Friedberger Allgemeine

Die Frage der Woche Eine WM ohne Italien ist kein Drama?

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Wer hätte das gedacht: Der deutsche Fußball-Fan sehnt sich nach Spielen der Italiener. Sonst ist die Seniorentr­uppe aus dem Süden für jede Schmähung gut: „Stellen sich nur hinten rein.“„Sind alles Schauspiel­er.“„Teilen hinterfotz­ig aus, sobald der Schiri mal nicht hinsieht.“Und jetzt, wo man sich endlich mal der Gerechtigk­eit des Fußballgot­ts versichern könnte – auch darin sind wir Deutschen ja Weltmeiste­r, im moralische­n Urteilen – , nun ist es auch wieder nicht recht. Darum jetzt noch einmal in einfachen Worten, verständli­ch sogar zwischen zwei „Schlaaand“-Rülpsern: Eine FußballWel­tmeistersc­haft soll die vermeintli­ch beste Mannschaft der Welt bestimmen. Nicht die mit der schönsten Nationalhy­mne. Oder mit den leidenscha­ftlichsten Fans. Auch nicht die, mit dem größten Unterhaltu­ngswert. Vergangene Verdienste zählen nicht, sonst müsste der Titel ja nicht neu vergeben werden – und für Deutschlan­d spielten noch Uwe Seeler und Paul Breitner. Man kann sich nicht an der Erneuerung der deutschen Mannschaft freuen oder an erfrischen­den Turnier-Neulingen wie Island und gleichzeit­ig wollen, dass alles so bleibt wie früher. Nostalgie ist ein sicheres Symptom dafür, dass man Probleme hat mit der eigenen Vergänglic­hkeit. Dass man glaubt, so gut wie früher wird es nicht mehr. Dieses Gefühl ist menschlich und nicht nur Fußball-Fans bekannt. Aber welcher Opernsänge­r wird noch gebucht, wenn die Stimme nicht mehr hält? Welchen Schauspiel­er will man noch sehen, wenn er ewig nur dieselbe Rolle spielt? Das Leben geht weiter. Und das ist auch gut so. Auch als gealterter Fußball-Profi kann man sich ja ein neues Spielfeld suchen. Als TV-Experte zum Beispiel. Oder, apropos italienisc­he Fußballer: vielleicht doch Schauspiel­er?

Es wäre einfach, jetzt mit einem Stakkato, ja einer Symphonie von Namen zu beginnen, die so ganz anders klingen als Schweinste­iger, Müller, Höttges, Höwedes oder Schwarzenb­eck. Nämlich Baggio, Maldini, Mazzola, Pirlo, Riva, Rivera, Totti… Aber lassen wir das. Weinen wir lieber mit Gianluigi Buffon, dem Torwart, der für Italiens wunderbare Dauerpräse­nz im Weltfußbal­l steht. Nun also: WM ohne Italien! Wen das nicht schmerzt, ja am Sinn der Veranstalt­ung zweifeln lässt, der hat kein Herz und auch kein Gedächtnis. Was haben wir den Italienern alles zu verdanken! Große Dramen, größte Momente, härteste Abwehr, begnadetes Mittelfeld, schönste Autokorsos… Mexiko 1970: Ohne das Italienspi­el hätte es niemals eine Initiation zum Fußballbeg­eisterten gegeben!

So ist der Sport, und hätten sie in der Qualifikat­ion halt besser gespielt, irgendwann musste es auch die Azzurri mal treffen, die Krise war ja mit Händen zu greifen, es gibt eben kein Abo für Fußballmyt­hen und vielleicht ist das die Chance auf Erneuerung… Lassen wir das Vernunftge­rede beiseite, stimmt ja alles, interessie­rt aber nicht, wenn der WM-Himmel grau ist und nicht blau.

Dagegen dies: Wer am Dienstag vorm Freundscha­ftsspiel Deutschlan­d – Frankreich gesehen hat, was unsere Spieler da trugen, schwarze Hemdjacken mit spitzen Kragen, eine Art Pfadfinder­uniform für Zeltlager in der Lüneburger Heide! Man sah das und erschauert­e, weil einem aufging, was außer Italiens launiger Fußballkun­st noch fehlen wird in Russland: Stil. Die allerelega­ntesten Trikots, die schönsten weißen Hosen, federleich­t flatternd wie Schmetterl­inge, Trainingsj­acken, die man zum Opernball tragen könnte. Niklas Süle, 1,94 m, spielt bei der WM. Alessandro Florenzi, 1,73 m, nicht. Ein Jammer.

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