Die Frage der Woche Sagen, wen man wählt?
Das Gute ist: Egal wen zu wählen man vorgibt, überprüfbar ist das eh nicht. Schöne Sache, das Wahlgeheimnis. Insofern könnte man das hier auch lassen. Aber es zu lassen, nichts zu tun, sich nicht zu bekennen, nicht zu streiten, geht längst nicht mehr. Dafür schreien manche in diesem Land viel zu laut.
In einem viel beachteten Aufsatz „Wir, die Bürger(lichen)“hat der Staatsrechtler Christoph Möllers neulich die „schwach mobilisierte bürgerliche Mitte“ein bisschen an der Nase gezogen, weil sie „erschrocken zusieht, wie die Welt zerfällt, an der sie hängen sollte“. Möllers konkludiert im Merkur (Deutsche Zeitschrift für Europäisches Denken, Heft 818, Juli 2017): „Wer die Ordnung so, wie sie ist, für schützenswert hält, wird sich ihren politischen Formen anvertrauen müssen – und das bedeutet vor allem anderen, in politische Parteien einzutreten und einen relevanten Teil seiner Zeit in diesen zu verbringen. Wer Demokratie und Freiheit für Lebensformen hält, wird sie nicht an das System delegieren und sich über dieses beklagen dürfen.“Wer den Gedanken plausibel und Rechtsautoritäre unausstehlich findet, muss deshalb ja nicht gleich in eine Partei eintreten. Es könnte aber doch etwas mehr Schwung in die Sache bringen, wenn man zum Beispiel offensiver sagte, wen man wählt. Dass viele sich auf die Frage nach ihrer bevorzugten Wahl genant oder doch zumindest unangenehm angefasst (Enterbung droht!) zeigen, beweist Distanz zu dem, dessen Teil sie doch sind. Schon klar: Am lästigsten sind die, die einen bekehren wollen. Es sagt auch keiner, dass man Berufspolitiker sympathisch finden muss. Aber ich bin sehr froh, dass es überzeugte Europäer gibt, die den Job machen wollen. Und, ach ja, wenn ich könnte, würde ich Macron wählen!
Es muss ja nicht gleich so dumpf-bräsig sein, wie damals, zu Beginn der 2000er Jahre, als einem auf einem Kleinstadtparkplatz plötzlich ein Auto mit dem Aufkleber „Heult mir nichts vor, ich habe CSU gewählt!“ins Auge stach – und jetzt beim Nachdenken über diese Frage wieder ins Gedächtnis kam. Aber die Tatsache bleibt: Man will doch nicht mit den parteipolitischen Glaubensbekenntnissen anderer behelligt werden. Was selbstverständlich nicht heißt, dass Diskussionen über Politik zu vermeiden wären. Im Gegenteil.
Zum Beispiel könnte man einmal darüber diskutieren, inwiefern Parteien ihre Funktion als Sammler der politischen Meinungen noch erfüllen. Darüber, dass die weltanschaulichen Unterschiede der Großparteien in Deutschland inzwischen mit der Lupe im Parteiprogramm gesucht werden müssen. Und nicht nur hier. In Frankreich hat ein Präsident die Wahl gewonnen, der aus dem Nichts kam und genau das zu seinem Programm gemacht hat: weder links noch rechts zu sein.
Aber das affirmative Vor-sich-Hertragen seiner Wahlentscheidung trägt ja nichts zur politischen Diskussion bei. So etwas macht man, wenn man Mitglied einer Partei ist und ohnehin keinen Diskussionsbedarf sieht. Oder wenn man zu denen gehört, die ständig auf ihr digitales Spiegelbild blicken müssen, um sich ihrer gefühlten Bedeutung zu versichern, mit einer neuen Statusmeldung bei Facebook oder dem nächsten Tweet bei Twitter: heute „Je suis Charlie“, morgen „Oktoberfest forever“und irgendwo dazwischen eben „Ich wähle …“. Im Grundgesetz steht, dass unsere Abgeordneten in geheimer Wahl gewählt werden. Das ist eine demokratische Errungenschaft – und ein guter Leitfaden für politische Diskussionen.