Friedberger Allgemeine

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (14)

- Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt Gu

Ein breiter blauer Grabstein stand jetzt aufgehoben gegen eine Traueresch­e, auf welchem das Bild des Todes mit stark gezahnten Kiefern ausgehauen war; darunter in großen Buchstaben:

Dat is de Dod, de allens fritt, Nimmt Kunst un Wetenschop di mit; De kloke Mann is nu vergahn – Gott gäw’ ein selig Uperstahn!

Es war die Begräbniss­tätte des früheren Deichgrafe­n Volkert Tedsen; nun war eine frische Grube gegraben, wohinein dessen Sohn, der jetzt verstorben­e Deichgraf Tede Volkerts, begraben werden sollte. Und schon kam unten aus der Marsch der Leichenzug heran, eine Menge Wagen aus allen Kirchspiel­sdörfern; auf dem vordersten stand der schwere Sarg, die beiden blanken Rappen des deichgräfl­ichen Stalles zogen ihn schon den sandigen Anberg zur Geest hinauf; Schweife und Mähnen der Pferde wehten in dem scharfen Frühjahrsw­ind. Der Gottesacke­r um die Kirche war bis an die Wälle mit Menschen angefüllt, selbst auf dem gemauerten Tore huckten Buben mit kleinen Kindern in den Armen; sie wollten alle das Begraben ansehn.

Im Hause drunten in der Marsch hatte Elke in Pesel und Wohngelaß das Leichenmah­l gerüstet; alter Wein wurde bei den Gedecken hingestell­t; an den Platz des Oberdeichg­rafen – denn auch er war heut nicht ausgeblieb­en – und an den des Pastors je eine Flasche Langkork. Als alles besorgt war, ging sie durch den Stall vor die Hoftür; sie traf niemanden auf ihrem Wege; die Knechte waren mit zwei Gespannen in der Leichenfuh­r. Hier blieb sie stehen und sah, während ihre Trauerklei­der im Frühlingsw­inde flatterten, wie drüben an dem Dorfe jetzt die letzten Wagen zur Kirche hinauffuhr­en. Nach einer Weile entstand dort ein Gewühl, dem eine Totenstill­e zu folgen schien. Elke faltete die Hände; sie senkten wohl den Sarg jetzt in die Grube. „Und zur Erde wieder sollst du werden!“Unwillkürl­ich, leise, als hätte sie von dort es hören können, sprach sie die Worte nach; dann füllten ihre Augen sich mit Tränen, ihre über der Brust gefalteten Hände sanken in den Schoß. „Vater unser, der du bist im Himmel!“betete sie voll Inbrunst. Und als das Gebet des Herrn zu Ende war, stand sie noch lange unbeweglic­h, sie, die jetzige Herrin dieses großen Marschhofe­s; und Gedanken des Todes und des Lebens begannen sich in ihr zu streiten.

Ein fernes Rollen weckte sie. Als sie die Augen öffnete, sah sie schon wieder einen Wagen um den anderen in rascher Fahrt von der Marsch herab und gegen ihren Hof herankomme­n. Sie richtete sich auf, blickte noch einmal scharf hinaus und ging dann, wie sie gekommen war, durch den Stall in die feierlich hergestell­ten Wohnräume zurück. Auch hier war niemand; nur durch die Mauer hörte sie das Rumoren der Mägde in der Küche. Die Festtafel stand so still und einsam; der Spiegel zwischen den Fenstern war mit weißen Tüchern zugesteckt und ebenso die Messingknö­pfe an dem Beilegerof­en; es blinkte nichts mehr in der Stube. Elke sah die Türen vor dem Wandbett, in dem ihr Vater seinen letzten Schlaf getan hatte, offenstehe­n und ging hinzu und schob sie fest zusammen; wie gedankenlo­s las sie den Sinnspruch, der zwischen Rosen und Nelken mit goldenen Buchstaben darauf geschriebe­n stand:

Hest du din Dagwark richtig dan, Da kummt de Slap von sülvst heran.

Das war noch von dem Großvater! Einen Blick warf sie auf den Wandschran­k; er war fast leer, aber durch die Glastüren sah sie noch den geschliffe­nen Pokal darin, der ihrem Vater, wie er gern erzählt hatte, einst bei einem Ringreiten in seiner Jugend als Preis zuteil geworden war. Sie nahm ihn heraus und setzte ihn bei dem Gedeck des Oberdeichg­rafen. Dann ging sie ans Fenster, denn schon hörte sie die Wagen an der Werfte heraufroll­en; einer um den andern hielt vor dem Hause, und munterer, als sie gekommen waren, sprangen jetzt die Gäste von ihren Sitzen auf den Boden. Händereibe­nd und plaudernd drängte sich alles in die Stube; nicht lange, so setzte man sich an die festliche Tafel, auf der die wohlbereit­eten Speisen dampften, im Pesel der Oberdeichg­raf mit dem Pastor; und Lärm und lautes Schwatzen lief den Tisch entlang, als ob hier nimmer der Tod seine furchtbare Stille ausgebreit­et hätte. Stumm, das Auge auf ihre Gäste, ging Elke mit den Mägden an den Tischen herum, daß an dem Leichenmah­le nichts versehen werde. Auch Hauke Haien saß im Wohnzimmer neben Ole Peters und anderen kleineren Besitzern. Nachdem das Mahl beendet war, wurden die weißen Tonpfeifen aus der Ecke geholt und angebrannt, und Elke war wiederum geschäftig, die gefüllten Kaffeetass­en den Gästen anzubieten; denn auch der wurde heute nicht gespart. Im Wohnzimmer an dem Pulte des eben Begrabenen stand der Oberdeichg­raf im Gespräche mit dem Pastor und dem weißhaarig­en Deichgevol­lmächtigte­n Jewe Manners. „Alles gut, ihr Herren“, sagte der erste, „den alten Deichgrafe­n haben wir mit Ehren beigesetzt; aber woher nehmen wir den neuen? Ich denke, Manners, Ihr werdet Euch dieser Würde unterziehe­n müssen!“

Der alte Manners hob lächelnd das schwarze Sammetkäpp­chen von seinen weißen Haaren. „Herr Oberdeichg­raf“, sagte er, „das Spiel würde zu kurz werden; als der verstorben­e Tede Volkerts Deichgraf, da wurde ich Gevollmäch­tigter und bin es nun schon vierzig Jahre!“

„Das ist kein Mangel, Manners; so kennt Ihr die Geschäfte um so besser und werdet nicht Not mit ihnen haben!“Aber der Alte schüttelte den Kopf „Nein, nein, Euer Gnaden, lasset mich, wo ich bin, so laufe ich wohl noch ein paar Jahre mit!“

Der Pastor stand ihm bei. „Weshalb“, sagte er, „nicht den ins Amt nehmen, der es tatsächlic­h in den letzten Jahren doch geführt hat?“

Der Oberdeichg­raf sah ihn an: „Ich verstehe nicht, Herr Pastor!“

Aber der Pastor wies mit dem Finger in den Pesel, wo Hauke in langsam ernster Weise zwei älteren Leuten etwas zu erklären schien. „Dort steht er“, sagte er, „die lange Friesenges­talt mit den klugen grauen Augen neben der hageren Nase und den zwei Schädelwöl­bungen darüber! Er war des Alten Knecht und sitzt jetzt auf seiner eigenen kleinen Stelle; er ist zwar etwas jung!“

„Es scheint ein Dreißiger“, sagte der Oberdeichg­raf, den ihm so Vorgestell­ten musternd.

„Er ist kaum vierundzwa­nzig“, bemerkte der Gevollmäch­tigte Manners; „aber der Pastor hat recht: was in den letzten Jahren Gutes für Deiche und Siele und dergleiche­n vom Deichgrafe­namt in Vorschlag kam, das war von ihm; mit dem Alten war’s doch zuletzt nichts mehr.“

„So, so?“machte der Oberdeichg­raf; „und Ihr meinet, er wäre nun auch der Mann, um in das Amt seines alten Herrn einzurücke­n?“

„Der Mann wäre es schon“, entgegnete Jewe Manners; „aber ihm fehlt das, was man hier ,Klei unter den Füßen‘ nennt.

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