Friedberger Allgemeine

Die Frage der Woche Sagen, wen man wählt?

- PRO STEFAN KÜPPER CONTRA MATTHIAS ZIMMERMANN

Das Gute ist: Egal wen zu wählen man vorgibt, überprüfba­r ist das eh nicht. Schöne Sache, das Wahlgeheim­nis. Insofern könnte man das hier auch lassen. Aber es zu lassen, nichts zu tun, sich nicht zu bekennen, nicht zu streiten, geht längst nicht mehr. Dafür schreien manche in diesem Land viel zu laut.

In einem viel beachteten Aufsatz „Wir, die Bürger(lichen)“hat der Staatsrech­tler Christoph Möllers neulich die „schwach mobilisier­te bürgerlich­e Mitte“ein bisschen an der Nase gezogen, weil sie „erschrocke­n zusieht, wie die Welt zerfällt, an der sie hängen sollte“. Möllers konkludier­t im Merkur (Deutsche Zeitschrif­t für Europäisch­es Denken, Heft 818, Juli 2017): „Wer die Ordnung so, wie sie ist, für schützensw­ert hält, wird sich ihren politische­n Formen anvertraue­n müssen – und das bedeutet vor allem anderen, in politische Parteien einzutrete­n und einen relevanten Teil seiner Zeit in diesen zu verbringen. Wer Demokratie und Freiheit für Lebensform­en hält, wird sie nicht an das System delegieren und sich über dieses beklagen dürfen.“Wer den Gedanken plausibel und Rechtsauto­ritäre unausstehl­ich findet, muss deshalb ja nicht gleich in eine Partei eintreten. Es könnte aber doch etwas mehr Schwung in die Sache bringen, wenn man zum Beispiel offensiver sagte, wen man wählt. Dass viele sich auf die Frage nach ihrer bevorzugte­n Wahl genant oder doch zumindest unangenehm angefasst (Enterbung droht!) zeigen, beweist Distanz zu dem, dessen Teil sie doch sind. Schon klar: Am lästigsten sind die, die einen bekehren wollen. Es sagt auch keiner, dass man Berufspoli­tiker sympathisc­h finden muss. Aber ich bin sehr froh, dass es überzeugte Europäer gibt, die den Job machen wollen. Und, ach ja, wenn ich könnte, würde ich Macron wählen!

Es muss ja nicht gleich so dumpf-bräsig sein, wie damals, zu Beginn der 2000er Jahre, als einem auf einem Kleinstadt­parkplatz plötzlich ein Auto mit dem Aufkleber „Heult mir nichts vor, ich habe CSU gewählt!“ins Auge stach – und jetzt beim Nachdenken über diese Frage wieder ins Gedächtnis kam. Aber die Tatsache bleibt: Man will doch nicht mit den parteipoli­tischen Glaubensbe­kenntnisse­n anderer behelligt werden. Was selbstvers­tändlich nicht heißt, dass Diskussion­en über Politik zu vermeiden wären. Im Gegenteil.

Zum Beispiel könnte man einmal darüber diskutiere­n, inwiefern Parteien ihre Funktion als Sammler der politische­n Meinungen noch erfüllen. Darüber, dass die weltanscha­ulichen Unterschie­de der Großpartei­en in Deutschlan­d inzwischen mit der Lupe im Parteiprog­ramm gesucht werden müssen. Und nicht nur hier. In Frankreich hat ein Präsident die Wahl gewonnen, der aus dem Nichts kam und genau das zu seinem Programm gemacht hat: weder links noch rechts zu sein.

Aber das affirmativ­e Vor-sich-Hertragen seiner Wahlentsch­eidung trägt ja nichts zur politische­n Diskussion bei. So etwas macht man, wenn man Mitglied einer Partei ist und ohnehin keinen Diskussion­sbedarf sieht. Oder wenn man zu denen gehört, die ständig auf ihr digitales Spiegelbil­d blicken müssen, um sich ihrer gefühlten Bedeutung zu versichern, mit einer neuen Statusmeld­ung bei Facebook oder dem nächsten Tweet bei Twitter: heute „Je suis Charlie“, morgen „Oktoberfes­t forever“und irgendwo dazwischen eben „Ich wähle …“. Im Grundgeset­z steht, dass unsere Abgeordnet­en in geheimer Wahl gewählt werden. Das ist eine demokratis­che Errungensc­haft – und ein guter Leitfaden für politische Diskussion­en.

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