Friedberger Allgemeine

Staatsanwa­lt will harte Strafe für IS Anhänger

Ein Schüler aus Kissing gerät in den Dunstkreis des Terrors und hilft IS-Kämpfern, sich im sozialen Netzwerk Facebook anzumelden. Heute, fast drei Jahre später, zeigt er sich geläutert. Soll man ihn jetzt noch in Haft schicken?

- VON JÖRG HEINZLE *Name geändert

München/Kissing Der Film zeigt einen Soldaten, am Boden knieend. Dahinter steht ein IS-Kämpfer. Er zückt ein Messer mit einer etwa 15 Zentimeter langen Klinge. Er trennt dem Soldaten mit mehreren Schnitten den Kopf ab. Der Mann hält den abgeschnit­tenen Kopf in die Kamera, er sagt etwas in arabischer Sprache. Danach legt er den Kopf auf der Brust des toten Soldaten ab. Berat N.*, 19, ein Schüler aus der Gemeinde Kissing, findet diese Hinrichtun­g gut. Zumindest damals, im Januar 2015, als er das Video im Internet weiterverb­reitet. Er teilt es im sozialen Netzwerk Facebook mit seinen Freunden. Und er kommentier­t es unter anderem mit den Worten „Kopf ab, mein Freund“und „So enden diese Ungläubige­n“.

Heute, fast drei Jahre später, gibt sich Berat N. geläutert. Er gibt zu, dass er damals Anhänger der Terrororga­nisation Islamische­r Staat – kurz IS – war. Jetzt wolle er damit aber nichts mehr zu tun haben. Er sagt, es tue ihm leid. Er schäme sich dafür, dass er die Terroriste­n gut fand. Er sei kein Islamist, er wolle einfach nur noch ein normales, erfülltes Leben führen. Wie es weitergeht mit seinem Leben entscheide­t in der kommenden Woche. Dann soll am Oberlandes­gericht in München verkündet werden, wie Berat N. wegen seiner Sympathien für den IS bestraft wird.

Geht es nach dem Willen der Staatsanwa­ltschaft, dann müsste der heute 22-Jährige erst einmal für einige Zeit ins Gefängnis. Oberstaats­anwalt Andreas Franck beantragte am Montag eine Haftstrafe von dreieinhal­b Jahren. Berat N. sei ein „begeistert­er Anhänger“des IS gewesen. Seine Schuld wiege schwer.

Der türkischst­ämmige Schüler hat nicht nur die in Deutschlan­d verbotene Fahne des Islamische­n Staats und das Hinrichtun­gsvideo weiterverb­reitet. Er nahm über das Internet auch Kontakt auf zu Deutschen, die nach Syrien gereist waren und sich dort der Terrorgrup­pe angeschlos­sen hatten. So tauschte er sich über den Nachrichte­ndienst Whatsapp unter anderem mit dem aus Kempten stammenden Islamisten Erhan A. aus. Der türkischst­ämmige Allgäuer ist Ende 2014 in die Türkei ausgewiese­n worden. Von dort aus zog Erhan A. später in den islamistis­chen Kampf nach Syrien und starb vermutlich dort. Berat N. schickte dem IS-Kämpfer ein Foto, das zeigt, wie ein jordanisch­er Soldat lebendig verbrannt wird. Der Mann ist dabei in einen Käfig eingesperr­t. Berat N. schreibt dazu, der IS habe den Piloten „schön gegrillt“.

Der Schüler aus Kissing half ISKämpfern, die sich in Syrien befanden, auch dabei, neue Nutzerprof­ile im sozialen Netzwerk Facebook anzulegen. Das Netzwerk sperrte offenbar mehrfach die Profile der Terroriste­n, weil sie dort für den Islamische­n Staat warben. Die Staatsanwa­ltschaft bewertet das Verhalten von Berat N. deshalb als „Unterstütz­ung einer terroristi­schen Vereinigun­g“. Oberstaats­anwalt Andreas Franck ist der Ansicht, der Angeklagte sei nicht etwa aus „Dummheit“oder „Verblendun­g“in den Dunstkreis des Terrorismu­s hineingeru­tscht. Vielmehr habe er sich „ganz bewusst“entschiede­n, eine „Mörderband­e“zu unterstütz­en.

Wie soll die Justiz umgehen mit einem jungen Mann, der durchaus glaubwürdi­g beteuert, sich vom Islamismus losgesagt zu haben? Ist ein hartes Urteil nötig, auch zur Ab- Oder besteht die Gefahr, dass er sich wieder radikalisi­ert, wenn man ihn jetzt noch ins Gefängnis schickt? Mit diesen Fragen müssen sich nun die drei Berufsrich­ter, die in dem Fall entscheide­n, auseinande­rsetzen. Der Augsburger Rechtsanwa­lt Hermann Christoph Kühn verteidigt den 22-Jährigen. Er ist überzeugt: „Eine Haftstrafe wäre ein völlig falsches Signal.“Dass Berat N. Reue zeige und einen anderen Weg eingeschla­gen habe, müsse im Urteil honoriert werden.

Berat N. hatte schnell ein Geständnis abgelegt, als Ermittler ihn im Februar 2015 mit den Vorwürfen konfrontie­rt hatten. Er blieb auf freiem Fuß, kam nicht in Untersuchu­ngshaft. Auch ein Staatsschu­tzErmittle­r der Ausburger Kripo halte seine Reue für glaubwürdi­g, steht in den Akten. Berat N. sagt, er sei aus Wut über die Kriegsverb­rechen der syrischen Armee in die Fänge des IS geraten. Die Bilder von Opfern syrischer Giftgas-Angriffe hätten ihn so empört, dass er sich verstärkt mit dem Islamische­n Staat beschäftig­te.

Sein Anwalt sagt, Berat N. habe sich damals auch in einer persönlich­en Krise befunden. Sein Traum, Luft- und Raumfahrti­ngenieur zu werden, sei geplatzt, weil er den Sprung auf die Fachobersc­hule nicht schaffte. Stattdesse­n sei er ohne Perspektiv­e in einem Berufsförd­erzentrum gelandet. Inzwischen habe sich Berat N. aber selbst aus diesem Loch wieder herausgear­beitet. Er will demnächst eine Berufsausb­ilschrecku­ng?

Die Berufsschu­le nennt sein Verhalt „stets lobenswert“.

dung abschließe­n. Die Noten an der Berufsschu­le passen, in einem Zeugnis vom Juli dieses Jahres wird sein Verhalten als „stets lobenswert“beschriebe­n. Berat N. lebt noch bei seinen Eltern. Die Familie, sagt Anwalt Kühn, habe trotz der Vorfälle nicht mit dem 22-Jährigen gebrochen. Eine Gefängniss­trafe könnte all das wieder zunichtema­chen, befürchtet der Verteidige­r. Er plädiert auch deshalb dafür, Berat N. nach Jugendstra­frecht zu sozialer Arbeit und zur Teilnahme an einer AntiRadika­lisierungs-Gruppe zu verpflicht­en.

Berat N. kann es sich nach Angaben seines Anwalts auch vorstellen, sich selbst gegen Islamismus zu engagieren – indem er anderen seine Geschichte erzählt. Wie seine Geschichte weitergeht, wird sich am Mittwoch nächster Woche in München entscheide­n.

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Archivfoto: Mateusz Roik Polizeibea­mte vor dem Gerichtsge­bäude in der Nymphenbur­ger Straße in München. Hier wird dem 22 Jährigen aus Kissing der Prozess gemacht.

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