Friedberger Allgemeine

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (33)

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„V orwärts, Schimmel!“rief Hauke; „wir reiten unseren schlimmste­n Ritt!“

Da klang es wie ein Todesschre­i unter den Hufen seines Rosses. Er riß den Zügel zurück; er sah sich um: ihm zur Seite dicht über dem Boden, halb fliegend, halb vom Sturme geschleude­rt, zog eine Schar von weißen Möwen, ein höhnisches Gegacker ausstoßend; sie suchten Schutz im Lande.

Eine von ihnen – der Mond schien flüchtig durch die Wolken – lag am Weg zertreten: dem Reiter war’s, als flattere ein rotes Band an ihrem Halse. „Klaus!“rief er. „Armer Klaus!“

War es der Vogel seines Kindes? Hatte er Roß und Reiter erkannt und sich bei ihnen bergen wollen? Der Reiter wußte es nicht. „Vorwärts!“rief er wieder, und schon hob der Schimmel zu neuem Rennen seine Hufen; da setzte der Sturm plötzlich aus, eine Totenstill­e trat an seine Stelle; nur eine Sekunde lang, dann kam er mit erneuter Wut zurück; aber Menschenst­immen und verlorenes Hundegebel­l waren inzwischen an des Reiters Ohr geschlagen, und als er rückwärts nach seinem Dorf den Kopf wandte, erkannte er in dem Mondlicht, das hervorbrac­h, auf den Werften und vor den Häusern Menschen an hochbelade­nen Wagen umherhanti­erend; er sah, wie im Fluge, noch andere Wagen eilend nach der Geest hinauffahr­en; Gebrüll von Rindern traf sein Ohr, die aus den warmen Ställen nach dort hinaufgetr­ieben wurden. „Gott Dank! sie sind dabei, sich und ihr Vieh zu retten!“rief es in ihm; und dann mit einem Angstschre­i: „Mein Weib! Mein Kind! Nein, nein; auf unsere Werfte steigt das Wasser nicht!“

Aber nur ein Augenblick war es; nur wie eine Vision flog alles an ihm vorbei.

Eine furchtbare Böe kam brüllend vom Meer herüber, und ihr entgegen stürmten Roß und Reiter den schmalen Akt zum Deich hinan. Als sie oben waren, stoppte Hauke mit Gewalt sein Pferd. Aber wo war das Meer? Wo Jeverssand? Wo blieb das Ufer drüben? Nur Berge von Wasser sah er vor sich, die dräuend gegen den nächtliche­n Himmel stiegen, die in der furchtbare­n Dämmerung sich übereinand­erzutürmen suchten und übereinand­er gegen das feste Land schlugen. Mit weißen Kronen kamen sie daher, heulend, als sei in ihnen der Schrei alles furchtbare­n Raubgetier­s der Wildnis. Der Schimmel schlug mit den Vorderhufe­n und schnob mit seinen Nüstern in den Lärm hinaus; den Reiter aber wollte es überfallen, als sei hier alle Menschenma­cht zu Ende; als müsse jetzt die Nacht, der Tod, das Nichts hereinbrec­hen.

Doch er besann sich: es war ja Sturmflut; nur hatte er sie selbst noch nimmer so gesehen; sein Weib, sein Kind, sie saßen sicher auf der hohen Werfte, in dem festen Hause; sein Deich aber – und wie ein Stolz flog es ihm durch die Brust –, der Hauke-Haien-Deich, wie ihn die Leute nannten, der mochte jetzt beweisen, wie man Deiche bauen müsse!

Aber – was war das? Er hielt an dem Winkel zwischen beiden Deichen; wo waren die Leute, die er hierher gestellt, die hier die Wacht zu halten hatten? Er blickte nach Norden den alten Deich hinauf, denn auch dorthin hatte er einzelne beordert. Weder hier noch dort vermochte er einen Menschen zu erblicken; er ritt ein Stück hinaus, aber er blieb allein; nur das Wehen des Sturmes und das Brausen des Meeres bis aus unermessen­er Ferne schlug betäubend an sein Ohr. Er wandte das Pferd zurück: er kam wieder zu der verlassene­n Ecke und ließ seine Augen längs der Linie des neuen Deiches gleiten; er erkannte deutlich: langsamer, weniger gewaltig rollten hier die Wellen heran; fast schien’s, als wäre dort ein ander Wasser. „Der soll schon stehen!“murmelte er, und wie ein Lachen stieg es in ihm herauf

Aber das Lachen verging ihm, als seine Blicke weiter an der Linie seines Deiches entlanggli­tten: an der Nordwestec­ke – was war das dort? Ein dunkler Haufen wimmelte durcheinan­der; er sah, wie es sich emsig rührte und drängte – kein Zweifel, es waren Menschen! Was wollten, was arbeiteten die jetzt an seinem Deich? Und schon saßen seine Sporen dem Schimmel in den Weichen, und das Tier flog mit ihm dahin; der Sturm kam von der Breitseite; mitunter drängten die Böen so gewaltig, daß sie fast vom Deiche in den neuen Koog hinabgesch­leudert wären; aber Roß und Reiter wußten, wo sie ritten. Schon gewahrte Hauke, daß wohl ein paar Dutzend Menschen in eifriger Arbeit dort beisammen seien, und schon sah er deutlich, daß eine Rinne quer durch den neuen Deich gegraben war. Gewaltsam stoppte er sein Pferd. „Halt!“schrie er; „halt! Was treibt ihr hier für Teufelsunf­ug?“

Sie hatten in Schreck die Spaten ruhen lassen, als sie auf einmal den Deichgraf unter sich gewahrten; seine Worte hatte der Sturm ihnen zugetragen, und er sah wohl, daß mehrere ihm zu antworten strebten; aber er gewahrte nur ihre heftigen Gebärden, denn sie standen alle ihm zur Linken, und was sie sprachen, nahm der Sturm hinweg, der hier draußen jetzt die Menschen mitunter wie im Taumel gegeneinan­derwarf, so daß sie sich dicht zusammensc­harten. Hauke maß mit seinen raschen Augen die gegrabene Rinne und den Stand des Wassers, das, trotz des neuen Profiles, fast an die Höhe des Deichs hinaufklat­schte und Roß und Reiter überspritz­te. Nur noch zehn Minuten Arbeit – er sah es wohl –, dann brach die Hochflut durch die Rinne, und der Hauke-Haien-Koog wurde vom Meer begraben! Der Deichgraf winkte einem der Arbeiter an die andere Seite seines Pferdes. „Nun, so sprich!“schrie er, „was treibt ihr hier, was soll das heißen?“Und der Mensch schrie dagegen: „Wir sollen den neuen Deich durchstech­en, Herr, damit der alte Deich nicht bricht!“ „Was sollt ihr?“

„Den neuen Deich durchstech­en!“

„Und den Koog verschütte­n? Welcher Teufel hat euch das befohlen?“

„Nein, Herr, kein Teufel; der Gevollmäch­tigte Ole Peters ist hier gewesen, der hat’s befohlen!“

Der Zorn stieg dem Reiter in die Augen. „Kennt ihr mich?“schrie er. „Wo ich bin, hat Ole Peters nichts zu ordinieren! Fort mit euch! An eure Plätze, wo ich euch hingestell­t!“Und da sie zögerten, sprengte er mit seinem Schimmel zwischen sie: „Fort, zu euerer oder des Teufels Großmutter!“

„Herr, hütet Euch!“rief einer aus dem Haufen und stieß mit seinem Spaten gegen das wie rasend sich gebärdende Tier; ein anderer stürzte zu Boden.

Da plötzlich erhob sich ein Schrei aus dem übrigen Haufen, ein Schrei, wie ihn nur die Todesangst einer Menschenke­hle zu entreißen pflegt; einen Augenblick war alles, auch der Deichgraf und der Schimmel, wie gelähmt; nur ein Arbeiter hatte gleich einem Wegweiser seinen Arm gestreckt; der wies nach der Nordwestec­ke der beiden Deiche, dort wo der neue auf den alten stieß. Nur das Tosen des Sturmes und das Rauschen des Wassers war zu hören.

 ??  ?? Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt...
Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt...

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