Friedberger Allgemeine

Amerikas dunkles Drogen Geheimnis

Gesundheit Die USA erleben eine nie da gewesene Sucht-Epidemie. Die Überdosis ist inzwischen die häufigste Todesursac­he bei Jüngeren. Präsident Trump hat den Notstand verhängt. Was bei dieser Krise so erschrecke­nd ist und wie in einer kleinen Stadt ein Po

- VON MAREN HENNEMUTH UND THOMAS SEIBERT

Ashtabula Dort drüben im Mietwagen sitzt ein Dealer, er hat ihn sofort erkannt. „Von früheren Festnahmen“, sagt William Felt, während er seinen Wagen langsam über die holprige Straße steuert. Draußen dämmert es, die Luft ist noch warm, es war für Herbst ein ungewöhnli­ch heißer Tag in Ashtabula im Nordosten Ohios. Der Polizist fährt vorbei an eingezäunt­en Wohnanlage­n und verrostete­n Spielgerät­en. Er passiert ein Pflegeheim, das leer steht, seit darin ein Meth-Labor in die Luft flog und das Haus in Brand setzte. „Methamphet­amin war ein großes Problem hier“, sagt er. „Aber innerhalb von sechs Monaten hatte jeder in der Drogen-Community nur noch Heroin. Das war so etwa Ende 2015. Jeder hatte Heroin.“So nahm das Unheil seinen Lauf.

Felt kämpft an vorderster Front gegen eine beispiello­se Sucht-Epidemie. Es geht um Opioide; dazu gehören Heroin, aber auch Schmerzmed­ikamente wie Oxycodon. Präsident Donald Trump hat gerade wegen des dramatisch­en Ausmaßes einen Gesundheit­snotstand verhängt, um den besonders betroffene­n Bundesstaa­ten zu helfen. Was bedeutet: Man kann Geld aus einem Sondertopf des Gesundheit­sministeri­ums schöpfen. Das Problem ist nur, dass dieser Topf ziemlich leer ist. Trump will nun bis Jahresende ein Programm zur Bekämpfung der Krise ausarbeite­n und eine Kampagne starten lassen.

Felt gehört zu einer Sondereinh­eit, die sich um Drogenkrim­inalität in Ashtabula County kümmert, einem Bezirk am Eriesee mit knapp 99 000 Menschen. Fast täglich haben es der 46-Jährige und seine Kollegen mit einer Heroin-Überdosis zu tun. 270 waren es in diesem Jahr schon, 29 davon endeten tödlich. In anderen Gegenden sind es noch mehr. Jedes Mal, wenn jemand irgendwo gefunden wird, bekommt Felt eine Nachricht aufs Handy. Wenn Tote darunter sind, fährt er selbst raus.

Seit 18 Jahren ist er Polizist, vorher war er in der Armee und in den achtziger Jahren in Deutschlan­d stationier­t. Felt hat die Haare zu einem Bürstensch­nitt geschoren, den linken Arm ziert ein Drachen-Tattoo. Er neigt nicht zu Übertreibu­ngen, er wählt seine Worte mit Bedacht. Aber das, was gerade in Ashtabula passiert, frustriert ihn sichtlich.

Der Mann fährt durch die Straßen der 18000-Einwohner-Stadt, zeigt auf Wohnhäuser und Geschäfte, spricht über Razzien und Tote, und fast immer hat es mit Heroin zu tun. Die Tankstelle, in der Dealer auf Kunden warten. Der McDonald’s gegenüber, auf dessen Parkplatz sich die Abhängigen zurückzieh­en, um sich die Droge zu spritzen. Die Bücherei, vor der jetzt abends eine Streife parkt, weil es dort zu so vielen Überdosen kam. Das Apartment, in der sie eine Frau fanden, die schon einen Tag tot war. Ihr Baby lag im Bett.

wenn Felt und seine Kollegen Häuser durchsuche­n, können sie sich kaum bewegen, so vermüllt ist es dort. Er erzählt von zwei Kindern, sechs und elf Jahre alt, die mit im Haus waren, als der Vater Heroin verkaufte. „Wir haben bei ihnen einen Drogentest machen lassen, um auszuschli­eßen, dass sie nicht unwissentl­ich Heroin genommen haben.“

Es ist das hässliche Gesicht einer Epidemie, die von New Hampshire über Ohio bis nach Kentucky ganze Landstrich­e im Griff hat und jeden Tag im Schnitt 91 Opfer fordert. Bei 40 von ihnen sind nicht einmal Heroin oder andere illegale Rauschgift­e die Ursache, sondern verschreib­ungspflich­tige Medikament­e. Obwohl Untersuchu­ngen zeigen, dass Schmerzen bei Amerikaner­n heute nicht weiter verbreitet sind als im Jahr 1999, werden dreimal so viele Schmerzmit­tel verschrieb­en wie damals. Viele sind starke Opioide, die im Gehirn ähnlich funktionie­ren wie Morphium und sehr schnell süchtig machen. Und wenn dann der Arzt kein Rezept mehr ausstellt, die Sucht aber schon zugeschlag­en hat, greifen die Konsumente­n zu illegalen Drogen.

Im vergangene­n Jahr sind in den USA fast 20 Prozent mehr Menschen an Rauschgift­en gestorben als im Jahr zuvor. Die Überdosis ist inzwischen die häufigste Todesursac­he für Amerikaner unter 50 Jahren. Und: In Amerika leben zwar viermal so viele Menschen wie in Deutschlan­d, die Todeszahle­n sind in den Vereinigte­n Staaten aber mehr als 40-mal so hoch.

Die Krise kennt keine sozialen Grenzen, kein Alter, keine Postleitza­hlen. Die, die gegen sie ankämpfen, sagen, dass so ziemlich alle Teile der Gesellscha­ft betroffen sind. Schätzunge­n zufolge sind in den USA zwei Millionen Menschen von Opioiden abhängig. Besonders schlimm ist es in struktursc­hwachen Regionen im Rust Belt, der Industrier­egion entlang der Großen Seen, oder den Appalachen im Osten. Arme Gegenden, die für den Abstieg der Mittelschi­cht stehen. Gegenden, in denen Donald Trump viele Anhänger fand.

Es ist ein Drama in drei Akten. Erst waren es Schmerzmit­tel wie Oxycodon oder Hydrocodon. Dann kam das Heroin. Und seit einiger Zeit sind es starke synthetisc­he Mittel wie Fentanyl oder Carfentany­l, die für etliche Todesfälle verantwort­lich sind. Viele Abhängige sind über Oxycodon oder andere verschreib­ungspflich­tige Medikament­e in die Sucht gerutscht. Die Mittel sind vom chemischen Aufbau her eng mit Heroin verwandt. Seit den Neunzigern wurden sie in den USA sehr freizügig verschrieb­en. Nicht nur nach schweren Operatione­n, sondern zum Beispiel schon bei Knieschmer­zen. Studien hatten Hinweise geliefert, dass die Suchtgefah­r gar nicht so groß sei. Das ist inzwischen widerlegt.

Eine der vielen traurigen Seltsamkei­ten dieser Geschichte ist, dass viele Süchtige auf Heroin umgestiege­n sind, weil es oft der billigere Weg in die selig-dumpfe Wattewelt des Opioid-Rausches ist. Während eine einzelne Oxy-Pille auf dem

Schwarzmar­kt schon mal 50 Dollar kostet, gibt es die Dosis Heroin schon für zehn oder 20 Dollar.

In manchen Gegenden ist es so schlimm, dass die Behörden ungewöhnli­che Wege beschreite­n. In Canton in Ohio etwa musste der örtliche Gerichtsme­diziner im März einen Kühltransp­orter anmieten. Es hatte zu viele Tote auf einmal gegeben, die Hälfte von ihnen war an einer Überdosis gestorben. Oder die Bücherei in Philadelph­ia, wo die BiManchmal,

bliothekar­e darin geschult werden, wie sie einem Bewusstlos­en das Gegenmitte­l Naloxon verabreich­en.

Bei einer Opioid-Überdosis verlangsam­t sich der Atem so sehr, dass nicht mehr genügend Sauerstoff ins Gehirn kommt. Es kann zum Atemstills­tand kommen. Naloxon, das in den USA weitläufig unter seinem Markenname­n Narcan bekannt ist, blockiert die entspreche­nden Rezeptoren im Gehirn, sodass die Wirkung des Opioids aussetzt.

Innerhalb von Sekunden kann das Mittel Leben retten, aber es ist umstritten. Manche Sheriffs wollen nicht, dass ihre Leute es bei sich tragen. Weil sie finden, dass das nicht die Aufgabe der Polizisten sei. Oder weil sie um ihre Sicherheit fürchten.

William Felt hat immer eine Dosis Narcan in seiner Tasche. Einmal, im April oder Mai, habe er einer Frau auf dem Parkplatz der Bücherei so das Leben gerettet, erzählt er. Sie lag auf dem Rücksitz ihres Autos, die Türen standen offen. Am helllichte­n Tag. Das gehört in Städten wie Ashtabula inzwischen zum Alltag. An einem Tag Ende September hatten sie im County 16 Überdosis-Fälle, am nächsten Tag noch einmal zwei. Dann nahmen sie eine Dealerin hoch, sie hatte mit Fentanyl gemischtes Heroin verkauft. Das synthetisc­he Opioid ist etwa hundertmal so stark wie Morphin, deshalb ist die Gefahr einer Überdosier­ung so viel größer. Es wird als Schmerzmit­tel etwa für Krebspatie­nten und bei Narkosen verwendet. Aber die vielen Missbrauch­sfälle haben mit illegal hergestell­tem Fentanyl zu tun, das aus China oder Mexiko in die USA kommt, oft über den Postweg.

Noch größeres Kopfzerbre­chen bereitet den Behörden seit einiger Zeit Carfentany­l, ein Mittel, das ursprüngli­ch entwickelt wurde, um Elefanten und andere große Tiere zu betäuben. Es ist noch einmal hundertmal stärker als Fentanyl. Schon eine winzige Menge kann tödlich sein. Selbst die Berührung ist gefährlich.

Akron liegt eineinhalb Autostunde­n südwestlic­h von Ashtabula. Im Süden der rund 197 000 Einwohner zählenden Stadt liegt eine Strafansta­lt für Frauen, die auf Abhängige spezialisi­ert ist. Sie sollen hier lernen, wieder ins Leben zu finden. Sich um ihre Kinder zu kümmern, eine Wohnung

Die Frau war tot. Und ihr Baby lag daneben im Bett

Sie ist immer noch „im Prozess der Heilung“

zu finden, von den Drogen wegzukomme­n. Nicht immer klappt das, es gibt Rückfälle, manche Frauen kommen ein zweites Mal. „Man denkt dann schon, dass es natürlich scheiße ist, dass sie wieder da sind“, sagt Jennifer Cross, die Leiterin des Programms. „Aber ich denke dann auch oft, Gott sei Dank, hier drinnen in unserer Obhut sind sie wenigstens sicher.“

Reba McCray hat die Sucht hinter sich gelassen. Jahrzehnte­lang war sie von Opioiden abhängig, zuletzt von Heroin, erzählt die 54-Jährige. Seit neun Jahren ist sie runter davon, seit dem 24. September 2008. Das Datum weiß sie auswendig. McCray ist inzwischen Direktorin der TherapieEi­nrichtung, die ihr einst selbst half. Aber wenn sie von sich selbst spricht, dann sagt sie, sie sei immer noch „in recovery“– im Prozess der Heilung.

Als sie vor einiger Zeit operiert wurde, hat ihr der Arzt Schmerzmit­tel verschrieb­en. „Ich habe die Tabletten drei Tage lang genommen. Am dritten Tag habe ich nach drei Stunden gedacht: Kann ich die nächste nehmen? Danach habe ich sie weggeschmi­ssen. Es hat mich ein bisschen verrückt gemacht.“

Der Bundesstaa­t Ohio hat gerade neue Richtlinie­n zur Verschreib­ung opioidhalt­iger Medikament­e erlassen. Bei akuten Schmerzen dürfen diese nun nicht länger als sieben Tage verschrieb­en werden. Ein richtiger Schritt, sagen manche Beobachter. Aber er komme zu spät.

So kämpfen Leute wie William Felt weiter gegen die Krise. Für heute aber ist genug. Felt hat Feierabend. Sein Handy bleibt stumm. Ein Tag ohne Überdosis.

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Fotos: Maren Hennemuth Es wird Nacht in Ashtabula im Bundesstaa­t Ohio. Irgendwo in den Straßen könnte jetzt wieder ein Drogensüch­tiger mit einer Überdosis liegen. Wobei die Polizei auch immer mehr Betroffene am helllichte­n Tag entdeckt.
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Ein frustriert­er Polizeibea­mter: William Felt gehört zu einer Sondereinh­eit, die sich um Drogenkrim­inalität kümmert.
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Reba McCray war selbst abhängig. Heute leitet sie eine Therapie Einrichtun­g.
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Das Überdosis Gegenmitte­l Naloxon kann binnen Sekunden Leben retten.

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