Der Trend geht zurück zu den Wurzeln
Zum Wiesn-Auftakt rückt das Thema Tracht mehr denn je in den Fokus. Wie sich Moderne und Tradition stilvoll verbinden lassen, erzählen zwei Spezialisten aus der Region
„Die meisten Oktoberfestgewänder haben mit Tracht nichts zu tun.“
Maria Tyroller
Schiltberg/Pöttmes Pünktlich zum Beginn des Oktoberfests wird noch rasch die fehlende Ausstattung gekauft, Dirndl und Lederhosen gehören für viele Kurzentschlossene auch dazu. In Läden und Supermärkten gibt es preiswerte Angebote. Doch für hochwertige Kleidung muss man früher dran sein.
Glänzende Stoffbahnen, perlenbestickte Mieder, Röcke in natürlichen Blau-, Rot- und Grüntönen: Im Laden von Dirndl-Schneiderin Maria Tyroller im Schiltberger Ortsteil Rapperzell herrscht ein buntes Farbenspiel.
„Die meisten Oktoberfestgewänder haben mit Tracht nichts zu tun“, erklärt sie. Grund dafür seien billige Stoffe, zu kurze Schnitte, unpassende Accessoires. „Kitschtracht“ gebe es nicht bei ihr, sagt Tyroller mit einem Blick auf ein von ihr geschneidertes Dirndl. In einer Vitrine liegen Broschen und filigrane Kropfketten, daneben steht eine kleine bestickte Ledertasche. Der Trend entwickle sich zugunsten der traditionellen Tracht. „Da ist mehr und mehr ein Bewusstsein, auch unter vielen Jugendlichen, für gscheites Gewand“, meint Tyroller. Hochwertige Stoffe, eine natürliche, umweltschonende Herstellung und Individualität würden immer wichtiger für alle ihre Kunden.
Ihre Philosophie richtet sich gegen Massen- und Billigproduktion: die Herstellung eines von ihr maßgeschneiderten Dirndls aus eigens dafür gewobenen Stoffen könne mehrere Wochen dauern und koste etwa 1000 Euro. Die Dirndl-Spezialistin rät für die Wiesn zu einer Rocklänge, die über das Knie reicht, und den Ton nach der Augenfarbe passend auszuwählen. Dazu „wenig modischen Schnickschnack“: Trachtenschuhe, eine Strickjacke oder einen wärmeren Janker, Kropfkette, schlichte Ohrringe. Das Körbchen könne man durch eine Ledertasche ersetzen. So liegt man genau im Trend, der die Tradition mit Elementen der Moderne verbindet. Die allein arbeitende Schneiderin besucht dieses Jahr zum ersten Mal die Alte Wiesn, den Termin hält sie sich seit März frei: „Ich freu mich total!“. Dass die Tracht nicht aus dem heutigen Leben verschwindet oder zu einer Verkleidung wird, sei wichtig, denn mit der Kleiderkultur ließen sich auch Werte ver- mitteln. Die bayerische Tracht stehe für Bodenständigkeit und hochwertige Handwerkskunst.
Diese Ansicht vertritt auch Wolfgang Sperr, der in seiner Werkstatt in Pöttmes Lederhosen herstellt: „Das ist ein einzigartiges, würdevolles Gewand, der ,bayrische Smoking‘.“Zwischen alten Holzmöbeln, einer Stehuhr und großen Spiegeln stapelt sich das traditionsreiche Beinkleid in vielen Variationen. Die Exemplare hier dienen größtenteils den Vorbesprechungen, denn die meisten Aufträge Sperrs sind Maßanfertigungen, die zurzeit bis zu 18 Monate Wartezeit in Anspruch nähmen und etwa zwischen 800 und 1200 Euro kosteten. Kurzfristig zum Kauf entschlossene WiesnGänger entschieden sich für andere Anbieter, meint Sperr.
Für ihn gehörten diese Billigwaren aber nicht zur Tracht: „Das geht weg von der Tradition.“Das Hirschleder, das er verarbeitet, wurde sämisch gegerbt, also chemiefrei mit Fischöl, wodurch das Erzeugnis seine charakteristische weiche, gelbliche Oberfläche erhält. Der gesamte Vorgang dauere etwa zwei bis drei Monate. „Das ist ein edles Naturprodukt“, erklärt Sperr und fährt mit einer Hand über die samtene Oberfläche eines Lederstückes.
„Das ist ein einzigartiges, würdevolles Gewand.“Wolfgang Sperr
Es erfülle ihn mit Stolz, ein so seltenes Handwerk zu betreiben und das besondere Leder durch alte Techniken, wie dem Besticken mit echter Seide, zu veredeln.
Eine Lederhose allein sei jedoch noch lange keine Tracht. Dazu gehöre ein Hemd, zu legeren Anlässen gestreift oder kariert, bei festlichen ein weißes: „Da sind karierte ein No-Go!“, glatt gezogene Strümpfe bis unters Knie, Haferlschuhe, dazu eine Weste oder einen Janker. Wolfgang Sperr geht gern selbst am Nachmittag auf die Wiesn. „So zum Schauen, welche Trends es gibt.“Er merkt, dass diese zunehmend weg von der Landhausmode führen, und hin zu „einem gepflegten Outfit.“