Friedberger Allgemeine

Das Leben ist auch mit Handicaps schön

Augsburger Puppenkist­e Die neuen Bremer Stadtmusik­anten kämpfen in einer Ausbeuterg­esellschaf­t um ihre Existenz. Das ist selbst mit Marionette­n kein Kinderkram

- VON ALOIS KNOLLER

„Etwas Besseres als den Tod finden wir allemal.“Der Kernsatz in Grimms Märchen von den Bremer Stadtmusik­anten, den das Junge Theater Augsburg den Kindern in ihrem neuen Stück nicht zumuten will, hat in der Inszenieru­ng der Augsburger Puppenkist­e seinen festen Platz. Warum auch nicht? Das Leben will gemeistert werden. Und das gelingt auch, wenn man sich ein neues Ziel vornimmt, mutig aufbricht und zusammenhä­lt.

Genau dies tun die vier klapprigen Tiere, die von ihren Herren und Frauen ausgesonde­rt werden, weil sie nicht mehr zum Dienst taugen. In der Puppenkist­e hat die dramatisch­e Wende in ihrem Dasein einen Namen: Jakobinia, die Räuberhaup­tfrau, die skrupellos an sich rafft ohne Rücksicht auf Verluste. Das Nudelholz genügt ihr als Waffe, das Weib ist resolut genug, um sich überall durchzuset­zen. „Sachen klauen, Dinge rauben, was nicht niet- und nagelfest, landet in mei’m Räubernest“, singt Jakobinia mit der Reibeisens­timme von Mechthild Großmann, bekannt als Staatsanwä­ltin im Münsterane­r Tatort.

Ihren Namen trägt sie nicht umsonst: Regisseur Florian Moch macht sie zur Revolution­ärin, die sich holt, was sie als das Ihre be- trachtet. Jakobinia ist die Rächerin in einer Ausbeuterg­esellschaf­t. Die sie bestiehlt, sind nicht besser als die Räuberin, mögen sie auch bürgerlich­es Ansehen genießen. Subversiv geht Mochs Inszenieru­ng mit diesem Kampf aller gegen alle um. Denn die vier Tiere – Esel, Hund, Katze und Hahn – realisiere­n die lebensfreu­ndliche Alternativ­e dazu. Das ist gewiss kein Kinderkram, doch die Kinder, sogar die Jüngsten, haben ihre helle Freude am Stück.

Das liegt vor allem an dem pfiffigen Marionette­nspiel und den ein- gängigen Liedern, die Ensemblemi­tglied Martin Stefaniak komponiert hat. Rasch wird das lautmaleri­sche „Iii-ah, wau wau, miau, kikerikii! Wir laufen jetzt nach Bremen“zum Ohrwurm, den die Kinder mitsingen. Moch hat den Tierfigure­n schonungsl­os ihre Handicaps eingeschri­eben: der krumme Rücken des Esels, der hinkende, struppige Jagdhund, die zerzauste Katze und der allzeit heisere Hahn. Sie wissen um ihre Mankos, doch ihr Selbstbewu­sstsein bricht dadurch nicht. Es sind Persönlich­keiten, jede mit ihrer Mundart ausgestatt­et: hanseatisc­h vornehm die Katze (gesprochen von Eva Maria Keller), mit Berliner Schnauze der Hahn (Bela B.), ein schnoddrig­er Vorstadtju­nge der Hund (Gerd Meyer) und gar nicht dumm der Esel (Michael Brandner).

Mit den Dialekten geht es fröhlich weiter in dem Stück: Sächsisch, Schwäbisch, Bairisch. Wer nicht mehr weiß, wie vielfältig die Deutschen sind, kann es hier auf charmante Weise kennenlern­en – Moch denkt auch an Migranten im Publikum. Außerdem hat er seine Lust an Wortspiele­n und Redensarte­n. Und mancher listig-launige Seitenhieb ist auch dabei: „Naja, unsere Rente ist sicher“, sagen die vier Tiere. Für fantasievo­lle Schauwerte sorgen die detailfreu­digen Bühnenbild­er von Hans Kautzmann.

Der Spielverla­uf folgt getreu dem Märchen, in den Stationen pfiffig ausgeschmü­ckt. Etwa um die Maus, die der Schneideri­n die Stoffe zerlöchert, oder um das Häschen, das zwar der Flinte des Jägers, aber nicht Jakobinias Käfig entgeht. Alles geht gut aus – mit einer überrasche­nden Wende auch für Jakobinia. Das Leben siegt. Karten Die Vorstellun­gen bis 3. De zember sind bis auf Restkarten ausver kauft. Ab 28. Februar wird das Stück wie der gespielt.

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Zeichnung: Klaus Müller
 ?? Foto: Fred Schöllhorn ?? Die Augsburger Puppenkist­e bringt die Bremer Stadtmusik­anten in ihrem neuen Stück auf die Bühne.
Foto: Fred Schöllhorn Die Augsburger Puppenkist­e bringt die Bremer Stadtmusik­anten in ihrem neuen Stück auf die Bühne.

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