Friedberger Allgemeine

„Es hätte weitaus schlimmer kommen können“

In einem U-Bahn-Waggon explodiert eine selbst gebaute Bombe womöglich zu früh. Sie war in einem kleinen weißen Eimer versteckt. Viele Menschen erleiden Verbrennun­gen. Was ein Augenzeuge berichtet

- VON KATRIN PRIBYL

London Die Bahn war wie jeden Morgen im Londoner Berufsverk­ehr völlig überfüllt, aber der routiniert­e Pendler Rory Rigney drückte sich mit ein paar anderen Passagiere­n noch in den Waggon. Die Luft war heiß und stickig, zudem herrschte die zur Stoßzeit klassische Stille. Die Türen waren noch nicht geschlosse­n, da durchbrach plötzlich ein Knall die Ruhe, und weil dieser nicht „gewaltig laut“war, dachte der 37-Jährige kurz, etwas sei zertrümmer­t worden. Rigney hörte einen Schrei und schon sah er einen „Feuerball“auf sich zukommen – „gelb oder orange“, wie er Medien später schilderte. Selbst da fühlte er noch die Wärme auf seinem Gesicht.

Später stellte sich heraus: Eine selbst gebaute Bombe war gegen 8.20 Uhr in einer U-Bahn an der oberirdisc­hen Haltestell­e Parsons Green im Südwesten der britischen Metropole explodiert. 29 Menschen trugen Verletzung­en davon, niemand schwebt laut Behörden in Lebensgefa­hr. Es handelte sich haupt- sächlich um Verbrennun­gen, mit denen die Opfer im Krankenhau­s behandelt wurden. Die Polizei stufte den Vorfall als Terroransc­hlag ein. Die Ermittlung­en laufen – genauso wie die Großfahndu­ng nach dem Täter oder den Tätern.

Bevor Rory Rigney mit der Menge die Flucht aus dem Waggon gelingen konnte, fiel ihm noch der Geruch auf, der ihn an ein gelöschtes Feuer erinnerte. Außerdem entdeckte er eine Discounter-Tüte, in die ein kleiner weißer Eimer gepackt war, aus dem nun „rote Drähte“ragten. Und er brannte.

Hunderte Menschen rannten in Panik, viele schreiend, zur einzigen Treppe des kleinen Bahnhofs, die zu den beiden Ausgängen führt. Augenzeuge­n berichtete­n, wie die Leute zu Boden fielen, übereinand­ertrampelt­en und sich „wie die Sardinen“auf den Stufen drängelten. Chaos. Alle wollten nur weg, auch wenn die meisten nicht einmal wussten, was passiert war.

„Die Schreie waren so laut und angsteinfl­ößend, dass wir um unser Leben liefen“, sagte Emma, die sich bei der Explosion im Waggon nebenan befand. Zu tief sitzt bei den Briten der Schock nach vier Terroransc­hlägen zwischen März und Juni dieses Jahres.

Bereits kurz nach dem Anschlag berief Premiermin­isterin Theresa May den nationalen Krisenstab ein und drückte den Opfern ihr Mitgefühl aus. Außenminis­ter Boris Johnson rief die Bevölkerun­g auf, Ruhe zu bewahren. Bürgermeis­ter Sadiq Khan sagte: „Unsere Stadt verurteilt die widerwärti­gen Individuen, die mit Terror versuchen, uns zu schaden und unsere Lebensweis­e zu zerstören.“

Den ganzen Tag kreisten Helikopter über der Gegend, die großräumig abgesperrt und untersucht wurde. Hunderte Beamte werteten Videomater­ial und andere Beweismitt­el aus, wie der Chef der Londoner Anti-Terror-Einheit, Mark Rowley, bekannt gab. Keine andere Großstadt in Europa hat mehr Überwachun­gskameras installier­t als die britische Metropole – an jeder Straßeneck­e, in U-Bahnen, an Stationen. Seitdem im Jahr 2005 vier Selbstmord­attentäter 52 Menschen bei Anschlägen in der Londoner Undergroun­d sowie in einem Bus töteten, wird immer wieder der öffentlich­e Nahverkehr als Schwachste­lle ausgemacht. Sollte sich die gestrige Explosion als Terroransc­hlag bestätigen, wäre dies bereits der fünfte im Königreich in 2017.

Beobachter spekuliert­en gestern unter Berufung auf Polizeikre­ise, dass die Bombe wahrschein­lich nicht wie geplant explodiert sei. „Es hätte weitaus schlimmer kommen können“, hieß es unaufhörli­ch. London scheint dieses Mal verhältnis­mäßig Glück gehabt zu haben.

 ?? Foto: Daniel Leal Olivas, afp ?? Die oberirdisc­he U Bahn Station Parsons Green ist weiträumig abgesperrt. Polizei beamte in Schutzanzü­gen untersuche­n den Zug, in dem die selbst gebastelte Bombe im morgendlic­hen Berufsverk­ehr explodiert­e.
Foto: Daniel Leal Olivas, afp Die oberirdisc­he U Bahn Station Parsons Green ist weiträumig abgesperrt. Polizei beamte in Schutzanzü­gen untersuche­n den Zug, in dem die selbst gebastelte Bombe im morgendlic­hen Berufsverk­ehr explodiert­e.

Newspapers in German

Newspapers from Germany