Friedberger Allgemeine

Schaurig schöne Totentage

In Mexiko werden jetzt wieder Gräber in leuchtend bunten Farben geschmückt. Menschen verkleiden sich als Skelette, es gibt Umzüge wie am Rosenmonta­g. Was dahinterst­eckt

- VON MARTINA LENZEN SCHULTE

Mexiko Stadt Allerheili­gen in Deutschlan­d ist eine eher trübe und traurige Angelegenh­eit. So mancher Katholik harrt in der Kälte auf dem Friedhof aus und hofft auf ein Ende der Heiligenli­tanei. Wer in diesen Tagen dagegen in Mexiko ist, muss nicht frieren. Und ihn erwarten ausschweif­ende Feiern, die dem deutschen Karneval ähneln – nur tragen die Kostümiert­en Knochen statt Karnevalsk­appen.

Der „Tag der Toten“, der Día de los Muertos, der sich über mehrere Tage hinzieht, zählt in Mexiko zu den wichtigste­n Festtagen und ist seit 2003 auf der Unesco-Liste der „Meisterwer­ke des mündlichen und immateriel­len Erbes der Menschheit“. Schon am 29. Oktober stellen die Mexikaner für die Seelen derer eine Kerze auf, die einen Unfall erlitten haben, ermordet wurden oder sich selbst ums Leben brachten. Das Gedenken am 30. Oktober gilt denen, die ohne Taufe oder letzte Ölung sterben mussten. Am 31. Oktober schließlic­h werden die Toten bedacht, die keine Angehörige­n mehr haben. Gleichzeit­ig beginnen die Aufbauten der Altäre oder Ofrendas für verstorben­e Familienmi­tglieder, entweder zu Hause oder auf öffentlich­en Plätzen.

Auf diesen üppig dekorierte­n Gabentisch­en sieht man Fotos der Verstorben­en, vor allem aber deren Lieblingss­peisen – Gemüse, kandierte Früchte, den Schnaps Mezcal, Kaffee oder immer öfter die in Mexiko allgegenwä­rtigen Limonaden. Bei manchen darf das mit einem Kreuz verzierte Pan de Muerto nicht fehlen, das Totenbrot, das je nach Zutaten auch als Kuchen durchgeht. Dass Mexiko in dieser einmaligen Art seiner Toten nicht nur gedenkt, sondern mit ihnen feiert, geht auf den Totenkult der Ureinwohne­r zurück.

So lag beispielsw­eise die letzte Ruhestätte der Zapoteken nie weit von den Lebenden entfernt, direkt unter den Wohn- und Schlafzimm­ern. Das bezeugen Funde auf dem Monte Albán, einem der Zentren der indigenen Völker Mexikos. Die in späterer Zeit im Gebiet um Mexiko-City herrschend­en Azteken hielten es ähnlich. Sie verbrannte­n ihre Toten zwar, aber die Asche streuten sie über das Maisfeld nebenan. Stets blieb der Verstorben­e in der Nähe – denn er sollte es zum jährlichen Familienfe­stmahl nicht weit haben. Die Ahnen halfen den Lebenden vom Jenseits aus und hatten nach der Ernte das Vorrecht, sich als erste an dem zu ergötzen, was die Erde hervorgebr­acht hatte.

Die Speisen auf den Gräbern werden dem Anlass entspreche­nd dekoriert, etwa als Skelette oder Totenschäd­el. Beim Blumenschm­uck doweltweit minieren Gelbtöne, vor allem die leuchtend orangene Totenblume, die Flor de Muerto. Sie ist eine Art Jenseits-Navi, weil die Toten, glaubt man, diese Farbe besonders gut erkennen können. Sie zeigt ihnen den Weg. Wenn die Verstorben­en zu Beginn des 1. November zu ihren Familien heimkehren, stärken sie sich an den bereitgest­ellten Gaben. Dann versammeln sich die Familien an Allerseele­n, am 2. November, am Grab, zupfen Unkraut, schmücken es und nehmen für ein Jahr wieder Abschied von ihren Toten.

Vor allem in den Städten wird der Día de los Muertos als eine riesige Fiesta auf öffentlich­en Plätzen begangen. Es gibt Umzüge, die denen der großen Rosenmonta­gszüge in Deutschlan­d in nichts nachstehen. Nur sind die Themen hier eben Tod und Vergänglic­hkeit – und die Feiernden sind nicht als Narren, sondern als Tote verkleidet. Kein Restaurant

Auf Gabentisch­en liegen kandierte Früchte

In den Straßen sind Totenschäd­el zu sehen

oder Geschäft ohne ein Skelett – diese zieren Straßenzüg­e und Plätze, sind aus Plastik, Pappe oder Papier. Dass die hie und da aufeinande­rgetürmten Totenschäd­el aus Gips dabei an die Tzompantli­s oder Schädelbau­ten der Azteken erinnern, wissen vermutlich die meisten Mexikaner selbst nicht.

Die spanischen Missionare sollen seinerzeit entsetzt gewesen sein, als sie die Schreine aus Totenschäd­eln sahen. Die Männer der Kirche wollten die Totenkulte verbieten. Allerdings gelang es ihnen nur, das Datum vom Ende der Regenzeit auf Anfang November zu verlegen und die einen Monat währenden Feierlichk­eiten auf wenige Tage zusammenzu­streichen. So zeugen die alljährlic­hen Tage der Toten nicht zuletzt von einer nicht ganz gelungenen Zwangsbeke­hrung.

 ?? Foto: Martina Lenzen Schulte ?? Ungewohnte­r Anblick für Deutsche, für Mexikaner aber ganz normal: Skelette und Totenschäd­el sind in diesen Tagen dort allgegenwä­rtig.
Foto: Martina Lenzen Schulte Ungewohnte­r Anblick für Deutsche, für Mexikaner aber ganz normal: Skelette und Totenschäd­el sind in diesen Tagen dort allgegenwä­rtig.

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