Gottesliebe und Judenhass
Die Extreme Luthers auf der Theaterbühne
Es sind „Unworte“, die einem zu John von Düffels Martin Luther Figur einfallen: unermüdlich, unerbittlich, unnachgiebig, unruhig. Ein Getriebener, zwischen Glaubenskampf und Zweifel. Sein Stück „Martinus Luther. Anfang und Ende eines Mythos“, mit dem die Tourgruppe „theaterlust“am Samstag in der Stadthalle Gersthofen gastierte, ist eher Psychogramm eines Ringenden als Historienheldenspiel. Es spart jene Jahre der Reformation aus, für die Luther berühmt geworden ist, und beleuchtet den Reformator stattdessen – zum Großteil unter Verwendung von Originaltexten – an den Rändern, geschichtlich wie privat.
Der erste Teil beginnt mit dem Schlüsselerlebnis des jungen Luthers 1505, mit jener Gewitternacht, in der er das Gelübde ablegte, Mönch zu werden, sollte er sie überleben, und begleitet ihn bis zum Verfassen seiner 95 Thesen gegen den Missbrauch des Ablasshandels im Jahr 1517. Der zweite Teil spielt an einem einzigen der letzten Tage Luthers, 1546. Dazwischen liegen knapp 30 Jahre. Die Aussparung ist spannend und bringt die fast unvereinbaren Positionen des jungen und alten Luthers zum Vorschein. Was sich durchzieht – Luther ist ein Gebeutelter.
Thomas Luft setzt das in seiner Inszenierung eindrücklich und beklemmend düster um. Das abstrakte Bühnenbild (Barbara Fumian) mit schrägem Boden, beengenden, instabilen Wänden und einem riesigen Kreuz, die puristische Linienführung der Kostüme (Sarah Silbermann) verschärfen den Fokus auf das Innenleben Luthers. Die sphärisch bis psychedelischen Klänge, mit denen der Musiker Anno Kesting live Himmel und Hölle intoniert, intensivieren das. Das wird zu Beginn durch Sebastian Gerasch als junger Luther, im zweiten Teil durch Thomas Klügel erlebbar. Die schauspielerische Kraft der beiden ist einnehmend, die Rollenwechsel aller – insgesamt sind neun Rollen auf drei Darsteller verteilt – faszinierend.
Anja Klawun ist dem jungen Luther in unterschiedlichen Rollen ein Gegenüber, als inquisitorischer Priester und später als scharfsinnige Frau Luthers. Der ist inzwischen alt geworden, sein Kampf um die Wahrheit und gegen die katholische Kirche hat ihn mürbe gemacht. Klügels Luther windet und wälzt sich, inzwischen aufgequollen und behäbig, über die Schrägbühne, schwankt zwischen messerscharfen Gedanken und wahnartigem Monologisieren.
Wie radikal Luther jetzt gegen Juden und Türken hetzt, wie verurteilend er wettert, ist verstörend. Es will so gar nicht passen zum Verkünder des barmherzigen Gottes. John von Düffel lässt es in seinem Text unvereinbar nebeneinander stehen. Die Inszenierung auch. Es ist ein intensiver beklemmender Abend, an dessen Ende man weiß: Reformator sein ist kein Pappenstil.