Getarnt im Buchladen
Der Allgäuer Autor Gerhard Köpf und sein Abtauchen aus dem großen Literaturbetrieb
Es war 1986, als Gerhard Köpf Stadtschreiber von Bergen-Enkheim war und Meinolf Krüger die Deutsche Buchhändlerschule in Frankfurt besuchte und dabei Köpf aus seinem Roman „Die Strecke“lesen hörte – handelnd vom Streckenwärter Aggwyler, der seine Strecke vor deren Stilllegung ein letztes Mal abgeht. Das habe ihn in Köpfs Innerfern-Universum eingeführt, meint Krüger. Es freue ihn sehr, den Autor drei Jahrzehnte später für eine Lesung in seinem „Taschenbuchladen“gewonnen zu haben, und zwar aus dem neuen Roman „Das Dorf der 13 Dörfer“, der einmal mehr ins Innerfern führe.
Damit solle aber Schluss sein innerhalb dieses Zyklus, bemerkt Köpf später dazu. Der 1948 in Pfronten geborene Sohn eines Landbriefträgers hat seine Allgäuer Heimat unter dem Kennwort „Thulsern“in den literarischen Kosmos eingeführt, so wie gewissermaßen auch die Thulserner Strecke des Aggwyler ins Streckennetz eines Weltfahrplans. Köpfs fabelhafte Thulsernialen begannen 1983 mit dem rätselhaften Titel „Innerfern“, dem bis 1989 drei weitere folgten, zuletzt „Eulensehen“als eine Art Festschrift zur Tausendjahrfeier Thulserns. Darin figuriert unter an- derem die Außenseiterexistenz eines „Magermilchkrüppels“, der in Köpfs Neigung zur Weiterverwendung seines erzählerischen Personals auch im „Dorf der 13 Dörfer“eine bemitleidenswerte Rolle spielt. Es ist dieser schmächtige Sohn eines einarmig aus dem Krieg heimgekehrten Fremdenführers, den Köpf ins Zentrum seiner Augsburger Lesung stellt. Ausdrucksvoll lässt er miterleben, wie dieser von seinen Mitschülern malträtierte Bub seinen Trost in Abenteuerromanen sucht und auf Nimmerwiedersehen in den Tiefen einer Gebirgsklamm verschwindet. Auch Köpfs zweite Textauswahl betrifft die Leidenschaft des Lesens, die diesmal ein armer Schulgänger heimlich und versteckt im örtlichen Buchladen stillt. Der Abschnitt endet – typisch für Köpfs Freude am Collagieren – mit einem Textzitat von Henry James.
Das gibt Anlass zu erwähnen, dass dieser aus einem „bücherlosen Haushalt“kommende Autor einen literarischen Lehrstuhl in Duisburg geführt und dann eine Gastprofessur an der Psychiatrischen Universitätsklinik seines Wohnortes München versehen hat. Über Psychopathologie und Literatur schreibt er monatlich in der Zeitschrift NeuroTransmitter, dem führenden Medium für Nervenärzte, Neurologen und Psychiater. Darüber hinaus ist er auch immer wieder mit kleinerer Prosa präsent. Dennoch, so verlautet jetzt im „Taschenbuchladen“, sei der einst hochgeachtete und dekorierte Autor irgendwie vom Radarschirm des Literaturbetriebs verschwunden. Er betrachte sich als „Tarnkappenbomber“, sagt Köpf schelmisch und schlägt damit den Grundton seiner mit Heiterkeit durchsetzten Melancholie an. Den vermittelt auch der Titel seiner „Edition Gnadenbrot“, in der er seit einigen Jahren kleine literaturkundige Kapriolen schlägt, soeben über Daphne du Maurier in „Reise nach Manderley“und über den „Schatten von Kafkas Puppe“.
Als Köpf über sein erstes Theatererlebnis durch das Landestheater Schwaben und seine ersten Besprechungen für das Füssener Blatt spricht, erhellt sich das Volumen dieses überquellenden Geistes, dieses Laudators guter Literatur. „Ein Wahnsinnsbuch, sage ich Ihnen“, bekundet er seine Begeisterung für Dino Buzzatis „Die Tatarenwüste“. Und zur Klärung gegenwärtiger gesellschaftlicher Prozesse warnt er davor, „die Geschichtlichkeit der Vorgänge“zu übersehen. Das entspricht ganz seinem Antrieb, ähnlich den masurischen Anstrengungen seines verstorbenen Kollegen Siegfried Lenz „jejen die Verjänglichkeit“.