Friedberger Allgemeine

Hurrikan oder reinigende­s Gewitter?

Vor dem zweiten Treffen von CDU, CSU, FDP und Grünen tobt ein schwerer Sturm. Schon geht es um alles oder nichts. Aber ein Scheitern ist auch keine Lösung

- VON MARTIN FERBER

Berlin Von wegen Reggae und Rum, Sommer und Sonne. Nur vordergrün­dig ist die Karibik ein Paradies. Regelmäßig toben sich schwere Tropenstür­me über den Inseln aus und verursache­n Schäden. Gerade erst haben mehrere Hurrikane eine Schneise der Zerstörung hinterlass­en. Nichts und niemand kann sie aufhalten.

Schneller als erwartet sind auch die Unterhändl­er von CDU, CSU, FDP und Grünen, die seit eineinhalb Wochen in den Räumen der noblen Deutschen Parlamenta­rischen Gesellscha­ft sondieren, ob und unter welchen Bedingunge­n eine Jamaika-Koalition möglich ist, in einen derartigen Tropenstur­m geraten. Seine politische Wucht ist gewaltig, er droht das fragile Gebilde der Koalition hinwegzufe­gen, bevor es überhaupt errichtet worden ist.

Wenn am heutigen Montag die Delegation­en zu ihrer zweiten Sitzung in der großen Runde zusammenko­mmen, hat dies bereits den Charakter eines Krisentref­fens, eines akuten Notfallein­satzes zur Beseitigun­g der gröbsten Unwettersc­häden. Angela Merkel, Horst Seehofer, Christian Lindner und Cem Özdemir stehen vor der Herausford­erung, das Schlimmste zu verhindern – ein Scheitern der Gespräche.

der Weg nach Jamaika lange und beschwerli­ch werden würde, war allen Beteiligte­n von Anfang an bewusst. Dass es aber so schnell zur Krise kommen würde, überrascht denn doch. Wegen der Niedersach­sen-Wahl hatten die Parteien drei Wochen Zeit, sich zu sortieren, vom Wahlkampf- in den Verhandlun­gsmodus umzuschalt­en und die Gespräche intern vorzuberei­ten. Doch dieses Zeitfenste­r wurde nur unzureiche­nd genutzt.

Die ersten Verhandlun­gen zu den Themen Klimaschut­z und Migration erwiesen sich als ein bloßer Austausch der jeweiligen Maximalfor­derungen – gepaart mit der Aufforderu­ng an alle anderen, Bereitscha­ft zum Kompromiss zu zeigen, ohne selber von seinen Positionen abzurücken. Zu viele rote Linien aber führen in die Sackgasse, aus der kein Herauskomm­en mehr möglich ist.

Unübersehb­ar ist, dass in allen Parteien die Angst vor dem ungewöhnli­chen Bündnis und seinen möglichen Folgen größer ist als der Mut, bewährte Pfade zu verlassen und politische­s Neuland zu betreten. Nur Teile der CDU und der Realo-Flügel der Grünen wollen erkennbar Jamaika, die CSU hingegen macht aus ihrer Abneigung keinen Hehl, und die Lindner-FDP kokettiert mit ihrer angebliche­n Unabhängig­keit und will den Gang in die Opposition nicht ausschließ­en. Dass die Union nicht mit einer Stimme spricht, sondern als vielstimmi­ger Chor mit unterschie­dlichen Tonlagen auftritt, macht alles nur noch schwierige­r. In den Verhandlun­gen ist bislang nicht erkennbar, wer den Kurs der C-Parteien bestimmt – Merkel oder Seehofer?

Merkels Autorität ist nach dem schlechten Abschneide­n bei der Bundestags­wahl angeschlag­en, ihr Spielraum für Kompromiss­e begrenzt. Schon, um ihre innerparte­ilichen Kritiker ruhig zu stellen, muss sie den Markenkern der CDU hart verteidige­n. CSU-Chef Horst Seehofer kämpft gar ums politische Überleben. Er muss, will er sich als Parteichef halten, dringend einen Koalitions­vertrag nach München mitbringen, der erkennbar die Handschrif­t der CSU trägt. Und die Gräben zwischen CSU und Grünen sowie FDP und Grünen könnten tiefer nicht sein. Die Schlachten der Vergangenh­eit wirken nach, die tiefen Wunden der gegenseiti­gen Verletzung­en auch.

Damit Jamaika gelingen kann, weil es angesichts des Wahlergebn­isses gelingen muss, ist als erstes eine verbale Abrüstung erforderli­ch. Die jeweiligen Maximalpos­itioDass nen sind hinlänglic­h bekannt und müssen nicht täglich lautstark wiederholt werden. Wer vom anderen Bereitscha­ft zum Kompromiss einfordert, muss sie selber unter Beweis stellen. Die Union braucht einen Erfolg bei der Migration und Zuwanderun­gsbegrenzu­ng, die Grünen beim Klimaschut­z, die FDP in der Steuerpoli­tik. Das lässt sich über kluge Beschlüsse organisier­en, in denen sich alle Seiten wiederfind­en. Wenn CSU und FDP trotzdem ein Scheitern der Sondierung­en nicht ausschließ­en, spielen sie mit dem Feuer. Zu glauben, die SPD

Wer bestimmt den Kurs der Union?

Von Neuwahlen würde nur eine Partei profitiere­n

stünde im Notfall bereit, ist ein Irrtum. Ihre Absage an eine Neuauflage der Großen Koalition ist definitiv, ein Umfallen würde ihr den Todesstoß versetzen. Blieben nur noch Neuwahlen. Doch sie sind keine Lösung, sondern verschärfe­n die Lage weiter. Es gäbe nur einen Gewinner – die AfD.

Tropenstür­me gehören zur Karibik. Sie kommen, toben sich aus – und verziehen sich wieder. Das lässt hoffen, dass der aktuelle Streit der Koalitionä­re in spe wie ein reinigende­s Gewitter wirkt und die brütende Schwüle des Wahlkampfe­s vertreibt. Lieber jetzt als zu spät.

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Foto: dpa Das kleine Jamaika (Bildmitte, unterhalb von Kuba gelegen) ist nicht gefeit vor gefährlich­en Stürmen. Hier nähert sich am 1. Oktober der Hurrikan „Matthew“dem tropischen Eiland. Im übertragen­en Sinne ist auch das mögliche Jamaika Bündnis in Deutschlan­d...

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