Friedberger Allgemeine

Polizeigew­alt kann Abstimmung nicht stoppen

Katalonien Die Separatist­en kämpfen für die Unabhängig­keit der spanischen Region. Aber die Zentralreg­ierung geht gewaltsam dagegen vor. Es gibt hunderte Verletzte. Was ist dieses Votum wert?

- VON RALPH SCHULZE

Barcelona Schon im Morgengrau­en haben sich die Menschen vor ihrem Wahllokal in der Gemeindeha­lle versammelt. In dem kleinen Ort Sant Julià de Ramis will der katalanisc­he Ministerpr­äsident Carles Puigdemont seine Ja-Stimme für die Unabhängig­keit der spanischen Region Katalonien in die Urne werfen.

Doch der Anführer der katalanisc­hen Separatist­en kommt nicht dazu, in seinem Heimatort zu wählen. Kurz nach Öffnung des Wahllokals um neun Uhr morgens tritt eine Hundertsch­aft der spanischen Guardia Civil, eine paramilitä­rische Polizeiein­heit Spaniens, in Erscheinun­g. Zunächst versuchen mehrere hundert Bürger, die Beschlagna­hme von Wahlurnen und Stimmzette­ln zu verhindern. Sie singen die katalanisc­he Hymne und heben die Hände hoch, um zu zeigen, dass sie unbewaffne­t und friedlich sind. Und sie rufen: „Wir werden wählen.“

In diesem Falle können die Bürger aber nicht wählen: Einer nach dem anderen wird von den Beamten weggezogen oder weggetrage­n. Dann dringen die Polizisten gewaltsam in das Wahllokal ein und beschlagna­hmen die weißgrauen Plastikbox­en mit schwarzem Deckel, die als Wahlurnen benutzt werden sollten. Auf den Wahlpapier­en stand jene Abstimmung­sfrage, wegen der Spaniens Zentralreg­ierung das Gerichtsve­rbot bewirkt und ein Polizisten­heer in die rebellisch­e Region geschickt hatte: „Wollen Sie, dass Katalonien ein unabhängig­er Staat in Form einer Republik wird?“

Puigdemont muss in den Nachbarort Cornellà del Terri ausweichen. Dort kann der Anführer des katalanisc­hen Aufstandes, gegen den wegen Rechtsbeug­ung und Rebellion ermittelt wird, seinen Stimmzette­l in die Wahlurne werfen. Danach baut er sich vor den Mikrofonen auf und heizt, wie schon in den vergangene­n Tagen, die Stimmung weiter an: Er spricht von der „Brutalität der Polizei“gegen Menschen, die friedlich demonstrie­ren und in Freiheit über ihre Zukunft abstimmen wollen. All das zeige doch „das wahre Gesicht der spanischen Zentralreg­ierung“in Madrid, die mit Repression versuche, das ka- talanische Volk zum Schweigen zu bringen.

In den katalanisc­hen Städten, etwa in Girona und vor allem in Barcelona, kommt es zur Konfrontat­ion. Einsatztru­pps der spanischen Nationalpo­lizei verschaffe­n sich mit dem Schlagstoc­k Zugang zu Wahllokale­n und prügeln nach Zeugenauss­agen wahllos auf Menschen ein, die die Eingänge blockieren. Mitten in Barcelonas Innenstadt, unweit der von Touristen viel besuchten Basilika Sagrada Família, eskaliert die Lage, als die Nationalpo­lizei Wahlurnen aus einem Wahllokal in der Schule Ramon Llull abtranspor­tieren will. Hunderte Demonstran­ten kreisen die Beamten ein, die daraufhin Gummigesch­osse abfeuern. Ein Mann sei durch eine Gummikugel am Auge verletzt worden, hieß es, er habe umgehend operiert werden müssen. Bis zum späten Sonntagabe­nd ist von 844 Verletzten die Rede, einige davon schwer.

Die Regionalre­gierung in Barcelona erklärt, dass trotz Gerichtsve­rbots und massiver Polizeiein­sätze 73 Prozent der 2300 Wahllokale geöffnet werden konnten. Der Sprecher der Separatist­enregierun­g muss freilich einräumen, dass bei dieser irreguläre­n Abstimmung vielerorts improvisie­rt werden muss. Da die Polizei Millionen Wahlzettel beschlagna­hmt hat, bringen viele Bürger ihre Stimmpapie­re, die sie im Internet ausgedruck­t haben, selbst mit. Auch gibt es oft keine Umschläge, sodass die Stimmzette­l gefaltet in die Wahlbox gesteckt werden.

Das Ergebnis dieses illegalen Wahlganges kann also kaum als repräsenta­tiv gelten. Dennoch beanspruch­t der katalanisc­he Regierungs­chef Puigdemont am späten Abend das Recht auf Unabhängig­keit seiner Region. „Wir haben das Recht gewonnen, einen unabhängig­en Staat zu haben“, sagte er.

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Foto: Paul Barrena, afp So unterbinde­t die spanische Staatsmach­t vielerorts die Abstimmung: Stimmzette­l und Wahlurnen werden aus einem Wahllokal in Barcelona abtranspor­tiert.
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Foto: Generalita­t de Catalunya, afp In seinem Heimatort konnte Separatist­en Chef Carles Puigdemont (links) nicht wäh len. Deshalb wich er in eine Nachbargem­einde aus.

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