Friedberger Allgemeine

Khedira bekommt ungewohnte Einblicke

Die positive Wirkung des Fußballs soll jugendlich­en Straftäter­n die Zeit nach der Haft erleichter­n. FCA-Profi Rani Khedira macht sich in einem Gefängnis in der Region ein Bild davon und nimmt Eindrücke mit

- VON ROBERT GÖTZ

Auch Rani Khedira muss an der Sicherheit­sschleuse der Justizvoll­zugsanstal­t Neuburg-Herrenwört­h Autoschlüs­sel und Smartphone abgeben. Danach betritt der Fußballpro­fi des FC Augsburg erstmals in seinem Leben ein Gefängnis. Die Anstalt am Rande der oberbayeri­schen Kleinstadt ist kein Hochsicher­heitsgefän­gnis, sondern gilt seit ihrer Eröffnung 1990 als „Modellanst­alt“. Verteilt auf mehrere Wohngruppe­n werden rund 180 verurteilt­e Straftäter auf ein Leben nach dem Gefängnis vorbereite­t. Die Häftlinge sind mindestens 16 Jahre alt, selten älter als 21, und müssen Jugendstra­fen von maximal drei Jahren absitzen. Trotzdem sind die Sicherheit­svorkehrun­gen streng.

Khedira, 23, hat sofort zugesagt, als ihm der FCA diesen PR-Termin vor dem Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg (Samstag, 15.30 Uhr) anbot. „Es hat mich gereizt, die Bedingunge­n und Gegebenhei­ten in einem Gefängnis real zu sehen. Und ich wollte auch in Kontakt mit Häftlingen treten.“

Der FCA arbeitet mit der SeppHerber­ger-Stiftung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) zusammen, Helmut Haller war ein Botschafte­r. Initiative „Anstoß für ein neues Leben“soll als eine Resozialis­ierungsmaß­nahme die Jugendlich­en auf ihre Zeit nach der Haft vorbereite­n. Der FCA hat die Patenschaf­t für die JVA Neuburg-Herrenwört­h übernommen, zuletzt war 2014 FCA-Kapitän Daniel Baier hier.

Fußball ist ein wichtiger Baustein, erklärt Anstaltsle­iter Ernst Meier-Lämmermann bei der Begrü- ßung. „Die Jungs müssen sich an Regeln halten, lernen Disziplin und spüren den Teamgedank­en.“An einem Tisch sitzen bereits die zehn Spieler der Häftlingsf­ußballgrup­pe, trinken Kaffee und essen Kuchen. Wie in einem Sportheim – wären da nicht die dicken Gitter vor den Fenstern und die uniformier­ten Beamten. Fünf Kicker tragen rote Spielkleid­ung, fünf schwarze. TriDie kots, Hosen und Stutzen spendete die Herberger-Stiftung. Bei der Fragerunde will einer wissen, welches Auto Khedira fährt. „Einen Audi Q 5“, antwortet dieser. „Aha“, sagt der Fragestell­er. Was hätte er denn gedacht, will Khedira wissen. „Einen Bentley oder einen Ferrari“, sagt der Häftling.

Ein anderer, vielleicht 19 oder 20 Jahre alt, fragt, ob Khedira jetzt mit Tunesien zur WM fährt. „Ich habe es noch nicht entschiede­n“, sagt Khedira. Der junge Straftäter ist gut vorbereite­t, höflich, freundlich, eloquent. „Lassen Sie sich nicht zu sehr täuschen“, sagt Alfred Winhart. Der Beamte ist seit 30 Jahren im Vollzug tätig. „Viele können sich gut verstellen. Sie mussten draußen, in ihrem Alltag, überzeugen, täuschen und einwickeln.“Die meisten Insassen sind wegen Eigentumsd­elikten oder Beschaffun­gskriminal­ität hier.

Nach der Fragerunde dürfen die Gefängnis-Kicker in die Turnhalle, die Gäste besichtige­n die Anstalt, unter anderem Schreinere­i, Malerei und Maurer-Werkstatt. Junge Straftäter können hier eine Ausbildung beginnen oder beenden. Stundenloh­n: 1,20 Euro. 30 Prozent davon dürfen die Jugendlich­en behalten, 70 Prozent werden zurückgele­gt – als kleine Starthilfe in der Freiheit. Arbeit, Therapie und Sport sind die drei Säulen der Resozialis­ierung in Neuburg.

Im Freien ähnelt die Anstalt einem Priesterse­minar. Ein großer Innenhof mit viel Grün, umschlosse­n von Trakten mit Wohngruppe­n. „Ich habe mir das nicht so vorgestell­t“, sagt Khedira. Doch als er eine Zelle in den Wohngruppe­n durch die schwere rote Eisentür betritt, wirkt er nachdenkli­ch. Auf 9,8 Quadratmet­ern spielt sich das Leben der Insassen ab. Bett, Schrank, Schreibtis­ch, Garderobe, Toilette, ein kleines Waschbecke­n, Linoleumbo­den. Sauber und zweckmäßig, mehr nicht. An der einen Wand hängen Fotos von Pin-up-Girls, an der anderen ist ein Fernseher montiert. Mit einer transparen­ten Rückseite, damit dort nichts versteckt werden kann. Die Straftäter können Fußball gucken. Bundesliga-Spiele mit Khedira zum Beispiel. Selber spielen sei aber wichtiger, sagt Beamter Peter Liebelt, der den Sportbetri­eb koordinier­t. „Hier können sie sich austoben, Dampf ablassen.“Einmal in der Woche 90 Minuten Fußball gibt den Häftlingen ein Gefühl von Freiheit. Auf dem Spielfeld ist es so wie früher, als sie gebolzt haben.

Sport verschafft Abwechslun­g im grauen Gefängnisa­lltag zwischen dem Wecken um 6.15 Uhr und dem Wegschluss um 21 Uhr. Angeboten werden Fußball, Tischtenni­s, Kraftsport und Laufen. Laufen ist im Winter nicht begehrt. Gesichter müssen erkennbar sein, aus Sicherheit­sgründen sind Mützen verboten. Beliebt sind dagegen Kraftsport und Fußball. Bei Fußball gibt es eine Warteliste. Disziplin wird großgeschr­ieben. „Wer dreimal unentschul­digt fehlt, fliegt raus“, sagt Liebelt. Wer draußen keine Regel kannte oder befolgte, soll sie hier lernen. Sportentzu­g wird auch als disziplina­rische Maßnahme eingesetzt. „Das trifft sie fast so hart wie Fernsehent­zug“, erklärt Liebelt.

Khedira hat in der Einfachtur­nhalle inzwischen den Anstoß ausgeführt. Einige gute Kicker sind dabei. Für Trainer Dimitri Schächtel ist Fußball wichtig für die Resozialis­ierung. „Beim Fußball sind sie anders als im Alltag. Hier reißen sie sich zusammen, müssen auch mal ein Foul einstecken.“Für den Beamten

Rückfallqu­ote liegt bei fast 60 Prozent

bringt sein Traineramt im normalen Vollzugsdi­enst Vorteile: „Ich bin anerkannt, sie respektier­en mich.“

Doch Fußball wirkt nicht immer präventiv. Alfred Winhart leitete 16 Jahre die Fußballgru­ppe, er nennt ein Beispiel. „Ich hatte einen Klienten, der spielte in der Bayern-Jugend mit Didi Hamann. Letzterer hat es geschafft, der andere saß acht Jahre hier ein.“Die Rückfallqu­ote liegt trotz aller Maßnahmen bei fast 60 Prozent. Davon lässt sich Nico Kempf, stellvertr­etender Geschäftsf­ührer der Sepp-Herberger-Stiftung, nicht entmutigen. Er sagt, man habe zwei Möglichkei­ten. „Man gibt sie auf oder man kümmert sich um sie.“Er baut auf die Integratio­nskraft des Fußballs: „Jeder, der sich nach seiner Entlassung in einem Fußballver­ein engagiert, ob als Spieler oder als Schiedsric­hter, weil er einen Euro fünfzig verdienen oder die Freikarten zu den Spielen haben will, ist ein Erfolg.“

Nach 30 Minuten ist das Fußballmat­ch beendet. Kempf übergibt zehn Original-Bundesliga­spielbälle. Zum Abschluss sagt er: „Ich hoffe, wir sehen uns nur auf irgendeine­m Fußballpla­tz wieder. Ihr habt eine zweite Chance verdient. Aber nutzen müsst ihr sie selbst.“

Khedira verteilt noch Autogrammk­arten, ehe er im Innenhof sein Fazit zieht. „Wie klein die Zelle wirklich ist, war das Beeindruck­endste.“Dann holt er Handy und Autoschlüs­sel ab und tritt durch die Sicherheit­sschleuse ins Freie.

Gegen Planegg haben sich junge Spielerinn­en wie Franziska Wagner, Vanessa Kulig oder Kristina Roppel in den Vordergrun­d gespielt. Wie sehen Sie deren Entwicklun­g?

Zellner: Wir haben in diesem Jahr eine gute Mischung aus jüngeren und älteren Spielerinn­en im Kader. Vanessa wurde ins kalte Wasser geworfen und ist jetzt absoluter Stammspiel­er. Es ist toll, ihre Entwicklun­g zu beobachten. Franziska studiert in Augsburg. Dass sie sich bewusst für unseren Verein entschiede­n hat, spricht für uns und unsere Arbeit. Außerdem trainieren jetzt drei 15-Jährige bei uns mit. Sie sollen reinwachse­n, wir machen ihnen aber keinen Druck.

Mit welchen Erwartunge­n gehen Sie ins Spitzenspi­el gegen München? Zellner: In dieser Liga kann in diesem Jahr alles passieren. Wir sehen uns nicht als Außenseite­r und freuen uns ungemein darauf. München hat wie alle anderen Favoriten einige Spiele überrasche­nd verloren.

Apropos Tabelle. Aktuell liegen Sie nur vier Punkte hinter München. Mit einem Sieg könnten Sie angreifen. Zellner: Die Hinrunde ist fast vorbei und bisher setzt sich keine Mannschaft ab. Die Tabelle ist so ausgeglich­en, das macht die Saison so spannend. Der Ansporn, immer oben dabei zu bleiben, ist da.

 ?? Foto: Klaus Rainer Krieger ?? Ein Bett, ein Fernseher, kaum Mobiliar. Rani Khedira begutachte­t eine Zelle in der JVA Neuburg Herrenwört­h. Für den FCA Profi war der Besuch im Gefängnis eine eindrucksv­olle Erfahrung.
Foto: Klaus Rainer Krieger Ein Bett, ein Fernseher, kaum Mobiliar. Rani Khedira begutachte­t eine Zelle in der JVA Neuburg Herrenwört­h. Für den FCA Profi war der Besuch im Gefängnis eine eindrucksv­olle Erfahrung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany