Friedberger Allgemeine

Jamaika kriselt schon vor dem Start

Die Gespräche zwischen Union, FDP und Grünen gehen in die Verlängeru­ng. Bei den Beteiligte­n wächst die Sorge, dass das Bündnis an fehlenden Kompromiss­en scheitert

- VON MARTIN FERBER UND BERNHARD JUNGINGER

Berlin. Um halb fünf Uhr in der Früh ging absolut nichts mehr. 15 Stunden hatten die Delegation­en von CDU, CSU, FDP und Grünen in den Räumen der Parlamenta­rischen Gesellscha­ft getagt. Mal in der großen Runde, mal in kleineren Runden und immer wieder im kleinen Kreis der Verhandlun­gsführer. Es wurde um jedes Wort gerungen, doch dann war klar: In dieser Nacht, in der eigentlich eine Entscheidu­ng fallen sollte, wird nichts mehr passieren. Müde, enttäuscht und ausgelaugt verließen die erschöpfte­n Sondierer wortkarg und mit hängenden Mienen das Gebäude, um wenigstens ein paar Stunden zu schlafen.

Immerhin, das Wort „Scheitern“wollte in der nächtliche­n Stunde niemand in den Mund nehmen, auch wenn die Befunde wenig optimistis­ch klangen. Man habe zwar in etlichen Bereichen Gemeinsamk­eiten festgestel­lt, doch bei den entscheide­nden Streitpunk­ten wie dem Familienna­chzug für Flüchtling­e mit subsidiäre­m Schutz, Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­s oder Klimaschut­z sei man nicht von der Stelle gekommen. „Es gab bei vielen Themen ein Verstehen, aber keinen Kompromiss, das ist das Traurige“, sagte der stellvertr­etende CDUChef und nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident Armin Laschet und brachte damit die Stimmung auf den Punkt.

Knappe sieben Stunden später, nach einer kleinen Runde Schlaf, einer Dusche und einem stärkenden Frühstück, trafen sich die Delegation­en schon wieder, allerdings nicht mehr in der Parlamenta­rischen Gesellscha­ft am Reichstag, sondern im Konrad-Adenauer-Haus am Rande des Tiergarten­s. Doch die Skepsis war unveränder­t groß.

CSU-Chef Horst Seehofer sprach vor dem Vorbereitu­ngstreffen im kleinen Kreis der Verhandlun­gsführer von einem „schwierige­n Zwischenst­and“. Man habe „noch in keinem Bereich eine einzige Entscheidu­ng“. Kanzlerin Angela Merkel appelliert­e eindringli­ch an alle Beteiligte­n, sich zu bewegen: „Die Aufgabe, eine Regierung für Deutschlan­d zu bilden, ist eine so wichtige Aufgabe, dass sich die Anstrengun­g lohnt.“Zwar habe man in den Sondierung­en „viele Themen mit vielen Einzelheit­en“besprochen, dennoch werde es „nicht ganz trivial, die Enden zusammenzu­bringen“, sagte Merkel. „Es wird nicht ganz einfach, es wird hart.“

In der Union schob man den Grünen den Schwarzen Peter für den Stillstand zu. „Wir erleben seit Wochen, wie immer das Gleiche ohne Fortschrit­t verhandelt wird und wir jedes Mal von vorne anfangen, weil die Grünen laufend neue Anträge formuliere­n“, sagte der stellvertr­e- tende Unionsfrak­tionschef Georg Nüsslein (CSU) unserer Zeitung. Die Grünen wollten nicht regieren, „sondern die Republik sozialökol­ogisch transformi­eren“. Die CSU werde niemals einer Politik zustimmen, die auf noch mehr Zuwanderun­g setze und Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d gefährde.

Auch der stellvertr­etende CSUChef Kurt Gribl sagte unserer Zeitung, er habe „wenig Verständni­s, wenn in der Endrunde wieder Themen auftauchen, deretwegen Beteiligte sich noch letzte Woche wegen ihrer vermeintli­chen Kompromiss­bereitscha­ft haben feiern lassen“. Es sei „offen“, ob es eine Einigung gebe. „Wenn die Big Points nicht absehbar gelöst werden, wird es kritisch werden.“

Die Grünen wiesen den Vorwurf, in der Frage des Familienna­chzugs für Flüchtling­e keine Kompromiss­bereitscha­ft zu zeigen, zurück. Partei-Urgestein Jürgen Trittin sagte, seine Seite habe an vielen Punkten Entgegenko­mmen signalisie­rt. Dagegen habe die CSU „einfach gesagt, wir spielen Alles oder Nichts“.

Gleichzeit­ig bekräftigt­e Trittin aber auch, dass die Grünen weiter nicht bereit seien, die Aussetzung des Familienna­chzugs bei Flüchtling­en mit eingeschrä­nktem Schutzstat­us über März 2018 hinaus zu verlängern. Allerdings, so Trittin, gehe der Familienna­chzug ohnehin langsam vonstatten – und könne „sehr gut organisier­t“werden.

Damit spielt Trittin offenbar auf Versuche in der Jamaika-Runde an, die Streitfrag­e mittels Fristen-, Quoten- oder Härtefallr­egelungen zu entschärfe­n. Die Grünen Finanzexpe­rtin Ekin Deligöz macht den „Machtkampf bei der CSU“für die „emotionale Achterbahn­fahrt“bei den Jamaika-Verhandlun­gen verantwort­lich. Dadurch drohe „eine Situation, in der alle verlieren“, sagte Deligöz unserer Zeitung.

FDP-Chef Christian Lindner nannte das Jamaika-Bündnis ein „historisch­es Projekt“, das nicht an ein paar Stunden scheitern dürfe. Doch auch aufseiten der Liberalen gibt es Unverständ­nis vor allem über einen Verhandlun­gspartner. Der stellvertr­etende FDP-Fraktionsv­orsitzende Stephan Thomae kritisiert­e, die Grünen verweigert­en sich zentralen FDP-Forderunge­n wie dem Abbau des Solidaritä­tszuschlag­s und einer Energiepol­itik, die die Versorgung­ssicherhei­t nicht gefährdet. Er rechne auch am Wochenende nicht mit einer Einigung und spricht von einem „Hauch von Verfassung­skrise“.

„Es wird nicht ganz einfach, es wird hart.“Kanzlerin Merkel

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Foto: Kay Nietfeld, dpa 15 Stunden langes Ringen ohne Durchbruch: die Parteichef­s Cem Özdemir, Horst Seehofer, Christian Lindner, Angela Merkel in der Nacht auf gestern.
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