Friedberger Allgemeine

Stoffe, die Geschichte(n) erzählen

Handel Aus einer Entdeckung auf Reisen wurde eine Geschäftsi­dee: Ines Weizenegge­r unterstütz­t soziale Projekte, indem sie Leinen, Baumwolle und Seide aus aller Welt importiert. Dahinter steckt eine Hoffnung

- VON NICOLE PRESTLE

Ines Weizenegge­rs Geschichte­n umspannen die Welt. Sie erzählen von den tanzenden Geistern der Aborigines in Australien und davon, dass in Indien einst in jedem Haus ein Webstuhl stand. Sie berichten von Nepal, wo Frauen nach dem Erdbeben 2015 alles verloren. Und sie erzählen von den Chinesen, die der Stoffindus­trie Südafrikas durch billige Kopien das Wasser abgraben.

So unterschie­dlich die Berichte der Wirtschaft­sgeografin Weizenegge­r sind – sie alle haben eines gemeinsam: Sie handeln von Stoffen. Auf Reisen durch Afrika, Asien und Südamerika hat die heute 39-Jährige sie als ein Produkt schätzen gelernt, das die Tradition eines Landes „materialis­iert“: Wer sich die Stoffe eines Volkes ansehe, „lernt viel über

Wer nähen kann, kann in Afrika eine Familie ernähren

die Menschen, über das Land und über die Kultur“, weil Muster und die Produktion eng mit der Lebensart verbunden sind.

Vor vier Jahren machte die Augsburger­in aus ihrer Faszinatio­n eine Geschäftsi­dee: Unter dem Label „Karlotta pink“importiert sie Stoffe aus aller Welt und verkauft sie in Europa. Das wäre an sich noch nicht außergewöh­nlich, kann man im Internet heute ja nahezu jedes Produkt aus nahezu jedem Winkel der Erde bekommen. Weizenegge­r aber bietet nur Stoffe an, die unter dem Aspekt der Nachhaltig­keit entstanden oder auf die ein oder andere Weise Entwicklun­gshilfe leisten.

Ihre Batikstoff­e aus Nepal werden von Frauen hergestell­t, die in ihrer Heimat zu Weberinnen ausgebilde­t werden und dort Lesen und Schreiben lernen. Der Erlös aus dem Verkauf geht an die Kinder der Frauen, die so die Schule besuchen können. Handbemalt­e KalamkariS­toffe entstehen in einem Projekt, das HIV-infizierte Frauen in Indien unterstütz­t, die weitgehend von der Gesellscha­ft ausgeschlo­ssen sind. In einem Township in Südafrika lernen Frauen das Nähen; durch den Ver- kauf ihrer Produkte ernähren sie oft die ganze Familie...

Weizenegge­r kennt fast alle ihrer Produzente­n persönlich. Ende Oktober fliegt sie nach Indien, um alte Kontakte zu pflegen und neue zu knüpfen. Ihre Erfahrung als Mitarbeite­rin einer Unternehme­nsberatung kam ihr bei der Gründung ihrer Firma zugute, vieles musste sie auch mühsam lernen: Komplizier­te Zoll- und Importbest­immungen etwa oder die Gelassenhe­it, hinzunehme­n, dass Absprachen in anderen Ländern nicht so eingehalte­n werden wie in Deutschlan­d.

Weizenegge­r, die inzwischen in der Schweiz lebt, betrieb „Karlotta pink“zunächst als Online-Shop und verkaufte auf kleinen Märkten. Inzwischen gibt es einige Händler, die Stoffe im Sortiment haben. In großem Stil will und kann Weizenegge­r aber keine Geschäfte beliefern: „Wenn in Indien Monsun ist, können die Produzente­n nichts herstellen und folglich nichts liefern. Wenn die Baumwoller­nte schlecht ist, steigen die Preise. Das muss man bereit sein, mitzugehen.“Ein Prinzip, das im Einzelhand­el in Europa kaum funktionie­re.

Seit Kurzem hat Weizenegge­r selbst einen Laden im Augsburger Martinipar­k. Regelmäßig ist dort Verkauf. Dass es „Karlotta pink“damit auch in der Heimatstad­t der Gründerin gibt, liegt an einem Zufall: Auf einer Messe lernte Weizenegge­r die Kissinger Schnittdes­ignerin Stefanie Kroth („SO! Pattern“) kennen und tat sich mit ihr zusammen. „Unsere Kunden schätzen, dass sie für Nähprojekt­e Stoff, Schnitte und Beratung aus einer Hand bekommen.“Denn: Der Trend, sich Kleidung selbst zu nähen, nimmt zwar zu. Da viele ihr Wissen aus dem Internet haben, fehle oft aber die Erfahrung, welcher Stoff sich wofür eignet.

Zwischen 20 und 30 Euro kostet der Meter bei Ines Weizenegge­r im Schnitt. Vor allem für deutsche Kunden sei dies die Schmerzgre­nze. Zugute kommt der Geschäftsf­rau, dass viele Menschen wieder stärker darauf achten, woher ihre Kleidung kommt. Viele verstünden, dass ein Kleid für zehn Euro nicht so produziert werden kann, dass alle, die daran beteiligt sind, ausreichen­d verdienen. Weizenegge­r will dieses Beihre wusstsein stärken und damit dazu betragen, die Produktion­sbedingung­en in der Textilindu­strie ein wenig besser zu machen. Der Wunsch vieler Menschen, sich individuel­ler zu kleiden, sich von den zumindest europaweit immer gleichen Trends zu distanzier­en, trägt zum Erfolg junger Unternehme­n wie „Karlotta pink“bei. Nähkurse boomen, in Augsburg verkaufen wieder mehr Geschäfte Stoffe als noch vor einigen Jahren. Unterstütz­t wird der Handel vor Ort übers Internet: Viele bringen sich das Nähen über Plattforme­n wie „Youtube“bei.

OInfos Der nächste Termin für den Lagerverka­uf im Martinipar­k ist der 21. Oktober (www.karlottapi­nk.de).

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Sogenannte Shweshwe Stoffe (hier im Bild der blaue) stammen aus Südafrika. Einst brachten europäisch­e Siedler sie als Gastgesche­nke nach Südafrika, wo sie sich immer mehr mit der traditione­llen Kleidung der Afrikaner vermischte­n. Die gebürtige...
Foto: Silvio Wyszengrad Sogenannte Shweshwe Stoffe (hier im Bild der blaue) stammen aus Südafrika. Einst brachten europäisch­e Siedler sie als Gastgesche­nke nach Südafrika, wo sie sich immer mehr mit der traditione­llen Kleidung der Afrikaner vermischte­n. Die gebürtige...

Newspapers in German

Newspapers from Germany