanka stammenden Filmemacherin in der Schweiz lebt, nur gekürt worden, um die umstrittene Frauke Petry zu verhindern.
Zudem sollte sie ein anderes Gesicht der AfD verkörpern: jung, gleichgeschlechtlich, liberal, gebildet, kosmopolitisch. Oder doch ein Feigenblatt, das den Vorwurf, die AfD sei eine rein rückwärtsgewandte, völkische und ausländerfeindliche Partei, allein durch die Biografie widerlegen sollte? Bei den Wahlkampfauftritten zeigt sich eine andere Weidel: weder liberal noch weltoffen, sondern in manchen Ansichten noch radikaler als der bürgerliche Gauland. Bundeskanzlerin Angela Merkel nennt sie mit Verachtung „Extremismuskanzlerin“. Unter dem Jubel der Anhänger („Merkel muss weg!“) fordert sie lautstark, die Regierungschefin müsse vor ein Gericht gestellt werden, weil sie Deutschland einem „Mob“ausgeliefert habe, als sie 2015 die Grenzen geöffnet hat. Man müsse nur mal im Internet die beiden Worte „Mann“und „Messer“eingeben, um zu sehen, was in Deutschland mittlerweile los sei.
Die Kunst der gezielten Provokationen und der gut platzierten Tabubrüche, die der AfD zusätzliche Aufmerksamkeit bescheren und die Reihen nach innen schließen, beherrschen Gauland wie Weidel perfekt. Die Methode, die bereits in einem internen Strategiepapier für die Bundestagswahl empfohlen wurde, folgt stets dem gleichen Muster: Erst kommt es zum Eklat, danach will man es nicht so gemeint haben. So war es, als Gauland sagte, man wolle einen wie Jérôme Boateng nicht als Nachbarn haben, als er forderte, die Staatsministerin im Kanzleramt, Aydan Özoguz (SPD), in