Der Endspurt zum großen Reformator
Das Luther-Jahr hat Deutschland mobilisiert. Hunderttausende pilgerten zu Ausstellungen. Auch wenn sich bis zur Halbzeit die Begeisterung in Grenzen gehalten hatte und gar die „Pleite des Jahres“heraufbeschworen worden war
Augsburg „Luther ist die Pleite des Jahres“, tönte schadenfroh-hämisch die Frankfurter Allgemeine Zeitung schon zur Halbzeit der Reformationsfeierlichkeiten im Juli. Die Besucherzahlen seien vielfach hinter den Erwartungen zurückgeblieben, „teils sogar drastisch“. In der Tat darbte anfangs die „Weltausstellung Reformation“in Wittenberg, und dem Deutschen Evangelischen Kirchentag gelang es nur bedingt, seine Gäste aus Berlin zum Schlussgottesdienst in die Lutherstadt zu lotsen.
Aber so trist ging es eben nicht weiter. Bis kurz vor Schluss des Jubiläumsjahrs am morgigen Dienstag besichtigten eine halbe Million Besucher allein Wittenberg. Die dortige Nationale Sonderausstellung „Luther! 95 Schätze – 95 Menschen“begrüßte 200000 Besucher, und zur „Weltausstellung“in den Wallanlagen der Altstadt lösten 294 000 Gäste ein Ticket. Die hohen Zahlen sind allerdings auch Frucht davon, dass man das „sehr intensive inhaltliche Programm“nachjustiert habe, gab Margot Käßmann, die Reformationsbotschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), bei ihrer Bilanz zu.
Heinrich Bedford-Strohm, der EKD-Ratsvorsitzende und bayerische Landesbischof, belässt es nicht bei Zahlen. Seine Bilanz sei gedeckt durch viele Erfahrungen von Menschen vor Ort und „keine naive Begeisterung“, beteuert der Repräsentant der rund 22 Millionen deutscher Protestanten. „Da, wo wir rausgegangen sind, war es voll. Die Menschen waren neugierig – dort, wo wir nicht erwartet hatten, dass sie zu uns kommen.“Er meint etwa die Andacht auf dem Marktplatz in Wittenberg, wo wie überall in den neuen Bundesländern die Christen in absoluter Minderheit sind. Margot Käßmann erklärte dazu mit Blick in die Zukunft: „Das können wir weitertragen und an anderen Orten umsetzen. Denn eine Sprache für unseren christlichen Glauben zu finden in einer Gesellschaft, für die er mehr und mehr zur Fremdsprache wird, ist wohl die größte Herausforderung.“
In Bayern gab es Reformation allerorten. Über 4000 Veranstaltungen listet Pfarrer Christian Düfel als Koordinator der Landeskirche auf. Die weißblauen Protestanten bewiesen Kreativität: Die Dekanate am Main verlegten die Jubiläumsfeiern in ein Schiff auf den Fluss; Senioren sprayten Luther in Coburg; in Schwaben stiegen Luthertouristen aufs Rad; am Ammersee ließ sich die Reformation im Luther-Labyrinth erkunden; in München gab’s in der Olympiahalle das Pop-Oratorium „Luther“mit 2000 Sängern vor 10000 Zuhörern. Und morgen erklingt in Augsburg erstmals die neue Reformationssinfonie des Berliner Komponisten Martin Torp.
„Luther hatte ein Jahr lang eine Bühne, und wir haben das Beste daraus gemacht“, sagt Johannes Minkus, Sprecher der bayerischen Landeskirche. Luthers leidenschaftliche Suche nach dem gnädigen Gott sei auch ein zentrales Thema der Menschen heute: „Sie leiden unter ungnädigen Verhältnissen, etwa an ihrem Arbeitsplatz, wegen ihres Aussehens oder ihrer Fitness.“Doch sie entlaste gleichzeitig die reformatorische Botschaft: Du darfst sein, wie du bist. Minkus stellt fest, dass es seine Zeit gebraucht hat, bis die Menschen gedanklich und emotional bei der Reformation angekommen waren. „So ein Themenjahr holt aus dem Jahrestrott heraus, und wir hörten oft als Rückmeldung aus den Gemeinden: Darüber haben wir noch nie oder schon lange nicht mehr gesprochen.“Eitel Freude herrscht im Haus der Bayerischen Geschichte über die Resonanz auf die Landesausstellung in Coburg. Die Stadt in Bayerns hohem Norden steuerten über 220000 Besucher an, davon stiegen 130000 auf die Veste hinauf, wo sich die Schau „Ritter, Bauern, Lutheraner“perfekt in die Architektur der Burg einpasste. „Am authentischen Ort in eine historische Zeit einzutauchen, fasziniert die Menschen und öffnet sie für ein Thema, das Auswirkungen bis in die Gegenwart hat“, sagt Ausstellungsmacher Peter Wolf.
Vor allem drei Themenkreise hätten sich bei den Führungen herauskristallisiert, so Wolf. Die Reformation verdankte sich der entstehenden Massenkommunikation, und ihre Sache wurde öffentlich diskutiert, nicht nur unter Gelehrten.
Die Landesausstellung zeigte eine Identitätslinie, die zu Bayern dazugehört
Die Reformation habe das eigenverantwortliche Denken gefördert und die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine Institution nicht allein die Wahrheit gepachtet hat und dass die Welt nicht untergeht, wenn noch eine andere Religion existiert. „Coburg zeichnete eine Identitätslinie, die zu Bayern dazugehört“, bekräftigt Peter Wolf als stellvertretender Direktor des Geschichtshauses.
„Es war ein Themenjahr, das so noch nie da war“, bilanziert Markus Galle, der Sprecher der Staatlichen Geschäftsstelle „Luther 2017“. Der Reformator sei dezentral überall in Deutschland mit Veranstaltungen bedacht worden. Sechs „Lutherkoffer“mit didaktischen Materialien für den Unterricht sind laut Galle ganzjährig im Umlauf und schon für 2018 gebucht. Die revidierte Lutherbibel sei ein Verkaufsschlager und habe eine halbe Million Bücher abgesetzt. Die Wartburg, Schauplatz der Ausstellung „Luther und die Deutschen“, sei mit rund 250000 Besuchern an ihre Kapazitätsgrenze gestoßen. Auch die Berliner Schau „Der Luther-Effekt“laufe gut.
Mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters stimmt BedfordStrohm überein: „Das Reformationsjubiläum wird nachwirken. Denn es hat zu einer Verständigung über unsere Wurzeln und Werte angeregt.“Gewachsen sei auch das gegenseitige Vertrauen zwischen Protestanten und Katholiken.