Wie man die Angst vor dem Tod überwindet
Das Sterben begleitet Oberärztin Irmtraud Hainsch-Müller auf der Palliativstation des Klinikums und Seelsorger Norbert Kugler bei ihrer täglichen Arbeit. Sie erzählen, was Patienten am Ende wichtig ist
Die Palliativstation am Augsburger Klinikum gibt es seit dem Jahr 2009. Dort gibt es zehn Betten, die immer belegt sind. Welche Begegnungen sind Ihnen im Gedächtnis geblieben?
Dr. Irmtraud Hainsch Müller: Da gibt es viele. Ich erinnere mich etwa an die Frau, die in Vorbereitung auf ihren Tod immer gesungen hat. Ihr summender Gesang war auf der gesamten Station hörbar. An einem Tag hat sie gesagt, dass es heute so weit sein würde, ohne dass medizinisch oder pflegerisch dafür ein eindeutiger Hinweis vorlag. An diesem Tag war irgendwann ihr Summen verstummt und sie war in Frieden verstorben. Besonders einprägsam war auch die Begegnung mit einem Mann, der unter stärksten Schmerzen litt, obwohl wir schon mit sehr hohen Morphindosen therapierten. Er klagte dennoch über Schmerzen, die sich erst besserten, als ein Kontakt mit einem Seelsorger zustande kam. Dieser Patient hatte sich in großer spiritueller Not befunden und war am Leben und an Gott verzweifelt. In dieser Verzweiflung war die Unterstützung durch die Seelsorge so wichtig, dass wir die Schmerzmedikation um etwa die Hälfte reduzieren konnten.
Können am Ende alle Konflikte gelöst werden?
Hainsch Müller: Nein, nicht alle Konflikte sind lösbar. Deshalb werden wir auch oft mit Aggression und Wut konfrontiert, die wir auch aushalten müssen. Das ist oft ungerechtfertigt, gehört dennoch auch zu unserer Arbeit und unserem Beruf. Norbert Kugler: Wut kann ein Bestandteil des Trauerprozesses sein. Manche Trauernden empfinden niemals Wut, andere sind ganz davon erfüllt. Wut und Zorn richten sich manchmal gegen bestimmte Menschen, gegen einen Arzt, ein Familienmitglied oder gegen den Verstorbenen selbst und auf Gott, der den Tod nicht verhindert hat. Man möchte das Schicksal schlagen können, also bekommt irgendjemand den geballten Zorn ab. Kinder gehen übrigens viel direkter mit dieser Wut um. ,Darf ich jetzt wütend sein?‘, fragen sie mich. ,Und komme ich dann trotzdem in den Himmel?‘.
Wie verliert man die Angst vor dem Tod? Geht das überhaupt?
Hainsch Müller: Die Angst ist vielfältig. Es gibt die Angst vor dem Sterben, die Angst vor unwürdiger Pflege am Lebensende, die Angst vor dem Nicht-mehr-Sein, Angst vor Leid und Schmerzen, die Angst vor dem Alleingelassenwerden. Es gibt viele Situationen, die lösbar sind. Das macht eine gelungene Palliativmedizin aus.
Kugler: Es darf auch eine Restangst bleiben, die der Sterbende nicht steuern kann. Der Umgang mit Ängsten hängt auch damit zusammen, wie viel Vertrauen ich in Menschen, die Welt und Gott habe. Es ist ein anderes Umgehen mit dem Tod, wenn ich mich geborgen und getragen weiß. Was ist einem Menschen am Ende wichtig?
Hainsch Müller: Da gibt es Tendenzen. Natürlich ist es oft der Frieden mit seiner Familie, Verwandten und Freunden. Es kann schon einmal eine Herausforderung sein, wenn es ungelöste Probleme gibt. Erst kürzlich konnten wir moderieren, als ein Vater, der im Sterben lag, seine Kinder nach 15 Jahren wiedergesehen hat. Da war der Kontakt zu den Kindern lange abgebrochen. Kugler: Manche Menschen, die dem Tod nahe sind, wollen mit sich selber im Reinen sein. Sie wollen wissen, was danach sein wird. Kindern und auch Erwachsenen hilft zu erahnen: Nach dem Tod werden wir an einem Ort sein, wo es hell ist, wo ich nicht alleine bin und wo es ein Wiedersehen gibt. Als Seelsorger wollen wir mithelfen, dass angstmachende Bilder und Vorstellungen eine Horizonterweiterung erfahren.
Viele Menschen haben Angst, eine Person, die im Sterben liegt, zu treffen. Kugler: Das passiert, wenn ein Mensch sich unter Druck gesetzt fühlt oder einen Zwang verspürt. Dabei ist Offenheit die beste Lösung. Oft hilft schon eine Kleinigkeit, wie ein Händedruck. Auch andersrum ist die Verunsicherung manchmal groß. Ich wurde schon von Sterbenden gefragt, wie sie sich nun gegenüber ihrer Familie oder Freunden verhalten sollen. ,So wie immer‘, sage ich dann. Die Begegnung mit einem Sterbenden, einem Verstorbenen erfordert Mut, sich auf dieses Geschehen einzulassen. Im Nachhinein erzählen Angehörige, dass es schwer war, aber sie jetzt sehr dankbar sind, dass sie dazu ermutigt wurden.
Wer kommt zu Ihnen?
Hainsch Müller: Zu uns kommen Patienten, deren Lebenserwartung begrenzt ist, die eine belastende Angst verspüren und starke Schmerzen haben. Etwa 80 Prozent von ihnen sind an Krebs erkrankt, rund 20 Prozent leiden an einer neurologischen Erkrankung oder einer schweren Lungenkrankheit. Sie kommen nicht in unsere Station, um zu bleiben, sondern um stabilisiert zu werden und nach Hause zurückzukehren. 50 Prozent unserer Patienten sterben auf der Palliativstation, 50 Prozent werden wieder entlassen.
Wie können Sie ihnen helfen? Hainsch Müller: Wir betrachten den Menschen ganzheitlich. Hat er körperliche Schmerzen? Braucht er psychologischen oder seelsorgerischen Beistand? Unser Team besteht aus Ärzten, Pflegenden, Seelsorgern, Sozialarbeitern, Psychoonkologen, Physiotherapeuten, Musiktherapeuten und ehrenamtlichen Helfern, die für Patienten und Angehörige da sind.
Kugler: In der Sterbebegleitung begleiten wir den Weg des Sterbenden mit seinen Angehörigen, in der Trauerbegleitung begleiten wir den Weg der Hiergebliebenen. Das ist ein Angebot. Wir achten und respektieren die jeweils unterschiedlichsten Wege und bieten unseren Beistand, unser Mitgehen an. Sie haben auf der Station einen Raum der Stille. Was hat es damit auf sich? Hainsch Müller: Das ist ein Raum, der dem Innehalten dient, mit Sitzmöglichkeiten, Blumen und einem Blick ins Grüne. Hier können sich Patienten, Angehörige aber auch Pflegekräfte und wir Ärzte zurückziehen, wenn es zu belastenden Situationen kommt. Es liegt ein Buch aus, in dem sich Angehörige verewi- gen und etwas über ihre Liebsten schreiben. Hier haben eine Taufe und eine Hochzeit stattgefunden.
In Ihrer täglichen Arbeit sind Sie sehr gefordert. Wie gehen Sie damit um? Hainsch Müller: Dem Patienten gegenüber mit Achtsamkeit und Offenheit. Ich versuche, mich bei jedem Menschen neu einzulassen. Für mich habe ich festgestellt, dass ich intensiver lebe. Ich empfinde Dankbarkeit gegenüber dem Leben, weil ich weiß, was ist und was sein kann. Irmtraud Hainsch Müller ist Oberärztin am Klini kum. Norbert Kugler leitet die Kontaktstelle Trauer begleitung der Diözese.
Konfrontationen mit Aggressionen und Wut