Schnee ist trockener als Regen
Radfahren im Winter wird gerne verteufelt. Dabei ist es halb so wild – wenn man sich ein paar Tipps zu Herzen nimmt
Kalt, nass und gefährlich. So stellen sich viele das Radfahren im Winter vor. Doch auch wenn die Augsburger Innenstadt mit Kopfsteinpflaster und Tramschienen den Winter nicht einfacher macht, ist es – mit einer wetterfesten Geisteshaltung – nur halb so wild. Es ist ein wenig wie beim Wandern: Man sollte auf einige Verhaltensregeln achten und gute Ausrüstung macht das Leben leichter.
Als ich noch zur Arbeit in Mühlhausen pendelte, fragte mich im Winter eine Frau, ob es nicht kalt sei, auf dem Rad. Ich erklärte ihr, dass es einem beim Warten auf den Bus oder beim Eiskratzen der Windschutzscheibe wahrscheinlich kälter ist als nach fünf Kilometern Rad fahren. Sobald man Hände und Füße warm und trocken verpackt hat, bleibt man meist recht wohlig, denn man bewegt sich ja. Bei längeren Strecken ist es aber besser, sich für den letzten Kilometer zu kleiden, statt für den ersten. Denn wem zu Anfang warm ist, der schwitzt wahrscheinlich im letzten Drittel. Daher sollte man es bei der Jacke nicht übertreiben.
Zynische Gemüter könnten meinen, dass man den motorisierten Mitmenschen für die Klimaerwärmung danken könnte … Doch Schnee ist trockener als Regen. Ein warmer Winter ist nur bedingt ein Segen, denn dieser bedeutet für Ganzjahres-Radler, dass die Regenhosen – zumindest im Gepäck – zum ständigen Begleiter wird. Wer trocken und sauber im Büro ankommen will, sollte sich vielleicht überlegen, sich wasserfeste Überschuhe zuzulegen.
Dass es gefährlicher ist, im Winter Rad zu fahren als im Sommer, liegt wohl auf der Hand, aber generalisieren möchte ich auch das nicht. Ab November sind bei unseren Rädern Reifen mit mehr Profil und auch Spikes verbaut – mit Ihrem Auto würden Sie ja auch nicht auf Sommerrädern durch den Winweniger ter rollen. Spikes nehmen überfrorenen Brücken in den Morgenstunden den Schrecken, machen aber nur Sinn, wenn es auch eisig ist. Bei Schnee reicht ordentliches Profil.
Ich möchte das Radfahren im Winter nicht zur Materialschlacht machen, aber gute Kleidung, stets einsatzbereite Beleuchtung und ordentliche Reifen haben sich für unsere Familie bewährt und ich betrachte sie als das A und O eines Winterradler-Alltags. Letzten Endes kommt es auf das eigene Verhalten im Verkehr an.
Umsicht hat noch nie geschadet. Im Winter sollte man sich noch auf die Rücksicht anderer verlassen und lieber einen Schulterblick mehr machen. Ich versuche Strecken mit Tramschienen zu meiden, was in Augsburg nicht ganz einfach ist. Oft überlege ich, ob der vermeintlich sichere Radweg wirklich die richtige Wahl ist, oder ob ich lieber auf die Fahrbahn ausweiche. Merke: Die Benutzungspflicht von Radwegen ist theoretisch anfechtbar, wenn ein Weg nicht zumutbar ist. Das kann vorkommen: Pflastersteine werden im Schneematsch aalglatt. Der Winterdienst der Stadt ist subjektiv im letzten Winter besser gewesen als zuvor, doch auch das ist eben nicht verlässlich. Denn nicht überall ist es Sache der Stadt, zu räumen. Was einen unter der Schneedecke erwartet, bleibt somit oft im Ungewissen. Bekleidet mit einer knalligen Jacke fühle ich mich dann auf den Fahrbahnen der Stadt sicherer, da diese schneller schneefrei sind als alle anderen Wege und Autofahrer mich sehen. Wer es aber auf Diskussionen über die Benutzungspflicht und rechtliche Winkelzüge nicht ankommen lassen will, der macht eben ein Stückchen langsamer und nimmt den herkömmlichen Weg.
Sicher ist das Rad im Winter nicht das Verkehrsmittel für Sonntagsfahrer. Aber ganz so zu verteufeln wie in vielen Magazinen
titelte gerade erst „Radfahren im Winter? Nur was für Profis!“) ist es auch nicht. Unser Winter in Augsburg ist verhältnismäßig mild und vielen Unbequemlichkeiten und Gefahren kann man selbst entgegenwirken.
Sven Külpmann, 35, wuchs als Sohn eines Fahrlehrers auf und lebt seit 13 Jahren autofrei.
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