Risikofaktor Mensch
Schwere Unfälle an Bahnübergängen wären oft vermeidbar. Warum sie trotzdem immer wieder vorkommen und was aktuelle Zahlen verraten
Frankfurt/Augsburg Ein junges Paar ist auf dem Heimweg nach einer fröhlichen Party bei Freunden. Am Bahnübergang blinkt das Warnlicht. Schnell tritt der Fahrer aufs Gaspedal, doch da ist auch schon der Zug. Es wird dunkel. „Rot heißt Stopp. Man sollte meinen, das ist eigentlich ganz einfach. In der Praxis sieht es leider oft anders aus“, sagt Roland Bosch, Vorstand Produktion der DB Netz AG, am Mittwoch in Frankfurt zu den Unfällen an Bahnübergängen.
Der Horrorcrash des jungen Paares ist nur eine Filmszene – ein Teil der Präventionskampagne „Sicher drüber“der Bahn und ihrer Partner bei Polizei, ADAC und dem Verband der Verkehrsunternehmen (VDV). Obwohl die Zahl der Unfälle an Bahnübergängen immer weiter sinkt, starben im vergangenen Jahr noch 29 Menschen, 157 erlitten bei 140 Unfällen teils schwere Verletzungen. In keinem anderen Bundesland passierten so viele Unfälle an Bahnübergängen wie in Bayern. Im vergangenen Jahr waren es 35 Unfälle mit sechs Todesopfern, teilte die Deutsche Bahn mit. Technisches Versagen der Warnmelder oder der Bahnschranken führte nur in den seltensten Fällen zum Zusammenstoß. „Mehr als 90 Prozent der Kollisionen hätten durch richtiges Verhalten vermieden werden können“, sagt Bosch.
Auch in der Region kommt es immer wieder zu schweren Unfällen an Bahnübergängen. Erst wenige Wochen ist es her, dass sich zwischen Rain und Staudheim (Landkreis Donau-Ries) eine dramatische Kollision ereignet hat: Mit voller Wucht krachte das Auto einer 34-jährigen Frau gegen eine Lok. Die Fahrerin hatte offenbar übersehen, dass die Schranken geschlossen waren – möglicherweise, weil sie durch die Sonne geblendet worden war. Der Wagen rauschte durch die Halbschranken und es kam zum Crash. Die Frau überlebte.
Oft enden solche Unfälle viel schlimmer. In Dießen am Ammersee etwa. Dort wurde im Herbst vergangenen Jahres das Auto eines 84-Jährigen von einem Zug der Bayerischen Regiobahn erfasst – der Autofahrer wollte der Polizei zufolge den Bahnübergang überqueren, obwohl die Halbschranken geschlossen waren. Das Auto wurde nach dem Zusammenstoß 30 Meter mitgeschleift. Die beiden Insassen starben. Tödlich endete auch der Fahrradausflug eines 76-Jährigen zwischen Igling und Kaufering im Landkreis Landsberg im Jahr 2014. Der Mann wollte die Gleise noch vor dem herannahenden Zug überqueren. Offenbar hatte er dabei dessen Geschwindigkeit unterschätzt – er wurde erfasst und tödlich verletzt.
Mal ist es die blendende Sonne, mal Leichtsinn oder Risikobereitschaft, und mal ist es Unwissenheit, die zu schweren Unfällen führt. Eine infas-Studie im Auftrag der Bahn unter 2500 Teilnehmern kam zu dem Ergebnis, dass fast ein Viertel der Befragten der Meinung war, ein blinkendes Licht am Bahnübergang entspreche dem Gelb der Ampel – Anhalten sei demnach noch nicht erforderlich. Die Präventionskampagne „Sicher drüber“will für noch mehr Gefahrenbewusstsein sorgen. Die Kampagne gibt es bereits seit 15 Jahren. Nun sollen mit einer Neuauflage besonders junge Menschen und Fahranfänger erreicht werden.
Daneben wird auf technische Verbesserungen gesetzt. Ein Team der Bahn arbeitet an neuen Lösungen, etwa an benutzergesteuerten Bahnübergängen. Dort wäre die Schranke dauerhaft geschlossen. Wer sie passieren will, muss einen Knopf drücken – kommt kein Zug, öffnet sich die Schranke. Mehr Sensibilisierung der Autofahrer erhoffen sich die Bahnspezialisten auch durch die Anzeige von Bahnübergängen in Navigationsgeräten. Die Daten wurden den Anbietern von Karten-Software übermittelt. Bisher sind sie allerdings in keines der Geräte aufgenommen worden.
Wichtig ist die Vermeidung von Unfällen auch wegen der schweren Folgewirkungen, sagt Michael Schuol, Ständiger Vertreter der Bundespolizei Koblenz. Im Fall eines Unfalls mit einem schwer verletzten Autofahrer bei Frankfurt musste die Strecke fünf Stunden lang gesperrt werden. Der Lokführer konnte wegen eines Schocks die Fahrt nicht fortsetzen. Rechtlich könne der Autofahrer in so einem Fall wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr zur Verantwortung gezogen werden.