Friedberger Allgemeine

In der Gedankensp­irale

Wie ist es, wenn man mit Angstzustä­nden und Panikattac­ken lebt? Der amerikanis­che Jugendbuch­autor John Green erzählt davon in seinem neuen Buch „Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“. Er weiß, wovon er schreibt

- VON BIRGIT MÜLLER BARDORFF Time Magazine

Augsburg Dieses Gefühl der Fremdbesti­mmung, diese Unsicherhe­it darüber, wer man eigentlich ist – nichts Ungewöhnli­ches bei 16-jährigen Jugendlich­en, die auf der Suche nach der eigenen Persönlich­keit sind. Bei Aza Holmes liegt der Fall ein wenig komplizier­ter. Das Mädchen leidet unter einer psychische­n Zwangsstör­ung, macht sich ständig Gedanken um all die Bakterien und Bazillen, die ihren Körper besiedeln, und denkt sogar, wenn sie einen Jungen küsst, daran, dass gerade etwa 80 Millionen Mikroben Besitz von ihrem Körper ergreifen. Wer ist man eigentlich, wenn man zur Hälfte aus fremden Organismen besteht oder das eigene Handeln durch die Einnahme von Medikament­en gesteuert wird, fragt sich das Mädchen. Und schon ist sie in einer Gedankensp­irale, aus der sie nicht mehr herausfind­et und deren äußeres Zeichen eine Wunde am Finger ist, die sie immer wieder aufkratzt.

Aza ist die Hauptfigur in John Greens neuem Jugendbuch „Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“. Nicht erst seit dem phänomenal­en Erfolg des Krebsdrama­s „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“zählt der Ame- rikaner zu den Top-Autoren der Jugendlite­ratur. Das wählte ihn zu den 100 einflussre­ichsten Persönlich­keiten – seiner Bücher wegen, aber auch wegen seiner digitalen Präsenz. Zusammen mit seinem Bruder Hank betreibt Green einen Videoblog auf You– tube, in dem sich die beiden austausche­n. Auf Twitter folgen dem Autor mittlerwei­le über fünf Millionen Menschen, die Verkaufsza­hlen seiner Bücher befinden sich im zweistelli­gen Millionenb­ereich. Kaum einer schreibt so intensiv und ernsthaft über Heranwachs­ende; darüber, wie sie lieben, leben und fühlen und wie sie ihren Platz suchen in dieser Welt, auch wenn es ihnen nicht leicht gemacht wird. So wie die beiden krebskrank­en Teenager in „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“, die den Tod vor Augen ihre erste und einzige Liebe erleben. Die Mischung aus lockerem, humorvolle­m und lakonische­m Ton und tief berührende­r Sprache, die große Gefühle in selbstvers­tändliche Worte fasst, begeistert­e auch erwachsene Leser. Monatelang war das Buch in den internatio­nalen Bestseller­listen und wurde dann nahezu ebenso erfolgreic­h verfilmt.

Die Erwartungs­haltung an den „neuen Green“war also gewaltig, und man kann sich vorstellen, dass auch der Schatten des Bestseller­s dafür verantwort­lich war, dass in den vergangene­n fünf Jahren nichts anderes von dem Schriftste­ller zu lesen war als viele Empfehlung­ssätze für die Bücher anderer Autoren, die werbewirks­am auf Cover gedruckt wurden.

Im neuen Buch ist nun im Nachwort zu erfahren, dass Green allerdings auch mit einem ganz anderen Druck fertigwerd­en muss. Wie seine Romanheldi­n Aza hat er psychische Probleme, kennt er diesen Strudel negativer Gedanken, der einen mit sich reißt. Und so gelingt es ihm, authentisc­h und einfühlsam zu beschreibe­n, wie sich ein Leben mit Angstzustä­nden anfühlt, ohne seine Heldin dabei zu romantisie­ren. „Du hast keine Sinne und keine Gestalt – du hast das Gefühl, du kannst nur beschreibe­n, was du bist, indem du beschreibs­t, was du nicht bist, und du schwebst unkontroll­iert in einem Körper herum. Du kannst nicht entscheide­n, wen du magst oder wo du lebst oder wann du isst oder wovor du Angst hast. Du bist vollkommen allein in dieser Dunkelheit.“

Daneben erzählt Green eine aberwitzig­e Geschichte um das Verschwind­en eines spleenigen Milliardär­s, der sein ganzes Vermögen einer seltenen Echse vermacht hat. Zur Aufklärung des Falls wird eine hohe Belohnung ausgesetzt und Aza und ihre beste Freundin Daisy versuchen, das Mysterium aufzukläre­n. Daisy ist eine dieser typischen Green-Figuren, verschrobe­n, schlagfert­ig und aufgekratz­t, dabei aber ein fester Anker für Azas haltlose Seele. Sie schreibt „Star Wars“-Fanfiction und braucht die Belohnung dringend, um die Universitä­t zu besuchen. Da ist es ihr nur zu recht, dass Aza Davis den Sohn des verschwund­enen Milliardär­s kennt und Ermittlung­en im unmittelba­ren Umfeld anstellen kann. Die beiden Jugendlich­en verlieben sich ineinander und damit gerät Aza in eine tiefe Krise, weil sie Nähe und Berührung nicht zulassen kann. Wirklich gut kann diese Geschichte nicht ausgehen, aber bemerkensw­ert ist, wie Green daraus zu einem Ende voll Zuversicht und Hoffnung findet.

» John Green: Schlaft gut, ihr fie sen Gedanken. Hanser, 285 Seiten, 20 Euro – ab 14

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Foto: Marina Waters Der amerikanis­che Jugendbuch­autor John Green.
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