Wenn die Glocken zum Ohrwurm werden
Am Deutschen Theater in München überrascht „Der Glöckner von Notre-Dame“
München Die Aufführung beginnt mit einer Überraschung: Ein hübscher, blonder junger Mann betritt die Bühne des Deutschen Theaters. Schmiert sich ein bisschen schwarze Farbe ins Gesicht, schnallt sich einen Buckel um – und fertig ist Quasimodo, „Der Glöckner von NotreDame“. Das Opening setzt ein Signal, was da heißt: Hier schlüpft einer in eine Theaterrolle. Was aber auch bedeutet: In diesem Musical verlässt man alle Konventionen des Genres – und untergräbt die Erwartungen des Publikums.
Das Konzept geht auf. Fast drei Stunden erlebt man eine Inszenierung, die sich wenig schert um wohlfeile Gags oder billige Effekte, die weder auf sexy Kostüme oder eine fetzige Choreografie setzt, sondern gekonnt zwischen hohem Pathos und großem Drama oszilliert, ohne in die Gefahrenzone des Kitsches zu geraten. Die Story ist ja hinlänglich durch Film, Oper und Ballett bekannt. Statt wechselndem Bühnenzauber entwickelt sich im düsteren Einheitsbild, das den Innenraum der berühmten Pariser Kathedrale zitiert, der ganze Roman Victor Hugos, der im Jahr 1482 spielt. Episch breit ausgepinselt das Sittenbild des Mittelalters, mit seiner Kritik an der katholischen Kirche, der Doppelmoral des Klerus und der Ausgrenzung Fremder.
Doch die steinernen Heiligen werden lebendig, erzählen immer wieder knapp die Geschichte weiter, sind Berater und Freunde des missgestalteten Quasimodo. Ihn, das Kind der Sünde, hält Erzdiakon Frollo wie einen Gefangenen im Glockenstuhl. „Die Glocken von Notre-Dame“sind denn auch einer der Ohrwürmer dieses durchkomponierten Musicals, das zwar eingängige Songs enthält, nicht jedoch den einen Hit à la Lloyd Webber. Dafür gibt es jede Menge grandioser Chorpassagen, mit Verve von Bernhard Volk dirigiert. Die Chöre schlagen so richtig ein, ja, füllen durch ihre Dramatik das ganze Haus. Das ist Musik für die berühmte Gänsehaut, wenn da von Hölle und ewiger Verdammnis geschmettert wird. Und das geht auch so manchem im Publikum an die Tränendrüse, wenn der arme Quasimodo erkennen muss, dass Zigeunerin Esmeralda ihn nur als Freund liebt.
Natürlich geht dieser emotionale Drive auch von den Darstellern aus, allen voran von David Jakobs (der am Gärtnerplatz im letzten Jahr als Judas brillierte) mit seiner starken Bühnenpräsenz als Quasimodo. Aber auch Felix Martins Bösewicht Frollo, Maximilian Manns schöner Hauptmann, Jens Jankes Zigeunerchef und nicht zuletzt Sarah Bowden als verführerische Esmeralda mit einem menschlichen Herzen und emanzipiertem Auftreten überzeugen – Letztere übrigens auch tänzerisch.
Insgesamt ist dieses Musical jedoch als Ensemblestück ohne Starauftritte konzipiert. Und endet, wie es anfängt: mit der Desillusionierung des Publikums.
OAufführungen Bis 7. Januar 2018. Kartentelefon 089 55234 444.