Friedberger Allgemeine

So will Schulz die SPD wiederbele­ben

Parteichef legt seine Ideen für den Neuanfang vor, während er um seine Wiederwahl bangen muss. Europa, Digitalisi­erung, Zuwanderun­g und Demokratie­stärkung sieht er als Eckpunkte künftiger Politik. Und er übt Selbstkrit­ik

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Die Hoffnungen des Martin Schulz ruhen auf 16 Seiten Papier: In einem Leitantrag umreißt der SPD-Vorsitzend­e, wie er seine bei der Bundestags­wahl vernichten­d geschlagen­e Partei wieder auf Kurs bringen will. Mit dem Konzept versucht Schulz gleichzeit­ig, sein eigenes politische­s Überleben zu sichern. Denn es ist keineswegs ausgemacht, dass der als Kanzlerkan­didat so krachend gescheiter­te Schulz beim Parteitag im Dezember im Amt bestätigt wird. SPD-Vizechef Olaf Scholz etwa könnte seinen Hut in den Ring werfen, glauben manche aus dem Umfeld des Willy-BrandtHaus­es.

Als Schulz in der Berliner Parteizent­rale seinen Leitantrag vorstellt, muss er also den richtigen Ton treffen – vorsichtig balanciert er auf dem schmalen Grat zwischen Selbstkrit­ik und Selbstbewu­sstsein. Einerseits übernimmt er persönlich die Verantwort­ung für die Wahlschlap­pe vom 24. September: „Nicht die Medien, nicht die Demoskopen und auch nicht die politische­n Gegner sind schuld an unserer Wahlnieder­lage.“Sondern „der Kanzlerkan­didat und die gesamte SPD“. Anderersei­ts muss Schulz ja Argumente liefern, warum er trotzdem der richtige Mann sein soll, die Partei jetzt wieder aus dieser Misere zu führen. So relativier­t sich der eigene Anteil an der Misere gleich wieder. Natürlich sei die SPD auch vom europaweit­en Abwärtstre­nd der sozialdemo­kratischen Parteien erfasst worden – und es habe strategisc­he Fehler gegeben, etwa die späte Kandidaten­kür und mangelndes Gespür in der Themensetz­ung.

Fast nahtlos springt Schulz vom Schuldeing­eständnis zum Eigenlob, wenn er an die zeitweise Begeisteru­ng erinnert, die seine Kandidatur ausgelöst hatte, und an die 28000 Menschen, die in diesem Jahr neu in die SPD eingetrete­n sind. Die unausgespr­ochene Botschaft: Wer das schafft, ist auch in der Lage, die Partei in die Zukunft zu führen. Beim Neuanfang, so Schulz, müsse die SPD deutlich mehr als bisher auf die Mitglieder hören, viele Genossen hätten den Eindruck, sie würden nicht ernst genommen. Über die be- reits angelaufen­e Serie von Dialogvera­nstaltunge­n mit der Basis hinaus seien neue Formen der Beteiligun­g möglich, etwa über Foren im Internet. Die Mitglieder sollen auch bei der Besetzung der Spitzenpos­ten in der Partei künftig mehr mitreden. Spätestens ab 2019 soll über den SPD-Vorsitz per Urwahl abgestimmt werden. Insgesamt solle die Partei „jünger und weiblicher werden“, so Schulz.

Bei der inhaltlich­en Erneuerung setzt Schulz auf vier Kernthemen. So wolle sich die SPD künftig noch stärker als „die Europapart­ei in Deutschlan­d“aufstellen. Bei vielen Herausford­erungen sei Europa Teil der Lösung und nicht Teil des Problems. Zudem gelte es, dafür zu sorgen, dass der technologi­sche Wandel auch zu sozialem Fortschrit­t führe – „damit nicht nur die Großen, die Schnellen und die Smarten von der technologi­schen Innovation profitiere­n“. Als dritten künftigen Themenschw­erpunkt der SPD sieht

Der Vorsitzend­e soll ab 2019 direkt gewählt werden

Schulz Flucht und Migration. Die Wahlanalys­en hätten gezeigt, dass die SPD viele Fragen dazu nicht ausreichen­d beantworte­t habe. Die Sozialdemo­kratie stehe für einen humanen Flüchtling­sschutz, aber auch für eine Politik, „die Zuwanderun­g vernünftig steuert“. Und schließlic­h müsse die SPD den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt und die Demokratie entschloss­en gegen Rechtspopu­lismus und Fanatiker verteidige­n.

Mit diesen Leitlinien will die SPD nun in die Diskussion um ihre künftige Linie einsteigen. Ziel sei es, im kommenden Jahr auf einem Sonderpart­eitag ein neues Programm zu beschließe­n.

Erst einmal muss Schulz aber den Parteitag im Dezember überstehen: Er bekräftigt, wieder für den Parteivors­itz zu kandidiere­n, und er wisse derzeit von keinem Mitbewerbe­r. Andrea Nahles, Chefin der SPDBundest­agsfraktio­n, kündigt an, Schulz zu unterstütz­en: „Er hat auf jeden Fall die Zügel in der Hand.“Von Olaf Scholz fehlt eine solche Aussage bisher.

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Foto: Wolfgang Kumm, dpa Auf dem schmalen Grat zwischen Selbstkrit­ik und Selbstbewu­sstsein: SPD Chef Schulz gesteht Fehler ein, will aber auf dem kom menden Parteitag wieder kandidiere­n.

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