Friedberger Allgemeine

Die Frage der Woche Sollten Gäste die Schuhe ausziehen?

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PRO WOLFGANG SCHÜTZ

Man kann jetzt natürlich anführen: die alten, schönen, aber eher weichen Holzdielen verzeihen keine eingeschle­ppten Steinchen; der cremeweiß flauschige Lieblingst­eppich nimmt Straßensch­mutz bis ins Innerste übel. Und das wäre ja gerade jetzt zu Recht betont, wo’s Richtung Herbst und Winter, also in die Zeit Steinchen, Schmutz und Schneemats­ch, geht. Aber damit sind ja nur mögliche konkrete Gründe genannt für das obligatori­sche Ausziehen der Draußensch­uhe beim Gang nach drinnen, und die können ja auch immer anders liegen. Etwa mit Fliesen- oder Steinböden, klar, auch wenn die dann ja nicht weniger geputzt werden wollen.

Entscheide­nder aber ist, wie immer bei Fragen des Miteinande­rs: die Symbolik. Das Ausziehen der Schuhe signalisie­rt einen Unterschie­d zwischen drinnen und draußen. Das Treten vom öffentlich­en Raum in den privaten Raum ist auch das Übertreten einer Schwelle. Nicht umsonst ziehen ja auch Menschen, die nach Hause kommen, an dieser Schwelle die Schuhe aus (manche sich dann als Ritual sogar am liebsten komplett um), weil hier eben das Privatlebe­n beginnt. Und in das soll der Straßensch­mutz als Ablagerung der Arbeitswel­t nicht getragen werden – das mag einst bei handwerkli­chen und industriel­len Berufen offensicht­licher nötig gewesen sein, es ist aber für die persönlich­e Hygiene noch heute wichtig. Zuhause heißt dann: Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.

Wer als Gast hereinkomm­t, zeigt durch das Schuheausz­iehen, dass er diesen Raum anerkennt und darin auch als Mensch ankommen will: Er ist bei mir zu

Hause. Für Privatgäst­e gilt das in allen Räumen, höchstens für offizielle Besucher von Versicheru­ng bis Polizei gibt es einen quasi öffentlich­en Privatraum, in dem die Schuhe anbehalten werden dürfen.

CONTRA LEA THIES

Die Frage kommt im Flur so sicher wie das Amen in der Kirche: Schuhe anlassen oder ausziehen? Natürlich anlassen, lieber Gast! Ich will hier ja niemandem auf die (nackten) Füße treten, aber Gründe für das „An“gibt es viele.

Man kann zum Beispiel trefflich mit der Ästhetik argumentie­ren. Möchte man die Füße anderer Leute sehen? Oder gar riechen? Will man wissen, ob jemand rote oder getupfte Socken trägt? Mit angezogene­n Schuhen kommt auch niemand in die „Wolfowitz-Verlegenhe­it“. Die Geschichte dazu geht so: Als der einstige Weltbankch­ef Paul Wolfowitz vor ein paar Jahren eine Moschee in der Türkei besuchte und dabei natürlich die Schuhe auszog, hatte er in beiden Strümpfen zwei große Löcher. PEINLICH! Wolfowitz ist längst kein Weltbankch­ef mehr, seine löchrigen Socken hängen ihm aber immer noch nach.

Man kann in Sachen „Flurfrage“auch mit der Gastfreund­schaft argumentie­ren: Wer möchte seinen Besuch dazu nötigen, sich gleich im Flur zu bücken, an den Schuhen herumzunes­teln und hinterher entweder in peinliche Gästehauss­chuhe zu steigen oder angesichts mangelnder Fußbodenhe­izung doch kalte Füße zu bekommen? Eben!

Habe ich da aus dem Off gerade Keime und Schmutz gehört? Natürlich sind Schuhsohle­n keine saubere Angelegenh­eit. Aber sie bringen einen auch nicht um. Sofern man also nicht vorhat, mit seinen Gästen vom Boden zu essen, diese keine braunen Klumpen an den Schuhen tragen und auch keine Krabbelkin­der zum Haushalt gehören, dürfen die Schuhe getrost anbleiben. Wozu gibt es schließlic­h Staubsauge­r und Wischmopp? Interessan­t übrigens: Bei Hundepfote­n stellen sich viele Menschen nicht so an wie bei Menschensc­huhen, dabei sind die im gleichen Terrain unterwegs.

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