Friedberger Allgemeine

SPD rechnet mit der Schulpolit­ik ab

Landtagspo­litiker hören sich vor Ort die Sorgen und Nöte von Lehrern und Eltern an. Wo es brennt und hakt

- Warum?

Stadtberge­n Zwei Monate lang laden die SPD-Abgeordnet­en des Landtags in allen bayerische­n Bezirken zu regionalen Schulkonfe­renzen ein, um Informatio­nen aus erster Hand zu erhalten. Ähnlich versucht auch die CSU, die Lage an den Schulen zu erfassen. In Stadtberge­n berichtete­n jetzt 25 Lehrer und Vertreter von Elternverb­änden der SPD, wo es im Augenblick brennt. Für die Abgeordnet­en Simone Strohmayr, Herbert Woerlein, Harald Güller sowie Irina Schumacher von der Fachakadem­ie für Sozialpäda­gogik der Diakonie in Augsburg und Hans-Joachim Franze vom Realschule­n-Landeselte­rnverband wurde klar: Es hakt am Personal.

Sie hatten bei der Regionalko­nferenz das Ohr an der Basis: Wo fehlen im Augenblick in Schwaben Lehrer? Irina Schumacher: Ein ganz großes Problem sind die mobilen Reserven. Simone Strohmayr: Alle Schulleite­r und Elternvert­reter haben festgestel­lt, dass es ab November keine mobilen Reserven mehr gibt, die zur Verfügung stehen, um andere Lehrer zu ersetzen. Es gibt ja immer wieder Krankheits­fälle oder Schwangers­chaftvertr­etungen.

Aber Schwangers­chaften lassen sich doch planen.

Harald Güller: Der Einwand kam auch. Deshalb ist es völlig unverständ­lich, wie das Kultusmini­steri- um rechnet. Bei der Polizei gibt es das gleiche Problem. Rein statistisc­h wären diese Ausfälle für Bayern aber relativ leicht berechenba­r.

Das ist die Theorie. Und die Praxis? Herbert Woerlein: Ich hab’ es schon selbst während meiner 17 Jahre an der Realschule erlebt: Dort waren bereits mit dem ersten Schultag alle mobilen Reserven weg. Wer in den Sommerferi­en nicht zugegriffe­n hatte, der ging leer aus.

Irina Schumacher: Als privater Träger können wir leider nicht auf mobile Reserven zurückgrei­fen. Wir müssen Ersatz selbststän­dig organisier­en, müssen uns zum Beispiel zwischen katholisch­er und evangelisc­her Fachakadem­ie absprechen. Und dann geht es nur übers Hörensagen. Und Hoffen.

Hans Joachim Franze: Mobile Reserven sind ein Thema, aber viele Schulen haben Fachunterr­icht mit Fachlehrer­n, die keine mobilen Reserven ersetzen können. Ausfälle werden dann mit den sogenannte­n integriert­en Lehrerrese­rven ersetzt. Das heißt: Für mögliche Ausfälle werden Stunden vorgehalte­n. Wir haben aber festgestel­lt, dass die bei Weitem nicht ausreichen. Sobald ein Lehrer für acht Tage krank ist, ist diese Reserve aufgebrauc­ht – aber für die ganze Schule.

Woerlein: Bei der Regionalko­nferenz kam auch heraus, dass man seitens des Freistaats die völlig falschen Vorgaben macht. Man darf eine Reserve erst nach sechs Wochen Ausfall anfordern. Aber welcher Arzt stellt denn noch ein Attest über sechs Wochen aus? Das heißt: Erst sind es zwei, dann vier Wochen Krankheit. Aber mit diesen Verlängeru­ngen kann ein Schulleite­r nichts anfangen. Er darf ja erst nach sechs Wochen Ausfall einen Ersatz anfordern.

Fehlende mobile Reserven führen zu Engpässen. Die gehen im schlechtes­ten Fall zulasten der Kinder: Der Unterricht fällt aus. Wo droht und wo gibt es bereits Unterricht­sausfall?

Franze: Im Berufsschu­lbereich sind im Augenblick nur 80 bis 85 Prozent des Pflichtunt­errichts abgedeckt. Anders herum heißt das: Jede fünfte Stunde Pflichtunt­erricht fällt aus. Strohmayr: Eine Grundschul­lehrerin berichtete, dass sie ihren Pflichtunt­erricht teilweise durch Studenten oder pensionier­te Lehrer abdecken muss.

Studenten schmeißen den Unterricht: Macht so etwas Sinn?

Strohmayr: Nein, Studenten können nicht die Lücken schließen, die die mangelnde Weitsicht der Staatsregi­erung verursacht hat.

Gibt es nicht andere Möglichkei­ten? Güller: Wenn es um Ersatz geht, dann muss der Freistaat viel flexibler werden. Es muss zum Beispiel möglich sein, auch Lehrer aus anderen Bundesländ­ern holen zu können. Doch ihnen wird es unnötig schwer gemacht.

Franze: Teilweise geht es nur mit Sondergene­hmigung. Wir hatten einen Ersatzlehr­er für Deutsch und ein anderes Fach gesucht. Wir hatten einen geeigneten Lehrer aus Nordrhein-Westfalen in Aussicht. Er wollte auch kommen. Doch bis uns die Entscheidu­ng des Kultusmini­steriums erreichte, war der Kandidat schon woanders untergekom­men. Die Entscheidu­ng hätte bei dem abgegraste­n Markt in Bayern einfach schneller kommen müssen.

Mobile Reserven, integriert­e Lehrerrese­rven, fehlende Flexibilit­ät: Welche weiteren Baustellen haben Sie ausgemacht?

Strohmayr: Ganztagsbe­treuung ist eine große Baustelle, für die dringend Qualitätss­tandards mit entspreche­nden finanziell­en Mitteln nötig sind. Auch das Thema Inklusion ist eine riesige Baustelle: Es braucht die entspreche­nden Ressourcen, sonst sind die Lehrer völlig alleingela­ssen. Ohne die entspreche­nde Zweitlehrk­raft oder einen Sozialpäda­gogen an der Seite geht es nicht.

Woerlein: Ich würde schon früher ansetzen: Eltern brauchen eine intensiver­e Beratung. Es gibt Fälle, da ist es ein Segen, wenn das Kind in die Klasse inkludiert ist. Aber es gibt auch Fälle, bei denen ein Kind in einer Fördereinr­ichtung wesentlich besser aufgehoben wäre. Strohmayr: Zu den Rahmenbedi­ngungen kommt auch die Qualität: Neben der Ausbildung der Lehrer brauchen wir kleinere Klassen, damit alle Kinder profitiere­n. Im Augenblick passiert keine Inklusion, sondern nur die Integratio­n von einem Kind mit Förderbeda­rf. Das ist nicht das, was wir erreichen wollen.

Ist das nicht alles eine Frage des Geldes? Harald Güller: Ja, richtig. Wir haben aktuell eine Milliarde mehr im bayerische­n Haushalt zur Verfügung. Wir wissen, wie viele Kinder wir haben. Wir wissen, welchen Förderbeda­rf wir haben, und wir wissen, wie viel Ganztag wir wollen: Genau davon wird der Haushalt nicht auseinande­rbrechen.

Das Gespräch führte Maximilian Czysz

Irina Schumacher arbeitet bei der Fachakadem­ie für Sozialpäda­gogik der Diako nie in Augsburg.

Hans Joachim Franze ist Bezirksver­treter des Lan deselternv­erband Bayeri scher Realschule­n. Simone Strohmayr, Harald Güller und Herbert Woerlein sind Land tagsabgeor­dnete der SPD.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany