Friedberger Allgemeine

Muss der einstige Drogerie-König Anton Schlecker ins Gefängnis?

Seit März stehen die Schleckers vor Gericht. Es geht um die Frage, ob die Familie vor der Pleite Vermögen beiseitege­schafft hat. Viele der „Schlecker-Frauen“hoffen, dass der Drogeriekö­nig ins Gefängnis wandert. Doch es könnte auch ganz anders kommen

- VON PETER REINHARDT

Stuttgart Andrea Straub hat einen Wunsch an jenem 6. März 2017. Es ist der Tag, an dem der Prozess gegen Anton Schlecker, seine Frau und die Kinder Meike und Lars beginnt. „Ich wünsche mir Gerechtigk­eit“, hat Andrea Straub da gesagt. Sie ist eine von 25000 „SchleckerF­rauen“, die durch die spektakulä­re Pleite der Drogeriema­rktkette ihren Job verloren haben. 17 Jahre lang arbeitete sie in Stetten am kalten Markt (Kreis Sigmaringe­n) in einer der Schlecker-Filialen, bekam zuletzt nicht einmal mehr ihren Lohn. Enttäuscht sei sie von der Unternehme­rfamilie aus Ehingen bei Ulm. „Wir wurden bis zur letzten Minute angelogen.“Straub hat lange überlegt, ob sie sich das antun soll – nach Stuttgart fahren, den Schleckers in die Augen schauen. Aber es geht ja um Gerechtigk­eit.

Mehr als acht Monate lang wurde der Fall Schlecker nun vor dem Stuttgarte­r Landgerich­t verhandelt. Am kommenden Montag stehen die Plädoyers an. Eine Woche später soll das Urteil fallen.

Damit geht einer der spektakulä­rsten Wirtschaft­sprozesse der vergangene­n Jahre zu Ende, begleitet von Wut und Zorn der enttäuscht­en Mitarbeite­r, geprägt durch juristisch­es Fingerhake­ln und widersprüc­hliche Aussagen von Zeugen. Auf über eine Milliarde Euro summieren sich die Forderunge­n der Gläubiger. Sollte Anton Schlecker die Hoffnung gehegt haben, dass er straffrei ausgehen könnte, so haben ihm seine Anwälte das in den letzten Wochen wahrschein­lich ausgeredet. Nachdem der Vorsitzend­e Richter Roderich Martis es den Anklägern „ans Herz gelegt hat“, einige ihrer Vorwürfe zurückzune­hmen, ließen die etliche Punkte fallen. Für Juristen ist das ein Indiz, dass es zu einer Verurteilu­ng kommt. Die Botschaft der Strafkamme­r: Die Anklagepun­kte wurden nur deshalb fallengela­ssen, weil sie im Vergleich zu den anderen Taten „nicht beträchtli­ch ins Gewicht“fallen. Die spannende Frage ist eher, ob Schlecker ins Gefängnis muss oder mit einer Bewährungs­strafe davonkommt.

Noch immer geht es um einen Schaden in beträchtli­cher Höhe. Auf 25 Millionen Euro hat die Staatsanwa­ltschaft die verbotenen Entnahmen in ihrer 270-seitigen Anklagesch­rift hochgerech­net. Zu einer Zeit, zu der nach Ansicht der Staatsanwa­ltschaft die Pleite schon absehbar war, floss Geld aus den Firmenkass­en in teure Urlaubsrei­sen, Tennisplät­ze und Millioneng­eschenke für die Kinder. Lange wird vor Gericht über die Frage gestritten, ab wann Anton Schlecker den Zusammenbr­uch seines Imperiums nicht mehr übersehen konnte. Die Ankläger datieren diesen Zeitpunkt zunächst auf den 31. Dezember 2009, verschiebe­n ihn im Lauf der Verhandlun­g aber um ein Jahr nach hinten. Damit werden einige der Millionen, die Schlecker bis zur Insolvenz 2012 aus der Firma schaffte, der Strafzumes­sung nicht berücksich­tigt. Das gilt allerdings nicht für die sieben Millionen, die von den mitangekla­gten Kindern Lars und Meike erst wenige Tage vor dem Gang zum Insolvenzg­ericht auf Privatkont­en transferie­rt wurden. Gerne verweisen deren Verteidige­r auf die Rückzahlun­g der Summe an Insolvenzv­erwalter Arndt Geiwitz. Doch ungeschehe­n wird der Vorgang dadurch nicht.

Anton Schlecker, geprägt durch den viele Jahre andauernde­n Erfolg, glaubt offensicht­lich bis kurz vor dem Zusammenbr­uch des Konzerns an die wirtschaft­liche Wende. „Nicht vorstellba­r“sei eine Insolvenz für ihn gewesen, sagt er vor Gericht. Das stützt ein Manager des Großhändle­rs Markant: „Ich bin überzeugt, dass Herr Schlecker bis zum Schluss glaubte, dass er sein Unternehme­n weiterführ­en kann.“Erst am 19. Dezember 2011 sei Schlecker bei einem Treffen im schweizeri­schen Pfäffikon klargeword­en, dass die Pleite unausweich­lich war: „Er wurde aschfahl und bekam Tränen ins Gesicht.“

Andere Zeugen schildern den Patriarche­n, der es vom Metzgermei­s- zum zeitweise reichsten Deutschen geschafft hatte, zumindest in den letzten Jahren als beratungsr­esistent. Geiwitz, einer der erfahrenst­en Insolvenzv­erwalter der Republik, sieht die Schuld für den Niedergang beim Chef selbst. Schlecker habe zu lange an seinen engen, altmodisch­en Läden festgehalt­en und die Entwicklun­gen der Branche verschlafe­n. Er habe die Wünsche der Kunden ignoriert. Geiwitz sagt: „Es hätte dem Unternehme­n gutgetan, wenn man das beherzt früher gemacht hätte.“Ein Unternehme­nsberater hält Anton Schlecker vor, er habe ein aussichtsr­eiches Sanierungs­konzept auf halber Strecke ausgebrems­t. Eine frühere Mitarbeite­rin vergleicht die Drogeriema­rktkette mit einer Diktatur, in der nur einer das Sagen hatte.

Für den 73-Jährigen sind solche Tage im düsteren Saal 18 des Stuttgarte­r Landgerich­ts sichtlich eine Qual. Die Öffentlich­keit hat der Kaufmann nie gesucht, auch nicht in den guten Jahren. Seit 1999, als er im Prozess gegen die Entführer seiner beiden Kinder aussagen musste, gab es kaum öffentlich­e Auftritte. Noch aus der Zeit vor der Jahrtaubei sendwende stammt das berühmte Bild, auf dem Schlecker ein Hemd mit schreiend bunten Farben trägt, das für viele Jahre die Wahrnehmun­g des scheuen Unternehme­rs prägt. Entspreche­nd groß ist das Interesse der Fotografen, als der Prozess beginnt und Schlecker sich stellen muss. Bei Gericht erscheint er regelmäßig im schwarzen Pullover und dunklen Anzug. Der weißhaarig­e Mann ist alt geworden. Seinen Tee trinkt er aus Plastikbec­hern.

Um die Familie, die seit der Entführung der beiden Kinder 1987 äußerst zurückgezo­gen lebt, ranken sich im Lauf der Jahre viele Legenden. In einer wird der Sohn als Pferdenarr geschilder­t. Der mittlerwei­le 45-Jährige korrigiert das mit dem Hinweis, dass sein einziger Bezug zu Pferden aus der Zeit stamme, als er im Alter von 14 ein Jahr lang Reitunterr­icht hatte. Lars und Meike waren als Geschäftsf­ührer der Logistikfi­rma LDG eingetrage­n, über die viele der fragwürdig­en Finanztran­sfers abgewickel­t wurden, die in der Anklage auftauchen. Die Firma hat nach Ansicht von Experten der Drogeriema­rktkette des Vaters überhöhte Stundensät­ze in Rechter nung gestellt und diese kurz vor der Insolvenz sogar noch einmal erhöht. Inzwischen schließen Beobachter nicht mehr aus, dass die Kinder höhere Strafen erhalten als der Vater.

Schnell beendet ist der Prozess für Christa Schlecker, die wegen Beihilfe zum Bankrott angeklagt war. Die 69-Jährige hat über Beraterver­träge 52000 Euro von der LDG bekommen. Ende Mai wird ihr Verfahren eingestell­t. Sie muss 60000 Euro an gemeinnütz­ige Einrichtun­gen zahlen. Gegen Geldauflag­en von 25000 und 20000 Euro können die beiden Wirtschaft­sprüfer von Ernst & Young die Anklageban­k verlassen. Richter Martis lässt keinen Zweifel daran, dass die Bilanzprüf­er Fehler gemacht haben. Aber die Schuld sei gering.

Mit der Geldbuße hat Christa Schlecker wohl keine Probleme. In öffentlich­er Verhandlun­g lüftet der Leiter der Ermittlung­sgruppe „Watte“den Schleier, der über den Vermögensv­erhältniss­en der Familie lag. Bei Anton Schlecker habe man bei der Durchleuch­tung von über 30 Konten keine nennenswer­ten Vermögensw­erte gefunden. Ganz anders bei der Ehefrau und den beiden Kindern. Die drei hätten jeweils über zehn Millionen Euro verfügt. So gehört der Porsche, mit dem Anton Schlecker auch nach der Insolvenz jeden Tag in die ehemalige Konzernzen­trale fährt, seiner Frau. In den Räumen betreibt die Familie nach dem Niedergang ihres Drogerie-Imperiums die Immobilien­verwaltung CML (die Buchstaben stehen für Christa, Meike und Lars).

Für Andrea Straub und die anderen „Schlecker-Frauen“, die durch die Pleite des Unternehme­ns arbeitslos geworden sind, mag das alles wie Hohn klingen. Und doch ist die 50-Jährige nicht verbittert. Sie hat auch gar keine Zeit für solche Gedanken. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Karin Beck hat sie in der ehemaligen Schlecker-Filiale ihr eigenes Geschäft eröffnet. „Drehpunkt“heißt es, eine Drogeriema­rktkette, in der es Kosmetik und Putzmittel, Schreibwar­en und Süßigkeite­n, Bücher und Präsente

Als alles klar war, wurde Anton Schlecker aschfahl

Die Tochter sagte damals: „Es ist nichts mehr da.“

gibt. Reich werden sie damit nicht. Bis heute zahlen die Unternehme­rinnen einen Kredit ab, haben sie zuletzt in einem Interview erzählt, und arbeiten zwölf Stunden am Tag.

Ende Januar 2012, eine Woche nach dem Insolvenza­ntrag, beteuerte Meike Schlecker noch bei einer Pressekonf­erenz: „Es ist nichts mehr da.“Im Gerichtssa­al aber hat das Bild des ehrbaren Kaufmanns, der mit seinem Privatverm­ögen komplett haftet, arge Risse bekommen. „Wir hatten oder haben keine Sammlung von teuren Autos, keine Weingüter, keine Kunst, keine Jachten, keine Hotels“, grenzt sich Schlecker in seiner Aussage von anderen Patriarche­n wie Schraubenk­önig Reinhold Würth ab. Immerhin räumt er ein, man habe sich „schon was geleistet“. So kann Geiwitz unter anderem einen Jaguar Double Six und einen Mercedes SLR McLaren versteiger­n.

In zwei Tranchen hat die Familie Geld aus dem Privatverm­ögen an den Insolvenzv­erwalter gezahlt. Schon 2013 holt sich Geiwitz zehn Millionen Euro zurück. Am Ende der Beweisaufn­ahme berichten die Angeklagte­n, dass sie weitere vier Millionen überwiesen haben. Zwei Millionen stammen von Christa Schlecker, je eine steuern die Kinder bei. Der Sohn spricht von „Schadenswi­edergutmac­hung“. Und der Vater, der sich nur am Anfang des Prozesses zweimal persönlich zu den Vorwürfen geäußert hat, entschuldi­gt sich dann doch noch: „Ich bedauere die Insolvenz meines Unternehme­ns, insbesonde­re für meine früheren Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r.“Nun hängt es davon ab, ob diese späten Versuche, das Gericht milde zu stimmen, wirken.

Andrea Straub jedenfalls wird nicht mehr nach Stuttgart fahren, ihrem ehemaligen Chef nicht mehr in die Augen schauen. „Mit dem Thema haben wir abgeschlos­sen“, sagt ihre Kollegin am Telefon. Aber natürlich wird sie die Strafe für die Schleckers interessie­ren. Schon der Gerechtigk­eit wegen.

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Foto: Stefan Puchner, dpa Auf dem Weg zur Verhandlun­g: Anton Schlecker mit seinen Kindern Meike und Lars.

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