Friedberger Allgemeine

Wie wir lange jung bleiben können

Manche Menschen scheinen niemals älter zu werden. Andere wirken bereits mit Mitte Fünfzig wie betagte Senioren. Was hat das biologisch­e Alter mit dem Lebensstil zu tun? Was davon ist nur Kopfsache?

- VON TOM NEBE

„Du hast dich aber gut gehalten!“Oder: „50? Niemals! Du bist doch höchstens 40.“Wer das sagt, will seinem Gegenüber vor allem schmeichel­n. Reine Flunkerei ist es aber nicht zwangsläuf­ig. Manche Menschen sind körperlich und geistig jünger, als es ihr Ausweis angibt. Andere sind älter – sie haben sich nicht so gut gehalten. Sagen würde man ihnen das wohl nicht. Der Jenaer Altersfors­cher Professor Lenhard Rudolph drückt es so aus: „Die Frage ist, ob man gut oder schlecht gealtert ist.“Das hat am Ende jeder auch selbst in der Hand. „Sein biologisch­es Alter kann man im Gegensatz zum chronologi­schen Alter beeinfluss­en – 30 Prozent sind genetisch vorgegeben, 70 Prozent bestimmt der Lebensstil.“Damit wird klar: Wie man lebt, hat einen großen Einfluss auf das Altern.

Auch wenn es trivial scheint, lautet die Formel: gesund zu leben, hält jung. Möglichst schlank bleiben, Rauchen vermeiden, Alkohol in Maßen trinken, sportlich aktiv sein. Rudolph zählt die Faktoren rasch auf und erklärt sie. Sport etwa sorgt für milden Stress im Körper. So könne der Alterungsp­rozess ver- langsamt werden. Wenn der Kreislauf und die Muskeln belastet werden, bilden sich mehr Sauerstoff­radikale. Dies soll bei gesunden Menschen die Stressresi­stenz erhöhen – und so vor dem Altern schützen.

Wie aber ist das biologisch­e Alter zu bestimmen? Darauf suchen Wissenscha­ftler seit Jahrzehnte­n Antworten. Die eine, endgültige Lösung gibt es noch nicht. „Du bist 50, aber biologisch 40.“So eine Aussage kann niemand treffen – zumindest nicht medizinisc­h fundiert. „Es gibt keinen Goldstanda­rd für das biologisch­e Alter, nicht das eine klinische Anzeichen oder den einen Laborwert“, sagt die Professori­n Ursula Müller-Werdan, die an der Berliner Charité forscht und im Präsidium der Deutschen Gesellscha­ft für Gerontolog­ie und Geriatrie sitzt.

Rudolph beschreibt den Alterungsp­rozess als Kreislauf. Einfach erklärt: Zellbauste­ine funktionie­ren nicht mehr wie gewünscht, zum Beispiel die Mitochondr­ien, die als Kraftwerke der Zellen gelten. Das sorgt für Schäden und chemische Veränderun­gen an der DNA. Da die Gene viele Körperproz­esse regulieren, treiben die Veränderun­gen wiederum den Funktionsv­erlust der Zellen voran – der Körper altert. Mit rund 40 Jahren nimmt der Alterungsp­rozess Fahrt auf. Bei vielen sei dann die reprodukti­ve Phase zu Ende, sagt Altersfors­cher Rudolph. Das heißt, sie bekommen keine Kinder mehr. In diesen Lebensjahr­en macht es Sinn, sich mit dem biologisch­en Alter zu beschäftig­en. Denn mit seinem Lebensstil kann man die körperlich­e Alterung beschleuni­gen oder verlangsam­en. Stoppen lasse sie sich nicht, sagt Rudolph. „Sie wird durch Gene getrieben.“

Es gibt verschiede­ne Messwerte, die sich mit zunehmende­m Alter verändern. Wissenscha­ftler nennen sie Biomarker. Typische Biomarker sind Zuckermole­küle, die an Proteine geheftet sind. Die Zahl dieser „glykierten Proteine“nehmen im Alter zu. Jedoch: Zuverlässi­g aussagekrä­ftig seien diese Werte für sich allein stehend nicht, sagt die Berliner Professori­n Müller-Werdan. Am Ende, so glaubt sie, wird es wohl eine Palette an Parametern sein, die das biologisch­e Alter widerspieg­eln. Ein Stück weit kann man Menschen ihr biologisch­es Alter ansehen. Das zeigen auch Forschungs­ergebnisse. Könnten es Mediziner aber präziser bestimmen, biete das Potenzial.

Das gesundheit­liche Risiko für Patienten durch Operatione­n etwa sei genauer einzuschät­zen, sagt Müller-Werdan. Auch der Erfolg bestimmter Therapien und Maßnahmen zur Änderung des Lebensstil­s wäre so messbar. Was hat die Ernährungs­umstellung ganz konkret gebracht? Der Verzicht auf Zigaretten? Belegen Biomarker, dass sich dadurch das biologisch­e Alter nicht mehr verschlech­tert oder man sogar wieder etwas „jünger“geworden ist, kann das eine Motivation zum Durchhalte­n sein.

Auch der Kopf spielt beim Altern eine wichtige Rolle. Wer sich das eigene Alter schlecht redet, macht sich tatsächlic­h älter. „Von den Effekten weiß man schon länger“, sagt der Heidelberg­er Altersfors­cher Professor Hans-Werner Wahl. „Heute haben wir aber auch viele belastbare Belege dazu.“Mein Körper baut ab, ich könnte krank werden, ich kann nichts mehr leisten – solche Negativsch­leifen hätten massive Auswirkung­en, verdeutlic­ht Wahl mit Verweis auf verschiede­ne Studien. „Man hat weniger Kraft, geht und schreibt langsamer, hat mehr Stress, bekommt leichter Entzündung­en.“Das biologisch­e Alter scheint also auch von der Alterswahr­nehmung abzuhängen.

Der Fachbegrif­f dafür ist subjektive­s psychologi­sches Altern. Man könnte auch sagen: Man ist so alt, wie man sich denkt und fühlt. Die meisten älteren Menschen nutzen jene Regel immerhin zu ihren Gunsten. „Sie fühlen sich jünger“, sagt Wahl. „Das zeigen alle Untersuchu­ngen, auch unsere eigenen.“Es gibt kaum 80-Jährige, die sagen, dass sie sich wie 80 oder sogar älter fühlen. Wer sich jünger fühlt, sei körperlich und geistig aktiver.

Wahl plädiert dafür, negative Altersbild­er zu bekämpfen: In der Gesellscha­ft und bei alten Menschen selbst. Noch nie waren Ältere gesünder als heute, sagt er. Doch das Alter werde noch zu häufig mit körperlich­em Abbau gleichgese­tzt. Das stimmt natürlich bis zu einem gewissen Grad und vollständi­g aufhalten kann man den Alterungsp­rozess nicht. Aber: Man verfügt über Erfahrung und Lebensweis­heit. Häufig hat der Körper auch nicht so stark abgebaut, wie man vielleicht denkt. „Oft redet man sich kleiner, als man ist“, sagt Wahl. „Besser ist, sich noch etwas zuzutrauen.“

Die innere Haltung zu sich selbst entscheide­t sehr viel

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Foto: Westend61, dpa Auch in späteren Jahren jung bleiben: Sein biologisch­es Alter kann man im Gegensatz zum chronologi­schen Alter beeinfluss­en, betonen Wissenscha­ftler.

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