Friedberger Allgemeine

Ein Fall für eine Lobrede

Ein unterhalts­amer Roman über das deutsche Justizwese­n? Petra Morsbach gelingt das in ihrem Buch „Justizpala­st“, in dem sie dem Lebensweg einer Münchner Richterin folgt

- VON STEFANIE WIRSCHING

Beginnen wir mit einem Fallbeispi­el. Es geht um die Rock-Buam GmbH. Die hat vom Freistaat Bayern ein Gelände für ein Open Air gepachtet, erfolgreic­he Sache, die Brauerei St. Stephan sponsert das Ganze. Dann aber verlangt der Freistaat, dass die Rock-Buam das Bier von einer anderen Brauerei beziehen, einer nämlich, an der man selber verdient. Der Sponsor zieht sich zurück, den Rock-Buam fehlt das Geld, sie stornieren die Termine … Open Air abgesagt. Und der Freistaat? Will jetzt eine Ausfallent­schädigung! Klage abweisen? Oder Klage zulassen?

Und schon ist man mittendrin in diesem Werk von Petra Morsbach, in dem der Schriftste­llerin mit leichter Hand Schweres gelingt: ein ungemein lesenswert­er und unterhalts­amer Roman über das deutsche Justizwese­n, ja, fast eine Hommage. Aber nicht anhand von aufsehener­regenden Strafrecht­sfällen oder dramatisch­en Familienge­richtentsc­heidungen, sondern indem die Autorin den oft wenig spektakulä­ren Arbeitsall­tag einer Münchner Juristin verfolgt – vom Referendar­iat übers Amtsgerich­t bis hin zur Kammer für Kartellrec­ht, deren Vorsitz jene Thirza Zorniger am Ende innehat.

Und ebenfalls bemerkensw­ert: dass da tatsächlic­h keine Fachfrau schreibt. Kein/e Dichterjur­ist/in wie Juli Zeh, Ferdinand von Schirach oder Bernhard Schlink, sondern eine Autorin, die sich gerne über ihre Romane fremden Berufswelt­en nähert: wie zum Beispiel im „Opernroman“oder in „Gottesdien­er“. Mit „Justizpala­st“legt sie nun ein Werk vor, das man als Einfüh- rungslektü­re auch gleich mal angehenden Jura-Studenten ans Herz legen könnte: dick gefüllt mit Rechtsfäll­en aller Art. Ehedramen, Erbstreiti­gkeiten, Kartellabs­prachen, Gnadengesu­che… Neun Jahre lang hat Morsbach, Jahrgang 1956, an ihrem Roman gearbeitet, an den Gerichten hospitiert, mit mehr als fünfzig Juristen gesprochen, sie die Fälle noch einmal gegenlesen lassen. Juristisch also ist offenbar nichts auszusetze­n. Fast entscheide­nder ist aber für den Leser dann wohl dies: Es handelt sich um einen Fall von großartige­r Literatur!

Und das, obwohl sich Morsbach nicht scheut, den trockenen, wenn auch präzisen Juristenja­rgon in den Roman zu importiere­n. Die kleine Einführung ins Werberecht auf Seite 192 liest sich dann so: „Stelle ein Unternehme­n mit seiner Werbung ein Merkmal heraus, deute die von ihm selbst in diesem Merkmal eingeräumt­e Bedeutung darauf hin, dass dem auch ein korrespond­ierendes Verbrauche­rinteresse entspreche…“

Da braucht es gelegentli­ch tatsächlic­h Lesediszip­lin, aber in der Gesamtheit liest sich das alles andere als dröge. Weil Morsbach mit dieser Sprache literarisc­h spielt, sie sacht moduliert. Und weil sie diesen Jargon einbettet in ihre eigene Sprache und Erzählweis­e: nüchtern, klar, hintersinn­ig, ironisch, pointensic­her. Zweite Kostprobe daher: „,Genug‘, sagte Thirza. ,Wir sind kein Sachbuch. Was hat das alles in einem Roman zu suchen?‘“

Überhaupt, Thirza! Kind einer stürmische­n, dann desaströse­n Ehe, der Vater bekannter Schauspiel­er, der die „gelassene Erwartung eines bewährten Zuchthengs­tes“ausstrahlt, die schöne Mutter hat er während ihres Referendar­iates am Strafgeric­ht abgefangen. Als die Ehe zerbricht, findet die kleine Thirza ein Zuhause beim Großvater und den betagten Tanten im Pasinger Häuschen. Der Großvater war einst Strafricht­er in der NS-Justiz, später ist er als Jurist beim Rundfunk gelandet, ein gefühlskal­ter Patriarch, aber Thirza richtet sich dennoch nach ihm aus und weiß früh, wo es im Leben hingehen soll: Sie „wollte für Gerechtigk­eit sorgen“.

Die aufrechte Thirza, die spät nach der Liebe zur Justiz auch noch die andere entdeckt, ihrem Lebensweg also folgt Morsbach, erzählt nicht linear, sondern in Rückblende­n und Zeitsprüng­en, und schaut ihr quasi über die Schulter bei der Suche nach Gerechtigk­eit. Im Zentrum des Romans aber steht die Justiz: Morsbach skizziert Fälle, porträtier­t scharfsinn­ig die verschiede­nen Juristen-Typen, auch die ja nur Menschen, und beschreibt eine Justiz, die allen Vorurteile­n zum Trotz eben doch oft reibungslo­s funktionie­rt, aber an Überlastun­g zusammenzu­brechen droht.

Merke: Nach außen hin mag der Münchner Justizpala­st ehrfurchte­inflößend und imposant wirken, drinnen aber wird in herunterge­kommenen Büros gewerkelt, ein alter Ölschinken an der Wand zur Zierde, die Regale einsturzge­fährdet. „Das ist also unsere Gerechtigk­eitsfabrik: am Ende hoher höhlenarti­ger Zimmer sitzen Richter wie Grottenolm­e auf Papierberg­en, jeder für sich…“, schreibt Morsbach. Und mittendrin eine „allmählich im Geschirr ermüdende Thirza“, die sich angesichts der hier anbrandend­en Streitlust fragt: „Sie hatten mehr Rechte denn je in ihrer Geschichte und mehr Rechte als fast alle Bürger sonst auf der Welt, und was taten sie? Sie litten und tobten. Sie prozessier­ten sich um Kopf und Kragen.“

Und zugleich folgt Morsbach ihrem eigenen Gerechtigk­eitsempfin­den, verwebt im Roman die Merkwürdig­keiten in der Causa Strauß um ein angebliche­s Auslandsko­nto mit über 300 Millionen Deutschen Mark, knüpft daran eine Kardinalfr­age: Welche Staatsanwa­ltschaft bestraft sich selbst?

Petra Morsbach ist für ihren Roman mit dem Wilhelm-Raabe-Literaturp­reis 2017 ausgezeich­net worden, sie war für den Bayerische­n Buchpreis 2017 nominiert (den am Dienstagab­end Franzobel für seinen Roman „Das Floß der Medusa“gewonnen hat). Ihre Richterin Thirza Zorniger trifft im Roman bei der Suche nach Lektüre ebenfalls eine andere Wahl: „Morsbach, keine Ahnung, was daran komisch sein soll. Thirza stand in einer Eingebung auf, ging in den Keller, griff in eine Trivial-Kiste und kehrte mit einer Handvoll Courths-Mahler zurück.“Einspruch an dieser Stelle und ein Plädoyer: Nichts gegen CourthsMah­ler, aber doch lieber Morsbach lesen! Da steht dann auch, wie es weitergeht im Rechtsstre­it mit den RockBuam und dem Freistaat…

„Genug“, sagte Thirza: „Wir sind kein Sachbuch.“

» Petra Morsbach: Jus tizpalast. Knaus, 480 S. 25 ¤

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Foto: Sven Hoppe, dpa Blick ins Innenleben der „Gerechtigk­eitsfabrik“: Saal 134 im Justizpala­st in München.
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