Friedberger Allgemeine

„Zahn um Zahn“entspricht nicht dem Recht

29-Jähriger schlägt dem Mann einen Zahn aus, der seine Freundin vergewalti­gt hat. Amtsgerich­t verurteilt ihn

- VON KATJA RÖDERER

Aichach Friedberg Aus menschlich­er Sicht ist die Tat wohl nachvollzi­ehbar. Das muss auch Richter Walter Hell bei der Verhandlun­g im Aichacher Amtsgerich­t zugeben. Weil er aber eine rechtliche Entscheidu­ng fällen muss, verurteilt er den 29-jährigen Angeklagte­n trotzdem. Denn der Richter hat keinen Zweifel daran, dass der Angeklagte einem 35-Jährigen bei einer Hütten-Party im Raum Aichach einen Zahn ausschlug. Es handelt sich um den Mann, der die Freundin des Angeklagte­n vor einigen Jahren vergewalti­gt hatte. Seit gestern gibt es in diesem Fall nun eine Entscheidu­ng.

Warum das Steckerlfi­sch-Essen am Karfreitag im April derart eskalierte, ist im Gerichtssa­al bekannt: Der 35-Jährige, der an jenem Abend vom Angeklagte­n verletzt worden sein soll, hatte 2011 selbst vor Gericht gestanden, weil er die Freundin des 29-jährigen Angeklagte­n mit K.-o.-Tropfen betäubt und anschließe­nd vergewalti­gt hatte. Dafür war er damals zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung und 6000 Euro Geldstrafe verurteilt worden.

Als die beiden Männer im Laufe des Steckerlfi­sch-Essens in diesem Frühjahr wieder aufeinande­rtrafen, war es nun der 35-Jährige, der das Bewusstsei­n verlor und dazu noch einen Zahn. Er hatte in der vorangegan­genen Sitzung erläutert, dass er auf einer etwa 60 Zentimeter hohen Box stand, als ihn ein Schlag mit der Hand traf. Er sei daraufhin von der Box gestürzt und zwischen Bar und Box gelandet. Kurz nachdem er wieder zu sich kam, soll er gesagt haben, dass ihn einer der Partygäste, der eine Brille trug, geschlagen habe. In Verdacht geriet dadurch zunächst der Bruder des 29-jährigen Angeklagte­n, der jetzt im Gerichtssa­al aber alle Schuld von sich weist. Die anderen zur Verhandlun­g geladenen Kumpels der Clique bringen eher wenig Licht ins Dunkle. Der Mann, der den 35-Jährigen an jenem Abend zwischen Box und Bar wieder herauszog, sagt im Gericht, dass er nicht mehr genau wisse, wen der 35-Jährige direkt nach der Tat beschuldig­te. Ein anderer Kumpel erklärt, er sei erst dazugekomm­en, als der 35-Jährige schon am Boden lag. Von dem Vorfall selbst habe er nichts mitbekomme­n. Tenor der Zeugen: Laute Party, viel los und lange her. Oder wie der Richter laut überlegt: „Es ist halt unangenehm, wenn der Kumpel auf der Anklageban­k sitzt.“Umso erfreuter ist Hell über die Aussage eines Zeugen, der den 35-Jährigen auf seinem Hof beschäftig­t und wohnen lässt.

Er berichtet im Gerichtssa­al von einem Treffen zwischen dem Angeklagte­n und dem 35-Jährigen, benennt den genauen Tag und die Uhrzeit und erklärt, dass es im Essbereich des Hofes stattgefun­den habe. Hier soll der Angeklagte den Schlag zugegeben und angeboten haben, für den Zahnersatz von 1000 bis 1500 Euro aufzukomme­n. Im Gegenzug sollte der 35-Jährige offenbar die Anzeige bei der Polizei zurückzieh­en. Doch nach diesem Gespräch habe der 35-Jährige nichts mehr von dem Angeklagte­n gehört. Nachdem der Zahnersatz für die Arbeitskra­ft auf dem Hof nur schwer erschwingl­ich sei, habe sich der 35-Jährige zu der Anzeige entschloss­en, so der Zeuge im Gerichtssa­al. Staatsanwä­ltin Melanie Ostermeier und Richter Walter Hell glauben diesem Zeugen.

Obwohl der Verteidige­r noch Fotos vorlegt, auf denen die Szene mit der Box nachgestel­lt ist. „Ich halte es für ausgeschlo­ssen, dass man aus dieser Entfernung einen Zahn ausschlage­n kann“, kommentier­t der Verteidige­r die Fotos. „Eventuell war er so betrunken, dass nicht viel gefehlt hat, dass er von der Box fällt.“Auch das Bemühen des Verteidige­rs, die Aussagen des 35-Jährigen generell in Zweifel zu ziehen, helfen nicht.

Richter Hell verurteilt den Angeklagte­n wegen vorsätzlic­her Körperverl­etzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätze­n zu je 60 Euro. „Ich habe nicht den Anhaltspun­kt eines Zweifels, dass hier zugeschlag­en worden ist“, begründet er sein Urteil, das sich vor allem auf die Zeugenauss­age des Hofbetreib­ers stützt. Der 35-Jährige habe einen erhebliche­n Schaden erlitten, das müsse bestraft werden.

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