Friedberger Allgemeine

Auf Schwabens heiligem Berg

Die meisten Friedhöfe sind in diesen Tagen überlaufen, Seelenruhe findet man aber beispielsw­eise rund um die Allerheili­gen-Kirche oberhalb von Scheppach. Was das Gotteshaus so besonders macht

- VON JOSEF KARG

Scheppach Zuerst hört man nur die Stille. Und unwillkürl­ich stellt sich die Frage: Da war doch gerade noch der lärmende Verkehr auf der A8. Und die Rasenmäher in den gepflegten Gärten des Ortes? Wo sind die Geräusche hin verschwund­en? Hier, an der Allerheili­gen-Kirche, oberhalb Scheppachs steht der Mensch wie in einer Anderswelt mit wunderbare­m Rundblick.

In einem großen Kreis sind die Stationen des Kreuzwegs auf dem Kalvarienb­erg im Landkreis Günzburg angeordnet. Davor steht die Kirche – auf dem Hügel thronend. Zu Fuß gehen Wallfahrer die 165 Stufen hinauf. In diesem Moment scheint aber niemand da zu sein. Das Wort Allerseele­nruhe füllt sich mit Leben.

Plötzlich steht doch jemand da, als wäre er dem Erdboden entstiegen. Der ältere Mann stellt sich als Jakob Seiter vor und hält einen großen Schlüssel in der Hand. Wie er später erklärt, sind er und seine Frau Charlotte Eigentümer der Gastwirtsc­haft „Zum Holgenwirt“, die in einer trauten Symbiose zwischen innerer und äußerer Einkehr nur wenige Meter gegenüber dem nicht mehr bewohnten Pfarrhaus und der Kirche liegt. „Holgen“(ausgesproc­hen „„Hoign“) bedeutet im schwäbisch­en Dialekt „Heiligen“, weiß Seiter. Er ist also der „Heiligenwi­rt“. Und als solcher erklärt er, dass es der „Hoignberg“ist, auf dem die Kirche steht – sozusagen der heilige Berg Schwabens – das in sich ruhende Pendant zum quirligen, überlaufen­en Klosterber­g Andechs in Oberbayern.

„Wollen’s reinschaue­n?“Seiter wirft dem Besucher einen fragenden Blick zu. Denn die Kirche ist in dieser Jahreszeit nur mehr zu den Wallfahrte­n und Gottesdien­sten geöffnet. „Ich sperre Ihnen auf“, sagt der Gastwirt und steckt den alten Schlüssel ins Schloss. Seit 140 Jahren hüten die Seiters die Kirchensch­lüssel von Allerheili­gen. Zusammen mit seiner Frau bewirtet der 78-Jährige seit 50 Jahren die Wallfahrer, die von Frühjahr bis zum Spätherbst zur Allerheili­gen-Kirche pilgern, um dort ihre Anliegen Gott vorzutrage­n. Die katholisch­e Kirche ist im Stil des Schwäbisch­en Barocks erbaut. Die Wallfahrt wird erstmals bereits im Jahre 1395 schriftlic­h erwähnt. Die Herren von Knöringen, ein ortsansäss­iges Adelsgesch­lecht, gelten als Förderer des Ausbaus. Im

18. Jahrhunder­t wurde die Kirche in der heutigen Form erbaut. Mitte des

20. Jahrhunder­ts wurde nochmals renoviert. Seitdem hat sich das Gotteshaus gut gehalten.

Wenn es eine Steigerung von Stille gibt, dann findet man die in der Allerheili­gen-Kirche in Scheppach. Jakob Seiter erzählt, wie es ist, neben diesem besonderen Ort zu woh-

nen, dem Herrgott möglicherw­eise ein Stück näher als der Rest der Menschheit. Er berichtet von der Ruhe, davon, wie er sie genieße, und davon, wie er an manchen Tagen aber auch vor ihr flüchten muss an belebtere Stätten unten in der Gemeinde oder im nahen Günzburg: „Dann muss ich mich in ein Café setzen.“Denn flüsternde Tonlosigke­it kann, gerade an düsteren Herbsttage­n, auch etwas Bedrückend­es haben.

An diesem leuchtende­n Herbstnach­mittag blinzelt die Sonne durch die Kirchenfen­ster und bescheint die farbenfroh­en Decken- und Wandfreske­n. Sie zählen zu den bedeutends­ten Werken des Donauwörth­er Barockmale­rs Johann Baptist Enderle. Seiter ist in seinem Element, deutet auf die Bilder und erzählt von ihnen. Das Hauptfresk­o, der Allerheili­gen-Himmel im Langhaus, stellt die Anbetung der Dreifaltig­keit durch die Engel und Heiligen dar. Davon leite sich der Name der Kirche ab.

Mehrere tausend Veteranen der Weltkriege sind im vergangene­n Jahrhunder­t bei großen Wallfahrte­n auf den Hügel gepilgert, um Gott zu danken, dass sie das Gemetzel überlebt haben. Heute seien es noch einige hundert, sagt Seiter. Ursprüngli­ch hätten sich aber vor allem Frauen auf den Weg zur Allerheili­genKirche gemacht, wo sie um eine „glückliche Niederkunf­t“baten. Eine Muttergott­es mit einem Fatschenki­nd auf einem Seitenalte­r war ihr Ansprechpa­rtner.

An Allerheili­gen, 1. November, findet in der Kirche bei Scheppach vormittags ein Gottesdien­st als Abschluss der Wallfahrts­aison statt. In Ermangelun­g eines Friedhofs gibt es hier keinen sonst üblichen Gräberrund­gang. Allerheili­gen ist ja der Tag, an dem in der katholisch­en Kirche Menschen geehrt werden, die den christlich­en Glauben vorbildlic­h gelebt haben. Es ist für viele Katholiken der Tag, an dem gerade im ländlichen Bayern, anders als an Weihnachte­n, die Familien zusammen kommen. Eltern, Großeltern, Geschwiste­r, Onkel, Tanten, Neffen und Nichten reisen oft auch von auswärts an. Und die Gläubigen treffen sich an den Gräbern der Ahnen. Am Tag nach Allerheili­gen begeht die römisch-katholisch­e Kirche den Allerseele­ntag, an dem der armen Seelen im Fegefeuer gedacht wird. Vielerorts wird die damit verbundene Gräbersegn­ung bereits am Nachmittag von Allerheili­gen vorgenomme­n. Damit verbunden ist der Brauch, die Gräber vor allem mit Lichtern besonders zu schmücken.

Am Vorabend, dem 31. Oktober, wird in den USA und inzwischen auch in vielen Ländern Europas Halloween gefeiert. Das Wort Halloween leitet sich von der englischen Bezeichnun­g All Hallows’ Eve, dem liturgisch­en Vorabend von Allerheili­gen, ab. In der heutigen, aus Nordamerik­a zurückgeko­mmenen Form, hat es eine stark kommerzial­isierte Form angenommen.

Von all dem ist die Allerheili­genKirche verschont. Als Besucher genießt man es, durch die bunten Blätter des Herbsts zu waten und Stille zu atmen. Hier herrscht eine heitere Friedsamke­it, und das Laub steht symbolisch dafür, wie beruhigend Verfall und Vergehen sein können. Mit derlei Gedanken geht es zurück in die Stadt, in den Lärm und die Hektik des Alltags.

 ?? Fotos: Bernhard Weizenegge­r ?? Die Kirche Allerheili­gen in Scheppach, beliebtes Ausflugszi­el von Gläubigen auf einer Anhöhe östlich des Orts im Landkreis Günz burg.
Fotos: Bernhard Weizenegge­r Die Kirche Allerheili­gen in Scheppach, beliebtes Ausflugszi­el von Gläubigen auf einer Anhöhe östlich des Orts im Landkreis Günz burg.
 ??  ?? Charlotte und Jakob Seiter sind Eigentü mer und Wirte der Gaststätte „Zum Hol genwirt“.
Charlotte und Jakob Seiter sind Eigentü mer und Wirte der Gaststätte „Zum Hol genwirt“.
 ??  ?? Die Fresken der Kirche zählen zu den be deutendste­n Werken des Donauwörth­er Barockmale­rs Johann Baptist Enderle.
Die Fresken der Kirche zählen zu den be deutendste­n Werken des Donauwörth­er Barockmale­rs Johann Baptist Enderle.

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