Führerlos. Noch.
In knapp fünf Jahren wird seine Ermordung zu dramatischen Verwerfungen führen. Dann wird dieser Walther Rathenau Reichsaußenminister sein, den Rechtskonservativen alles andere als fern stehend, dennoch „erstes Opfer des Dritten Reichs“werdend. Am 28. September 1917 aber ist er noch Industrieller, Chef des Aufsichtsrats der von seinem Vater gegründeten AEG, engagiert im Krieg. Und der leidenschaftliche Schriftsteller schreibt im Briefaustausch mit einem Bekannten:
…Was Sie beklagen, beklage auch ich, und wenn Sie alles zusammenfassen, so lautet es: „Führerlos.“Wir haben genug tüchtige Menschen, und für stille Zeiten reicht das; aber in unseren Tagen erfahren wir, was wir längst wussten: Tüchtigkeit ist keine Führerschaft. Es fehlt diesen Menschen das Inkommensurable: Sie wissen bestenfalls, was ist, sie wissen nicht, was wird. Führerschaft aber enthält einen Teil Prophetie; das ist ihre Stärke und ihre Tragik, denn diese Gabe setzt meist aus. Da nun die Menge spürt, dass es an Propheten fehlt, so reden alle Professoren in Zungen: Das kann den Hörer zum Wahnsinn treiben. Die Menge aber, durch das Berufsdenken und die Interessensdialektik des Jahrhunderts geistig atomisiert, ist nicht mehr zu sammeln und zu verbinden…
Dazwischen eine Bemerkung, dass nur noch die Not die Deutschen zusammenschweiße – dass es aber auch ohne wirtschaftlichen Druck noch nie eine zivilisatorische Wandlung gegeben habe. Dann: Heute leben wir – das Furchtbarste dieser grenzenlosen Verkehrung – in einer unerhörten Hochkonjunktur. Die Industrie macht ungeheure Kriegsgewinne, der Stundenlohn des Schlossers ist zwei Mark, die Landwirtschaft zahlt ihre Schulden ab. Nach dem Kriege, der noch längst nicht beendet ist, senkt sich langsam über Europa die Not. Wir werden schwer an dieser Zeit zu tragen haben, aber sie wird eine Probezeit sein. Wer dann lebt, sich Hoffnung und Liebe bewahrt, stark und begnadet ist, der wird das, was Sie und ich ersehnen, vielleicht nicht erleben, wohl aber besiegeln helfen…