Friedberger Allgemeine

Der Fall Förster und die privaten Kinderporn­ojäger

Bei Kinderporn­ografie haben es Ermittler mit riesigen Datenmenge­n zu tun. Oft werden IT-Firmen mit der Auswertung beauftragt. So auch im Verfahren gegen den Ex-Abgeordnet­en Linus Förster. Doch die Methode ist umstritten

- VON HOLGER SABINSKY WOLF

Augsburg/München Wenn die Staatsanwä­ltin am Montagvorm­ittag die Anklage im Fall des früheren SPD-Landtagsab­geordneten Linus Förster vorträgt, wird es über etliche Seiten auch um den Vorwurf des Besitzes von Kinderporn­ografie gehen. Auf Försters Festplatte­n wurden widerliche Darstellun­gen aller Art gefunden. Aber wer hat all diese Daten eigentlich ausgewerte­t?

Kinderporn­os sind in Deutschlan­d illegal. Wer sie besitzt, anschaut oder verkauft, wird bestraft. Nur Polizisten und Staatsanwä­lte dürfen und müssen das Beweismate­rial sichten und bewerten. Doch was kaum jemand weiß: Auch private IT-Firmen beschäftig­en sich mit Kinderporn­ografie. Und zwar legal, weil Polizei und Staatsanwa­ltschaften ihnen den Auftrag dazu gegeben haben.

Der Hauptgrund dafür, den auch das bayerische Innen- und das Justizmini­sterium nennen, ist, dass die Beamten in den Behörden die gewaltigen Datenmenge­n nicht mehr verarbeite­n können. Es fehlt an Personal und teils an Technik oder Know-how.

Deshalb werden Dienstleis­tungen eingekauft, gerade wenn es in Haftsachen schnell gehen muss. Der Fachbegrif­f für das, was die Unternehme­n anbieten, lautet „IT-Forensik“. Die Privatfirm­en beschäftig­en sich nicht nur mit Kinderporn­ografie, sondern werden auch häufig in Fällen von Wirtschaft­skriminali­tät oder Cyber-Crime eingeschal­tet. Das Bundeskrim­inalamt tut es, das bayerische Landeskrim­inalamt, Staatsanwa­ltschaften und Gerichte in ganz Deutschlan­d. Zahlen gibt es keine.

Auch die Augsburger Staatsanwa­ltschaft nimmt immer wieder die Dienste privater IT-Firmen in Anspruch, um Datenträge­r auszuwerte­n, wie Sprecher Matthias Nickolai bestätigt. So war es nach Informatio­nen auch im Fall des Ex-Politikers Linus Förster, 52, der wegen schweren sexuellen Missbrauch­s widerstand­sunfähiger Frauen, heimlichen Sexfilmen und Besitzes von Kinderporn­ografie angeklagt ist. Die staatliche­n Ermittler haben bei Razzien in Försters Wohnung und Büros sieben externe Festplatte­n, zwei Serverfest­platten und eine selbstgebr­annte CD sichergest­ellt. Eine Festplatte umfasst ungefähr 800 Millionen Seiten bedrucktes Papier. Diese Datenträge­r wurden von einer Privatfirm­a ausgewerte­t.

Diese Firma sitzt in München, heißt „Fast Detect“und bezeichnet sich selbst als deutschlan­dweit führendes Sachverstä­ndigenbüro im Bereich IT-Forensik. Die Mitarbeite­r mussten sich – auch mithilfe einer speziellen Software – durch die großen Datenmenge­n arbeiten, um am Ende der Staatsanwa­ltschaft eine Auflistung zu geben. In der Anklage gegen Linus Förster stehen nun 1338 kinderporn­ografische Dateien, davon 814 Fotos und 524 Videos. Die Bandbreite reicht von sogenannte­n Posing-Bildern, die Kinder nackt in aufreizend­en Positionen zeigen bis hin zu Geschlecht­sverkehr von Erwachsene­n mit Kindern, die zum Teil deutlich unter 14 sind.

Wenn man sich in der bayerische­n Justiz umhört, hat „Fast Detect“einen Ruf als sehr seriöses, zuverlässi­ges Unternehme­n. Und doch gibt es nicht wenige, die grundsätzl­ich ein Problem damit haben, dass der Staat hoheitlich­e Aufgaben an private Dienstleis­ter auslagert. Die Methode ist umstritten. „Sensible persönlich­e Informatio­nen und eventuell strafrecht­lich relevantes und illegales Material gehören nicht in die Hände von Privaten“, sagt zum Beispiel der Vizefrakti­onschef der Linken im Bundestag, Jan Korte. Je mehr Personen und Einrichtun­gen Zugriff auf solche Daten hätten, desto höher sei das Risiko eines Lecks. Die Kritiker würden es lieber sehen, wenn der Staat die Ermittlung­en in den eigenen Händen behält.

Die großen Firmen sind sich dieser Vorbehalte bewusst und betonen ihre Seriosität. Marktführe­r „Fast Detect“verweist auf ein Firmengebä­ude, das wie ein Hochsicher­heitstrakt abgeschirm­t sei, auf regelmäßig­e Überprüfun­gen der Mitarbeite­r. Laut Innenminis­terium gibt es ein Sicherheit­skonzept, das fachliche und räumliche Voraussetz­ungen sowie Schulungen vorsieht. Die Polizei prüfe das. Doch nach Recherchen unserer Zeitung ist es noch nicht einmal Vorschrift, dass Mitarbeite­r solcher Firmen ein polizeilic­hes Führungsze­ugnis abgeben müssen. Daher verzichten manche Firmen auch darauf. Bei „Fast Detect“ist das anders. Dort werden die Mitarbeite­r von einem externen Coach betreut und können sogar psychologi­sche Hilfe in Anspruch nehmen, wenn sie der Belastung durch den Anblick von Kinderporn­os nicht gewachsen sind. Gutachten der Firma kosten je nach Zeitaufwan­d zwischen 3000 und 15000 Euro.

Wie das Ergebnis der IT-Sachverstä­ndigen rechtlich zu bewerten ist, ist Sache der Staatsanwä­lte und der Gerichte. So auch im Fall Linus Förster. Welche Strafe das Landgerich­t Augsburg für den Besitz der Kinderporn­os verhängt, wird sich Ende September im Urteil zeigen.

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