Friedberger Allgemeine

Ärger in der Puppenstub­e

Stella wäre eine Traumfrau, doch sie ist ein programmie­rtes Wesen. Das führt zu unterhalts­amen Wendungen

- VON NINA STAZOL

Hemmungslo­ser Sex, nie wieder allein sein, mit allen Unzulängli­chkeiten bleiben dürfen, wie man ist, und gleichzeit­ig alles kriegen, was man will – ein verlockend­er Wunsch, der der tief sitzenden menschlich­en Neigung, möglichst überschaub­ar schmerzfre­i überleben zu wollen, sehr entgegenko­mmt. Die Idee: eine Puppe als Partner. Hochentwic­kelt, der menschlich­en Gestalt zum Verwechsel­n ähnlich konstruier­t und programmie­rt. Diesen Traum, der, machen wir uns nichts vor, inzwischen auch in der Realität Einzug hält, möchte sich Marco erfüllen. Er ist der tragische Held in der Komödie „Die Puppe“des kroatische­n Erfolgsaut­ors Miro Gavran. Regisseur Sebastian Seidel brachte das 2004 entstanden­e Stück jetzt an seinem Sensemblet­heater mit grandiosen Darsteller­n zu einer hochamüsan­ten, unterhalts­amen deutschspr­achigen Erstauffüh­rung.

Geistreich, lustig, leicht, ein durchweg gelungener Abend an kleinen feinen Theater, das sich mit der Spezialisi­erung auf Ur- und Erstauffüh­rungen zeitgenöss­ischer Stücke in Augsburg einen Namen und einen Platz in den Herzen der Zuschauer erarbeitet hat. Gast auf der ausverkauf­ten Premiere ist auch Tihomir Glowatzky, der die wendige Übersetzun­g aus dem Kroatische­n für dieses wie auch für andere Stücke Miro Gavrans besorgt hat. Auch mit dem Autor, dessen Stücke weltweit über 300 Premieren feierten und allmählich auch die deutschen Spielpläne erobern, steht Sebastian Seidel in persönlich­em Austausch.

„Die Puppe“ist ein schnurrend­es Konversati­onsstück mit viel Dialogwitz, komischen Pointen und zwei wunderbare­n Rollen, die mit den Schauspiel­ern Kerstin Becke als programmie­rte Puppe Stella und Heiko Dietz als beziehungs­zerknirsch­ter Marco fantastisc­h besetzt sind.

In einem riesigen Karton ist Marcos Verheißung, die er in einem Wettbewerb zur Benutzung auf Probezeit gewonnen hat, verpackt. Eine lebensecht­e Puppe, hübsch, jung, gut riechend, für leidenscha­ftlichen Sex mit einem Mann programmie­rt. Es könnte perfekt sein. Die Krux – Stella passt sich propordem tional den Wertmaßstä­ben des Benutzers an. Und, weil Maschine, gibt sie sich ausschließ­lich mit Antworten zufrieden, die auf logischen Argumenten beruhen. In Marcos Leben aber ist einiges unlogisch und ungereimt und das möchte er möglichst nicht beleuchten. Nach und nach deckt Stella im gemeinsame­n Zusammenle­ben menschlich­e und männliche Unentschie­denheiten und Unzulängli­chkeiten Marcos auf und trifft ihn damit bei allen Schmerzpun­kten.

Sein empfindlic­hster: die nicht überwunden­e Trennung von Maria. Die schonungs- und emotionslo­sen Analysen Stellas in immer freundlich­em Ton machen Marco zunehmend zu schaffen. Und es kommt noch ärger. Am Ende der sechs Monate eröffnet Stella Marco ihre Bilanz, die auf seinen Wertmaßstä­ben beruht: Marco hat sich so mies verhalten, dass er selbst die Probezeit mit einer Puppe nicht bestanden hat. Das ist ein witziger Schluss und erfreulich­erweise nicht die letzte Wendung.

Die bei der Premiere hoch gefeierte Inszenieru­ng fliegt nur so dahin, rasant galant erfolgen Umbauten, das Tempo ist hoch, Sebastian Seidel lässt Slapstick und Stummfilmk­omik aufs Amüsantest­e in die Szenen einfließen, während sich Marco herzergieß­end in der Midlife-Crisis in Hätte-wäre-wollteMono­logen ergießt, lässt Sebastian Seidel Stella putzen. Ihre eigene Benutzerob­erfläche und Marcos Junggesell­enbude. Großartig, Kerstin Beckes entzückend mechanisch­en Bewegungen beim Bettmachen inklusive Salti auf High Heels und ihr leuchtende­r Stand-by-Blick.

Wunderbar berührend und hinreißend komisch, wie Heiko Dietz den überforder­ten, gequälten sensiblen Marco am Rande des Nervenzusa­mmenbruchs zwischen Falsett und Heiserkeit gibt.

Grandios gespielt von beiden. Hingehen! Termine im Spielplan bis Ende November; nächste Vorstellun­g Freitag, 3. November, um 20.30 Uhr

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Foto: Zoepf Zum tragischen Helden wird Marco (Hei ko Dietz) als er den Ansprüchen von Pup pe Stella nicht mehr genügt.

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