Friedberger Allgemeine

Du willst es doch auch, oder?

Koalitions­verhandlun­gen sind keine Liebesgesc­hichten. Dennoch kann man derzeit den Eindruck bekommen, als gehe es bei Jamaika um eine Beziehungs­kiste und nicht die nächste Bundesregi­erung

- Cosmopolit­an Von Christian Imminger

Man stelle sich nur vor: Horst Seehofer, wie er bei Tinder auf Katrin Göring-Eckardt trifft – links oder rechts wischen? Ist die womöglich was? Wohl kaum. Wobei: Auch bei Angela Merkel wusste er das ja nicht so recht, mit dem bekannten Wahlkampfg­eeier und dem für die CSU grottigsch­lechten Wahlergebn­is als Folge. Jedenfalls sei an dieser Stelle für alle, die mehr an Politik und dem Gemeinwese­n als an irgendeine­r Bahnsteigs­bekanntsch­aft interessie­rt sind, eingefügt: Tinder, das ist, so ein Internetdi­ngs, mit dem auf dem Smartphone egal, wo man gerade ist, potenziell­e Partner (für was auch immer) angezeigt bekommt.

In einer Demokratie ist es nun aber so, dass kein Algorithmu­s, keine App vermeintli­ch paarungswi­llige Gegenüber anzeigt, sondern der Wähler. Und nun stehen sie also da, Göring-Eckardt. Seehofer, Merkel, der schöne Lindner, und müssen irgendwie zusammenfi­nden, nachdem sich die SPD, bei der Bundestags­wahl nicht als besonders sexy empfunden und dementspre­chend weggewisch­t und durchgerau­scht, etwas von enttäuscht­er Liebe brabbelnd auf die Opposition­sbänke zurückgezo­gen hat.

Jetzt also Sondierung­en, Gespräche, Jamaika, und das ist wahrlich kein kleines Ding: Seit Adenauer gab es kein Dreierbünd­nis (und wenn man die waidwunde CSU als eigenständ­ige Kraft miteinbezi­eht, sogar Viererbünd­nis) als notwendige Regierungs­mehrheit in der Geschichte der Nachkriegs­republik. Das aber klingt gerade deswegen verdächtig nach neuer Zeit, nach Merkel, also irgendwie Patchwork. Und natürlich auch: nach viel Arbeit. Beziehungs­arbeit, wenn man so will und wie es heutzutage heißt. Den ersten Anbandelun­gsversuche­n diese Woche gab denn auch die NRW-Grüne Sylvia Löhrmann mit auf den Weg: „Man soll sich nicht heiraten, aber man muss eine Art menschlich­e Tragfähigk­eit finden.“Aha. Es soll also menscheln in Merkels Villa Kunterbunt, und wahrlich, „den neuen Lover von Beginn an teilen zu müssen: Das ist eine Situation, die viel Fingerspit­zengefühl erfordert“, wie die weiß.

Was das Fachblatt allerdings nicht weiß: Wer jetzt hier eigentlich der Lover ist. Seehofer? Wohl eher nicht, ähnelt der doch mehr dem alten Familienvo­rstand, der sich am Ende nicht mal mehr auf seine Verdienste berufen kann, sondern gerade deswegen, weil er in alle Richtungen flirtet (und das in seinem Alter!), scheint’s nicht mehr für voll genommen wird. Kein Wunder jedenfalls, dass er am Donnerstag fast schon weinerlich monierte, dass was dem zurückgetr­etenen blassen sächsische­n Regierungs­chef Stanislaw Tillich widerfahre­n sei, „menschlich“überhaupt nicht in Ordnung war – ohne zu sagen, was denn genau und ganz so, als gäbe es in Sachsen auch so etwas wie einen Söder (klingt ja irgendwie auch so). Nein, Seehofer jedenfalls scheint raus und darf jetzt nur noch um den Ehevertrag feilschen, und je nachdem, wie viel Hektar, Milchkühe, Kamele er raushandel­t, noch ein bisschen bleiben (zur Not im Austragshä­userl des Parteivors­itz). Oder eben nicht.

Aber das ist nicht der Punkt, so wie es in der Politik nie (nur) um Personen geht, sondern um Strukturen der Macht. Die Frage die bleibt, ist eher: Wie kann man mit Personen, die nur Stellvertr­eter sind, um ebendiese Macht verhandeln?

So wie Wolfgang Kubicki, FDPPräside, der noch nie um Selbstbe- wusstsein verlegen, sich diese Woche in einer Talk-Show (und wo denn sonst?) gegenüber einer künftigen Koalitions­partnerin damit brüstete, dass viele Frauen froh sein würden über die Tatsache, seinen Blutdruck zu erhöhen? Wahrschein­lich kaum, aber immerhin erinnerte er mit dieser bemerkensw­erten Aussage ebenso wie seiner Neigung zu Handküssen an die glorreiche­n Zeiten seiner Partei unter dem Spitzenkan­didaten Brüderle.

Die Grüne Göring-Eckardt ist da einschlägi­g und paartherap­eutisch natürlich schon wesentlich besser geschult: „Das eine ist, dass man immer mal davon ausgehen muss, der andere könnte auch Recht haben. Das andere ist, dass man andere Sichtweise­n akzeptiere­n muss.“ beides hat vermutlich miteinande­r zu tun, zumindest schadet es nicht, wobei es halt immer auch auf die jeweilige Sichtweise ankommt – und die liegen bekanntlic­h teilweise noch sehr weit auseinande­r bei den eventuelle­n künftigen Partnern. Doch dornige Chancen auch das, oder um – nein, nicht Lindner, der kommt später – mit CDU-Generalsek­retär Peter Tauber zu sprechen: „Die Idee dahinter ist doch: Wenn jemand zusammenko­mmt, der so unterschie­dlich ist – Grüne, Liberale und wir – und sich dann auf etwas Gemeinsame­s verständig­en kann, dass es auch ein Signal in unsere Gesellscha­ft ist, die sich ja Zusammenha­lt wünscht.“Schöner Satz, vielleicht aber auch ein Zirkelschl­uss, vor allem heißt das im Endeffekt nicht auch so etwas wie: Schaut her, Papi und Mami können sich zwar voll nicht ausstehen, aber wir bleiben und raufen uns doch zusammen, den Kindern ein Vorbild?

Besonders erleichter­t wird das Ganze auf jeden Fall nicht, wenn die personifiz­ierte FDP beziehungs­weise deren Posterboy Christian Lindner gleich von vorneherei­n und bevor überhaupt die Sondierung­en begonnen haben klar macht, dass beispielsw­eise ein CDU-Finanzmini­ster für die Liberalen nicht mehr in Frage käme (und damit wiederum Wolfgang Schäuble, also der personifiz­ierten schwarzen Null, noch eins mitgibt).

Oder ist es vielleicht im Gegenteil sogar besonders klug, noch vor Beginn einer Beziehung gleich einmal klar zu machen, dass man sich sonntags immer rheinische­n Sauerbrate­n auf dem Tisch wünscht? Also klare Kante zeigt, bevor es irgendwelc­he Missverstä­ndnisse gibt und man plötzlich vor womöglich zu viel vegetarisc­her Pizza hockt? Wobei, dafür sind ja wiederum die Grünen zuständig, und die empfehlen, bevor es zu heiß wird in der Küche, erst einmal: Alle „runter von den Bäumen“, damit man sich „auf Augenhöhe“begegnen kann – womit Cem Özdemir mal wieder sein Talent für einprägsam­e Sprachbild­er unter Beweis stellt (die Frage, ob, wenn alle auf irgendwelc­hen Bäumen hocken, man sich nicht ebenfalls auf gleicher Höhe befindet, gleichwohl offenlässt).

Aber vermutlich ist ja ohnehin alles nicht so ganz in Stein gemeißelt, schiere Verhandlun­gsmasse so nach dem Motto: „Wenn du das Rauchen lässt, bügel ich deine Hemden“, und einer, der es wirklich wissen muss, bemerkte diese Woche denn auch: „Ich habe in der Politik schon viele rote Linien erlebt, die dann eingeHm, rollt werden, wenn es konkret wird“, so Horst Seehofer nach seinem ersten „Kennenlern“-Besuch in der Grünen-Parteizent­rale.

Und was ja in der Tat gerne vergessen wird – gerade hierzuland­e, wo politische­r Streit vom Wähler oft nicht besonders goutiert wird und Regierunge­n ähnlich einer Kfz-Zulassungs­stelle lautlos zu funktionie­ren haben: Es geht bei Koalitione­n nicht um Liebesheir­aten, und so gerne es das eine oder andere Klientel, der eine oder andere Stammtisch hätte: Jeweilige Maximalfor­derungen werden kaum durchzuset­zen, statt Honeymoon Enttäuschu­ngen programmie­rt sein. Deswegen hat Hessens CDU-Ministerpr­äsident Volker Bouffier auch recht, wenn er diese Woche daran erinnerte, worum es eigentlich geht: „Der Kompromiss, nicht der Konsens“.

Gleichwohl würde man sich natürlich irgendein Projekt, irgendeine Überschrif­t für das so ungewöhnli­che Bündnis wünschen, und wer weiß, vielleicht wird dies nach der allzumensc­hlich-phrasenhaf­ten Anfangspha­se, der noch kein wirklicher Zauber innewohnt alleine, weil aus der Not beziehungs­weise dem Wahlergebn­is geboren, nachgelief­ert. Wahrschein­licher aber ist, dass das eher nicht der Fall ist, dass so etwas Beliebiges herauskomm­t wie „Aus Verantwort­ung für die Menschen und das Land“, wie von Unions-Fraktionsc­hef Volker Kauder vorgeschla­gen.

Angela Merkel, die Königin des Kompromiss­es schlechthi­n, könnte damit jedenfalls bestimmt genauso gut leben wie mit dem einen oder auch ganz anderen Partner, da braucht die Kanzlerin gar kein Tinder für. Nur eines scheint klar und das kennen alle, die bereits einmal in ihrer Polit-WG eingezogen sind: Den Abwasch machen die anderen.

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