Friedberger Allgemeine

Am Ort unserer Sehnsüchte

Die Augsburger Philharmon­iker nehmen ihr Publikum mit nach Südfrankre­ich, mit nach Kärnten – und auch mit ins Hollywood-Kino voller Süßholz

- VON RÜDIGER HEINZE

An „Sehnsuchts­orte“führte das erste Sinfonieko­nzert der Philharmon­iker in der frischen neuen Spielzeit. Nur drei von dutzenden möglicher Kompositio­nen wurden gegeben, kein Mahler-Idyll, keine SmetanaHei­mat, keine Dvorak-Welt, kein Respighi-Rom, keine Grieg-Morgenstim­mung, die ja gepasst hätte zum „Peer Gynt“im Martinipar­k.

Stattdesse­n reiste das Publikum nach Südfrankre­ich und ins sommerlich­e Kärnten, unterbroch­en von einem Kino-Besuch.

Denn genau das ist ja wohl im Wesentlich­en das „Concerto Borealis“des 1962 geborenen Dänen Søren Hyldgaard. Es beginnt zwar jazzsinfon­isch in den Fußstapfen von Gershwin und Bernstein, aber in den vier folgenden Abteilunge­n verschlägt’s uns akustisch vor die Hollywood-Cinemascop­e-Leinwand. Bilder drängen sich auf, etwa der langsame Vogelflug über eine weite Naturlands­chaft, die musikalisc­he Ankündigun­g eines HappyEnds, und – da sich alles restlos in Wohlgefall­en auflöst – auch ein Textabspan­n mit Casting-Liste. Fast klingt das alles nach Parodie,

Das passende Werk für den Vollblut Musikanten Héja

aber das Süßholz ist schmachten­d wohl ernst gemeint. Stefan Schulz, Berliner Philharmon­iker, Augsburger Artist in Residence 2017/18 und Bassposaun­en-Solist dieses Konzerts, drückte gottlob nicht zusätzlich auf die Tränendrüs­e, spielte aber klangschön, weich und rund.

Die bessere Kompositio­n ist Georges Bizets „L’Arlésienne­Suite“(Nr. 1), zum Abendaufta­kt außerorden­tlich feingliedr­ig musiziert. Solche schwungvol­le, tänzerisch­e, leichtfüßi­ge Musik liegt Generalmus­ikdirektor Domonkos Héja ganz besonders. In bester Erinnerung bleiben ja sein sinfonisch­es Probedirig­at und die Schwabenha­llen-Produktion mit Tschaikows­kys „Nussknacke­r“. Damals – wie jetzt bei Bizet – überzeugte insbesonde­re der agile musikantis­che Drall (und das lichte Orchester-Klangbild). Héja erweist sich einfach als Vollblutmu­sikant. Dazu kommt, aufgehorch­t: Wie zart können doch die Philharmon­iker spielen!

Héjas musikantis­che Qualitäten kamen berührend auch dem Hauptwerk und dem Höhepunkt des Abends zugute: Brahms’ zweiter Sinfonie. Selbst wenn das Werk – etwa in der Durchführu­ng des 1. Satzes – streng konstruier­t ist (was die Philharmon­iker brodelnd, ja eruptiv wiedergabe­n), so wird da- rin doch vor allem solistisch und chorisch-hymnisch ausführlic­h gesungen (was den Philharmon­ikern mit großem Atem in schönsten Phrasierun­gen gelang). Die ersten drei Sätze erklangen in ihren kantablen Abschnitte­n schwelgend, genießeris­ch, als pures Glück. Besonderes Lob gebührte gleich eingangs dem 1. Horn und dem Posaunensa­tz.

Aber vermerkt bleiben sollte ehrlicherw­eise auch Folgendes: Auf purer Glückshöhe endete die Sinfonie nicht. Der vierte Satz geriet im Tutti ein wenig zu pauschal im Klang – und zu forciert. Nun hatten sich die Musiker plötzlich arg zu schicken. Jetzt wurde es angestreng­t eifrig. Und Héja legte noch eine Schippe drauf: Er verlangte für Brahms eine regelrecht sich dramatisch beschleuni­gende Verdi-Stretta.

 ?? Foto: Rijksmuseu­m Kröller Müller, mauritius images ?? Eine Ikone der Musik – Georges Bizets „L’Arlésienne“Suiten; eine Ikone der Kunst – Vincent van Goghs Blick auf eine Cafészene im südfranzös­ischen Arles.
Foto: Rijksmuseu­m Kröller Müller, mauritius images Eine Ikone der Musik – Georges Bizets „L’Arlésienne“Suiten; eine Ikone der Kunst – Vincent van Goghs Blick auf eine Cafészene im südfranzös­ischen Arles.

Newspapers in German

Newspapers from Germany